Die Kosmetikerin in New York, die Marktverkäuferin in Kolumbien, die Bäuerin in Vietnam, die Näherin in Kirgisistan, die Unternehmerin in Kambodscha, die Biologin in Costa Rica, die Regisseurin in Georgien und die Lehrerin im Kosovo. Acht Frauen, die etwas gemeinsam haben: Sie arbeiten ausserhalb der eigenen vier Wände und sorgen damit für das Überleben ihrer Familie. Und ihre Stimme verhallt im Lärm dieser Welt.
Unsere Gastautorin hat sie auf ihrer einjährigen Weltreise in ihren Wohnzimmern besucht, sie bei der Arbeit begleitet und gefragt: Warum tun sie, was sie tun? Und was sind ihre Träume?
Sie steht zwischen Kisten voller Papayas und Pfirsichen, von der Decke baumeln Bananen und Ingwerwurzeln. Nachdem sie die Kundin bedient hat, tritt sie hinter dem Marktstand hervor. Leere Kisten dienen als Hocker, wir setzen uns. Da sie kein Englisch spricht, übersetzt ein Freund. Und Yorley Cardona Posso (43) beginnt zu erzählen.
Mit 17 Jahren wurde sie ungeplant schwanger. Der Vater verschwand noch vor der Geburt der ersten Tochter. Die Eltern machten der Jugendlichen Vorwürfe. Hilfe bekam Cardona Posso nur von ihrer älteren Schwester. Wenige Monate nach der Geburt ihrer Tochter Laura fing sie ihre Arbeit auf dem Markt Plaza Minorista an.
Einer von über 2500 Marktstände gehört ihr
Der Markt Plaza Minorista feiert dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Früher wurde die Ware – von Fleisch, Fisch und Milchprodukten bis zu Kräutern, Gemüse und Früchten – auf offener Strasse verkauft. Die Stadt Medellin konnte aber kaum überprüfen, was verkauft wurde – Drogenkriminalität war an der Tagesordnung.
Plaza Minorista soll jetzt wieder ein sicherer Ort sein. Sicherheitspersonal ist rund um die Uhr anwesend, Überwachungskameras wurden installiert. Yorley Cardona Posso sagt: «Ich brauche einen starken Charakter, um mit den Leuten hier klarzukommen.» Einer der über 2500 Verkaufsstände gehört ihr. Jeden Tag steht sie in der Markthalle, schleppt Kisten voller Maracujas und Passionsfrüchten herum. Sie sagt, das müsse sie selbst tun, damit verschaffe sie sich den Respekt der anderen Marktstandbesitzer – fast nur Männer. «Sobald ich den Markt betrete, habe ich eine andere Rolle. Ich bin eine andere Person.» Zuhause sei sie feminin, liebevoll und nett. Auf dem Markt verändert sie sich, sobald sie sich ihre Schürze umgebunden hat.
Wo Ferien nicht selbstverständlich sind
Die Arbeit fordert ihren Tribut von der vierfachen Mutter. «Bis zur Coronapandemie hatte ich gar keine Ferien. Ich arbeitete jeden Tag, ohne Unterbruch.» Als der Markt nach den schwierigen Pandemiemonaten wieder aufging, entschied Cardona Posso: Künftig bleibt ihr Stand am Montag geschlossen. Und im Herbst 2022 gönnte sie sich zum ersten Mal überhaupt zwei Monate Ferien.
Keine Selbstverständlichkeit im von Drogenkriminalität geplagten Kolumbien. Das Land litt bis 2016 unter einem Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg. Erst seit 2010 ist ein wirtschaftlicher Aufschwung zu beobachten. Seither steigt der Mindestlohn jährlich an. Aktuell liegt er bei umgerechnet 303 Franken pro Monat. Zum Vergleich: Im Coronajahr 2020 lag der Mindestlohn bei monatlich 228 Franken.
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