2022 ist ein fieses Jahr. Kaum haben wir uns einigermassen aus den Fängen der Pandemie befreit, werden wir überwältigt vom Ukraine-Krieg, von der Inflation und vom Klimawandel. Dessen Konsequenzen drohen uns vollends zu entgleiten, wenn wir nicht endlich die Beine in die Hand nehmen, respektive mit dem Velo zur Arbeit fahren, die Heizung runterdrehen, unsere Essgewohnheiten anpassen, mit Stoppuhr oder gar zu zweit duschen, unser Portfolio dekarbonisieren, etc.
Aber wo sollen wir anfangen? Wer leistet schon einen Beitrag, und wer sollte sich eigentlich schämen? Der Handlungsdruck in Kombination mit Überforderung, schlechtem Gewissen und dem Bedürfnis, von uns selbst abzulenken und den Fehler bei anderen zu suchen, macht die Bühne frei für absurde Dialoge.
Ich habe für euch mitgelauscht, was gerade abgeht in den heimischen Stuben. Voilà, ein Ausschnitt aus einem ganz privaten Energiedialog.
Sie: «Hey, ich habe heute Luca gesehen. Der reist im Dezember für drei Wochen auf die Philippinen. Ich bin so neidisch!»
Er: «Moment, ist Luca nicht derjenige, der Lena immer voll hart auf Instagram disst, wenn sie nach Berlin fliegt, so von wegen CO2-Ausstoss?»
Sie: «Ja, aber Lena macht in Berlin Party und geht shoppen. Luca sammelt auf den Philippinen zusammen mit einer Frauenkooperative Abfall am Strand. Die Emissionen von seinem Flug kompensiert er mit fünf Bäumen, respektive passiert das automatisch über seine Kreditkarte. Und die ist im Fall aus Holz, nicht aus Plastik. Ausserdem hat er mir gesagt, die Umweltbelastung durch den Landwirtschaftssektor sei viel grösser als durch den Flugverkehr. Das wusste ich gar nicht! Und wir machen so ein Drama wegen dem Fliegen.»
Er: «Wow, super Vergleich. Bin beeindruckt. Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, wird der merken, dass man Kerosin nicht trinken kann. Aber wenn wir schon beim Thema sind: Kannst du bitte endlich auch mal Strom sparen? Immer lässt du das Licht im Bad brennen.»
Sie: «Nein, das dauert immer 5 Sekunden, bis es angeht. Ich mag nicht jedes Mal im Dunkeln warten. Ausserdem: Warum sollte ich? Das macht doch keinen Unterschied. Schau mal raus. Die Migros da drüben hat ihre Leuchtreklame die ganze Nacht an. Da könnte man mal was tun. Abgesehen davon, benutzt du im Büro nicht eine Nespresso-Maschine?»
Er: «Äh, ja, doch, aber erstens habe ich die ja nicht selber gekauft, und zweitens: Was hat das mit dem Licht im Bad zu tun?»
Sie: «Wenn ich daran denke, wie viel Energie der Aluminium-Abbau und das Recycling der Kapseln, mit dem ihr Nespresso-Trinker euch immer rausredet, kostet, dann kann ich wahrscheinlich in meinem Bad drei Discokugeln 24 Stunden laufen lassen und verbrauche immer noch weniger Energie als du.»
Er: «Na und? Dafür hast du während dem Studium ein Auto besessen, während ich mit meinem Fixie-Velo unterwegs war. Ohne Gangschaltung. Voll hart. Fünf Jahre lang. In der Zeit bist du jeweils sogar für die 200 Meter zum Coop ins Auto gestiegen. Da kann ich bis über mein Lebensende hinaus Nespresso trinken und stehe immer noch besser da als du.»
Sie: «Und das wirfst du mir jetzt vor? Das CO2 von 2007 ist doch längst in der Atmosphäre abgebaut. Die wahren Probleme liegen in der Zukunft. Und da sage ich nur: Kinder. Die sind der grösste Klimakiller. Ich habe ja keins. Wenn ich hingegen an den Fleischkonsum von deinem Sohn Paul denke, könnte ich mir damit sicher vier Kurzstreckenflüge pro Jahr erlauben. Rechne ich noch die Energie rein, die sein blödes Gaming frisst, dann kann ich dazu noch jeden Tag Rindsfilet essen.»
Er: «Das ist absurd. Paul trägt neuerdings vegane Sneakers! Ausserdem ist er laktoseintolerant. Das heisst, er isst keine Milchprodukte. Und er ist 18. Den kannst du nicht mehr zu meiner Klimabilanz rechnen. Der hat mittlerweile seine eigene Klimabilanz. Und sowieso: Warum vergleichst du die Energie, die er fürs Gamen braucht, mit Fleischkonsum? Werden Kühe, Hühner und Schweine neuerdings an die Steckdose angeschlossen?»
Sie: «Nein, natürlich nicht; noch nicht, wer weiss. Aber der CO2-Abdruck von Fleisch ist riesig. Und Kühe furzen ausserdem noch Methan in die Atmosphäre. Das ist voll schlimm fürs Klima.»
Er: «Aber ich dachte, wir müssen wegen Putin Strom sparen, nicht wegen dem Klima?»
Sie: «Mir egal. Beides nervt. Klimawandel und Putin. Und diese Diskussion auch.»
Er: «Stimmt. Ich habe auch keinen Bock mehr. Ich will schlafen und geh ins Bett. Kommst du auch? Dann lösch das Licht … aber überall!»