Es gibt da diesen ganz doofen Song von Ballermann-König und Niveaulimbo-Weltmeister Mickie Krause. Kennt ihr den? «Finger im Po, Mexiko» heisst er. Der Song wurde 2008 nicht nur zum Karnevalshit in deutschen Gefilden, sondern führte auch beinahe zu einer diplomatischen Krise mit dem lateinamerikanischen Land. Heutzutage könnte man den Song wohl kaum mehr veröffentlichen. Nicht nur wegen des Shitstorms in den sozialen Medien, sondern auch weil Mexiko in gesellschaftspolitischer – und vor allem in feministischer! – Hinsicht gerade Quantensprünge macht. Oder anders: Mexiko «hät dä Finger use gno»  – und zwar auf ziemlich epische Art und Weise. So scheint es auf alle Fälle, wenn man, so wie ich, aufmerksam den internationalen Nachrichten folgt.  

Die mexikanische Gesellschaft wandelt sich tatsächlich. Sogar an Orten, an denen der Machismo bisher mit absolutistischer Macht regiert hat

Ich habe vier Beispiele für euch.

Erstens: In einem der grössten Boys' Clubs der Welt – den mexikanischen Drogenkartellen – ist die gläserne Decke neuerdings löchrig wie ein Emmentaler Käse. Weil viele der «Chapos» im Gefängnis sitzen, übernehmen ihre Ehefrauen das Ruder – und stehen den Typen in Sachen Brutalität kein bisschen nach. Ich gebe zu: Das ist nun nicht per se eine erfreuliche Nachricht. Aber es zeigt, dass sich die mexikanische Gesellschaft tatsächlich wandelt, und zwar an Orten, an denen der Machismo bisher mit absolutistischer Macht regiert hat

Zweitens: In Mexiko stehen nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen an. Und während es noch offen ist, ob die herrschende Regierungspartei «Morena» oder das Bündnis der  Oppositionsparteien die Wahl für sich entscheidet, steht eines schon ziemlich sicher  fest: Mexiko wird künftig von einer Frau regiert! Beide Lager haben nämlich Kandidatinnen ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt. Das gab es in Mexiko noch nie.

Rund 100’000 Frauen werden in Mexiko jährlich als vermisst gemeldet und etwa 4000 ermordet.

Für die Regierungspartei am Start: die ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt Claudia Sheinbaum. Als solche hat sie 2022 wegen der grassierenden Gewalt gegen Frauen den Notstand ausgerufen – und zwar zu Recht! Mexiko steht international an der Spitze all jener traurigen Statistiken, die genderbasierte Gewalt erfassen. Rund 100’000 Frauen werden jährlich als vermisst gemeldet und etwa 4000 ermordet. Von diesen Morden wird nur ein Bruchteil strafrechtlich verfolgt, und nur in sechs Prozent der Fälle,  die vor Gericht verhandelt werden, wird der Täter auch verurteilt.

Ich fühlte mich auf meinen Reisen ständig latent bedroht. Die Stimmung auf der Strasse kam mir stets explosiv vor, testosterongeschwängert.

Mir kehrt sich der Magen bei diesen Zahlen – erstaunlich finde ich sie indes nicht. Ich war in meinen Zwanzigern mehrmals in Mexiko mit dem Rucksack unterwegs und weiss aus eigener Erfahrung, wie gefährlich dieses Land für uns Frauen ist. Ich fühlte mich auf meinen Reisen ständig latent bedroht. Die Stimmung auf der Strasse kam mir stets explosiv vor, testosterongeschwängert. Wie auf einer Party morgens um fünf, wenn alle Frauen längst nach Hause gegangen sind, ausser den zwei Mädels, die zu betrunken waren, um rechtzeitig den Absprung zu schaffen. Und um die sich dann 50 Typen balgen. Ihr kennt es bestimmt.

Mir drängte sich der Verdacht auf: Das ist ein Trend. Die tauschen sich aus, die Arschlöcher, über den neuen heissen Scheiss im Vergewaltigerbusiness.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Auf meiner zweiten Mexiko-Reise wurde ich mehrfach auf die gleiche Art und Weise attackiert. Auf dem Weg zum Aussenklo des jeweiligen Hostels, immer in der Nacht, immer im Halbschlaf. Von hinten, aus Büschen und hinter Ecken, sind sie hervorgesprungen, immer betrunken, das war mein Glück. Passiert ist nichts Schlimmes, tant pis, so ist es halt, wenn frau alleine reist, redete ich mir ein. Nicht der Rede wert, eigentlich. Das Einzige, was mich wirklich schockierte: dass die Typen immer nach dem gleichen Modus Operandi vorgingen. Mir drängte sich der Verdacht auf: Das ist ein Trend. Die tauschen sich aus, die Arschlöcher, über den neuen heissen Scheiss im Vergewaltigerbusiness. Das kann doch kein Zufall sein?!

Dabei bin ich notabene eine weisse Touristin und als solche besser geschützt als die meisten einheimischen Frauen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Dass mit Sheinbaum nun endlich eine Person für das höchste Amt kandidiert, die mit Sicherheit vergleichbare Erfahrungen gemacht hat und entsprechend handelt, ist ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Frauen in Mexiko.

Xóchitl Gálvez, Senatorin und Computeringenieurin, fordert höhere Steuern für Reiche, fährt mit dem Velo zur Arbeit und machte kürzlich Schlagzeilen, weil sie in einem aufblasbaren Dinokostüm ins Parlament kam.

Fast besser noch als Sheinbaum – wenn das überhaupt möglich ist! – gefällt mir allerdings die Kandidatin der Opposition. Xóchitl Gálvez, Senatorin und Computeringenieurin, fordert höhere Steuern für Reiche, fährt mit dem Velo zur Arbeit und machte kürzlich Schlagzeilen, weil sie in einem aufblasbaren Dinokostüm ins Parlament kam. Der Grund: Sie empfand einen Gesetzesentwurf von Präsident Andrés Manuel López Obrador als vorsintflutlich – aus der Zeit von Tyrannosaurus Rex und Co. – und wollte so dagegen protestieren. Eine Frau nach  meinem Geschmack ist das, jawohl!

Quelle: GRUPO PARLAMENTARIO PAN | Credit: via REUTERS

Ob Xóchitl Gálvez oder Claudia Sheinbaum die Wahl gewinnt, spielt ultimativ gar keine so grosse Rolle. So oder so wird eine Präsidentin vieles zum Guten verändern – insbesondere für Frauen. Davon bin ich überzeugt.

Und die vierte gute News aus Mexiko: Anfang September hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass Abtreibungen nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Der Paragraf, der Schwangerschaftsabbrüche seit 1931 unter Strafe stellt, verletze – Zitat! – die «Menschenrechte von Frauen und anderen gebärfähigen Personen.»  

Während wir rechtsrutschen und nicht nur elementare Menschenrechte, sondern häufig gleich die ganze Demokratie erneut zum Verhandlungsgegenstand werden, schliessen die Mexikanerinnen ihre Reihen, stehen für ihre Rechte ein und übernehmen die Führung ihres Landes.

Können wir mal kurz innehalten und uns diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen? Wie geil sind diese Worte denn bitteschön? Nicht nur, weil endlich die Zeit gekommen ist, den Frauen in Mexiko die Selbstbestimmung über ihre eigenen Körper zuzugestehen, sondern auch, weil sie diametral zum Weltgeschehen stehen – und insbesondere zur Entwicklung des Nachbarlandes USA.

Während die Amis – und wir! – rechtsrutschen und nicht nur elementare Menschenrechte, sondern häufig gleich die ganze Demokratie erneut zum Verhandlungsgegenstand werden, schliessen die Mexikanerinnen ihre Reihen, stehen für ihre Rechte ein und übernehmen die Führung ihres Landes. Und zwar im Dinosaurierkostüm.

Das sind doch mal gute Nachrichten!