Familiär, familienfreundlich und flexibel: Mit diesen Worten beschrieb Elenas* Chef die Kultur in seinem Unternehmen. Man unterstütze sich, sei füreinander da. Elena war als Projektleiterin tätig, fühlte sich wohl im Team. Ein Jobwechsel war kein Thema. Auch nicht, als sie schwanger wurde. «Als ich meinen Chef über die Schwangerschaft informierte, fragte er nur: ‹War das geplant?›» Elena war perplex.
Jede fünfte Frau fürchtet sich laut Studien davor, ihre:n Chef:in über eine Schwangerschaft zu informieren. Und das, obwohl diese Tatsache eigentlich keine negativen Konsequenzen haben darf: Schwangeren dürfen Arbeitgeber:innen nicht kündigen, ausser sie befinden sich noch in der Probezeit oder es besteht ein Grund für eine fristlose Kündigung. «Eine Kündigung während der Schwangerschaft ist nichtig», sagt Stefanie Debrunner-Epprecht, Rechtsanwältin und Expertin für Arbeitsrecht. Ausserdem dürfen Frauen aufgrund einer Schwangerschaft nicht diskriminiert werden. Man darf ihnen also beispielsweise nicht minderwertige Arbeiten zuteilen, sie lohnmässig zurückstufen oder ihnen Beförderungen verweigern. So steht es im Gleichstellungsgesetz. Für viele Frauen ist die Realität aber eine andere. Immer wieder gibt es Berichte von Schwangeren oder Müttern, die degradiert, denen Projekte entzogen oder die einfach nicht mehr gefördert wurden. Der Gewerkschaftsdachverband Travaille Suisse schätzt, dass jährlich zwischen 3300 und 6600 Frauen wegen ihrer Mutterschaft am Arbeitsplatz diskriminiert werden.
Man muss Arbeitgeber:innen nicht über eine Schwangerschaft informieren
Viele Frauen überlegen sich deshalb sehr genau, wann sie ihre Schwangerschaft bekannt geben. «Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, wann der Arbeitgeber zu informieren ist. Auch bei Vorstellungsgesprächen oder in der Probezeit muss man grundsätzlich nicht davon erzählen», so Debrunner-Epprecht. Und: Man darf sogar lügen, wenn man von Vorgesetzten oder Kolleg:innen nach einer Schwangerschaft oder der Familienplanung gefragt wird. «In Vorstellungs- oder Qualifikationsgesprächen sind solche Fragen in der Regel unzulässig», so die Rechtsexpertin. In gewissen Fällen ist diese Information aber zentral: «Laut Gesetz müssen Arbeitgeber:innen Schwangere schützen und dürfen sie bestimmten Risiken nicht aussetzen. Dazu zählen unter anderem extreme Hitze und Kälte, Strahlung oder das Tragen von schweren Lasten», erklärt Debrunner-Epprecht.
Bei Elena lief es trotz des etwas holprigen Starts in den darauffolgenden Wochen ganz gut. Ihr Chef freute sich doch noch für sie und versprach, einen Plan für ihre Rückkehr nach der Babypause zu entwerfen. Sie war erleichtert: «Diese Aussichten beruhigten mich. Denn für mich war klar, dass ich nach der Geburt weiterarbeiten möchte.» Die Wochen vergingen. Elena hörte nichts von ihrem Chef. Sie wusste nicht, ob sie einen unbezahlten Urlaub anhängen, in einem reduzierten Pensum zurückkehren und ihre Position behalten konnte. Erst als sie einige Zeit vor der Geburt zu 50 Prozent krankgeschrieben wurde, bewegte sich etwas. «Man präsentierte mir eine Folie mit einem Zeitstrahl. Dort stand: ‹Elena schwanger. Geburtstermin. Mutterschaftsurlaub. Unbezahlter Urlaub.› Das war alles», erinnert sie sich. Und ihr Chef meinte: «Weisst du, so ein Kind verändert alles. Wenn du erst mal Mami bist, willst du vielleicht gar nicht mehr arbeiten.» Elena war baff.
16 Wochen nach der Geburt kann man entlassen werden
80 Prozent der Frauen in der Schweiz gehen nach der Geburt ihres ersten Kindes wieder einer Erwerbsarbeit nach. Die meisten von ihnen arbeiten Teilzeit. Wie eine Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS zeigt, kehrt nur ein kleiner Teil der Frauen bereits nach dem gesetzlichen Mutterschaftsurlaub in die Arbeitswelt zurück (18 Prozent). Rund die Hälfte tut dies nach 22 Wochen. Ein Anrecht auf einen unbezahlten Urlaub nach den gesetzlichen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub gibt es nicht. Genauso wenig wie ein Recht auf eine Reduktion des Pensums bei der Rückkehr oder überhaupt darauf, dass man den bisherigen Job für längere Zeit behalten kann – auch zum selben Pensum. Manche Unternehmen setzen eine Mutterschaftsvereinbarung auf, in der die Rückkehr geregelt ist. Eine Pflicht für Arbeitgeber:innen gibt es aber nicht.
«Gesetzlich hat man nach der Geburt Anspruch auf 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und einen Kündigungsschutz von insgesamt 16 Wochen. Nach dem gesetzlichen Mutterschaftsurlaub darf einem also noch zwei Wochen nicht gekündigt werden», erklärt Stefanie Debrunner-Epprecht. Nach diesen zwei Wochen kann einen der/die Arbeitgeber:in jederzeit entlassen – ohne Grund. «In der Schweiz gilt die sogenannte Kündigungsfreiheit für Arbeitgebende, aber auch für Arbeitnehmende. Eine Entlassung muss vom Arbeitgebenden nur auf Verlangen hin begründet werden», erklärt die Rechtsanwältin.
Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen nicht der Grund für eine Entlassung sein
Laut Travaille Suisse verlieren jährlich rund 2500 Mütter kurz nach Ablauf des Kündigungsschutzes ihre Stelle. Zwar haben Arbeitgeber:innen das Recht auf eine solche Kündigung. Trotzdem ist sie nicht immer rechtens. «Die Mutterschaft oder die Schwangerschaft dürfen nicht der Grund für eine Entlassung oder Nicht-Anstellung sein. Das ist diskriminierend und verstösst gegen das Gleichstellungsgesetz», so Debrunner-Epprecht. Sagt ein:e Arbeitgeber:in also konkret: Wir entlassen dich, weil du Mutter bist, ist die Kündigung diskriminierend und kann angefochten werden.
So eindeutig sind die Fälle in der Praxis jedoch selten. Die Diskriminierung wird kaum so ausgesprochen. Viel häufiger schieben Arbeitgeber:innen wirtschaftliche oder betriebliche Gründe oder die abnehmende Leistung der Angestellten als Grund für die Kündigung vor: «Es kommt nicht selten vor, dass eine Frau entlassen wird und den Verdacht hegt, die Mutterschaft sei der Grund dafür», sagt Debrunner-Epprecht. Auch in solchen Fällen kann man eine Kündigung anfechten. Es sei aber oft schwierig, diesen Verdacht zu belegen oder zu bestätigen. Die Expertin empfiehlt deshalb, sich gut vorzubereiten und sich Unterstützung zu holen. Es lohne sich beispielsweise – ob schwanger oder nicht –, regelmässig Zwischenzeugnisse zu verlangen. «Hat man mehrere solcher Zeugnisse, die einem über eine längere Zeit eine gute Leistung bestätigen, hat man etwas in der Hand, wenn der/die Arbeitgeberin plötzlich etwas anderes behauptet.»
Immer mehr diskriminierende Kündigungen werden angefochten
Wer eine Kündigung als missbräuchlich anfechten will oder Verdacht hegt, wendet sich am besten frühzeitig an eine Fachperson. Mögliche Anlaufstellen sind Rechtsexpert:innen, eine Rechtsschutzversicherung oder die kantonalen Fachstellen für Gleichstellung. Gestritten wird in solchen Fällen nicht um den Job, sondern um Geld. «Auch wenn man Recht bekommt, erhält man nur in seltenen Fällen des Gleichstellungsgesetzes den Job zurück. In der Regel wird der/die Arbeitgeber:in zur Bezahlung einer Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen verpflichtet», führt Debrunner-Epprecht aus.
Wie viele missbräuchliche Kündigungen wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft es jährlich gibt, ist nicht bekannt. Die Fälle werden nur erfasst, wenn sich die Betroffenen wehren. Das tun offenbar immer mehr, wie ein Bericht von «10 vor 10» im Frühling 2019 zeigte: In den letzten Jahren wurden vor Schlichtungsstellen oder Gerichten pro Jahr jeweils zwischen 60 und 70 solcher Fälle verhandelt. Als Vergleich: Im Jahr 2007 waren es noch rund 30. Und es gab auch wegweisende Urteile: So wurde die Swatch Group im September 2022 vom Genfer Arbeitsgericht wegen diskriminierender Kündigung verurteilt. Das Unternehmen hatte zwei Frauen kurz nach ihrer Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub entlassen. Die Swatch Group musste den beiden eine finanzielle Entschädigung zahlen. Die Höhe ist nicht bekannt.
Bei Elena kam es anders. Sie verliess, krankgeschrieben, kurz vor der Geburt ihren Arbeitsplatz. Ohne Vereinbarung, dafür mit Zweifeln, ob sie zurück in diesen Betrieb wollte, und mit einem Termin: Nach dem gesetzlichen Mutterschaftsurlaub wollte man sich zusammensetzen und alles besprechen. Als ihr Chef ihr nicht zur Geburt gratulierte, war für sie klar: Dort will ich nicht mehr hin. Elena und ihr Chef trafen sich nach ihrem Mutterschaftsurlaub zum Gespräch. «Er sagte mir, er wisse immer noch nicht mehr. Ich antwortete, dass er sich keine Gedanken mehr machen muss. Ich wolle nicht zurück.» Ihr Chef beglückwünschte sie zu ihrem Entscheid. Elena kündigte. Bei ihrem Abschiedsfrühstück rund zwei Monate später erkundigte er sich, wie es ihr gehe als «Vollzeitmami». «Ich antwortete knapp: ‹Ich habe bereits eine neue Stelle und starte in wenigen Wochen.›» Elenas Chef war sprachlos.
Die Arbeitswelt bewegt sich, aber nur langsam
Heute leitet Elena in einem 70-Prozent-Pensum ein Team in einem Grossunternehmen und ist zufrieden: «Alles ist gut organisiert. Man ist tatsächlich familienfreundlich und flexibel.» Elena kann sich ihre Arbeitszeit flexibel einteilen. Homeoffice ist problemlos möglich. Bei ihrem Einstellungsgespräch wurde sie nie nach ihrer familiären Situation oder dem Betreuungsmodell gefragt. Elena wünscht sich, dass sich die Arbeitswelt bewegt. «Es muss doch möglich sein, dass man als Mutter eine gewisse Sicherheit hat und nicht zurückgestuft oder übergangen wird.» Es brauche mehr Flexibilität und bessere Strukturen.
Stefanie Debrunner-Epprecht stimmt dem auch aus rechtlicher Sicht zu. Der gesetzlich garantierte Schutz im Zusammenhang mit der Mutterschaft sei in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern weniger grosszügig: «Bei uns gibt es keinen gesetzlichen Mutterschaftsurlaub vor der Geburt, jener nach der Geburt ist im Vergleich mit anderen Ländern sehr kurz, genauso wie der Vaterschaftsurlaub.» Gleichzeitig sieht sie aber auch positive Entwicklungen. Es gebe immer mehr Arbeitgeber:innen wie etwa den Bund oder einzelne Banken und Versicherungen, die von sich aus bessere Bedingungen anbieten und sogar als arbeitsrechtliche Ansprüche in ihren Reglementen aufnehmen würden. Beispielsweise eine vom Geschlecht unabhängige Elternzeit für die hauptbetreuende Bezugsperson, einen längeren bezahlten Mutterschafsurlaub oder die Möglichkeit, das Pensum zu reduzieren und die Stellung zu behalten. «Es bewegt sich also schon etwas. Zwar geht es langsam voran, aber immerhin.»
*Name der Redaktion bekannt.