Frau Capelli, Donald Trump zieht erneut für vier Jahre ins Weisse Haus. Was hat das für Auswirkungen für Anleger:innen?

Bis jetzt: mehrheitlich positive. Vor den Wahlen war Unsicherheit zu spüren, nun haben sich die Aktienmärkte erholt. 

Als Anleger:in kann ich aufatmen?

Kurzfristig ja. 

Ein Blick auf die US-Aktien zeigt, dass diese seit Trumps Wahl am 5.11. weiter steigen.

Gemäss seinem Mantra «America first» will Trump für US-Unternehmen die Steuern senken. Wer profitiert?

Konkrete Aktienempfehlungen von Titeln in Reaktion auf die US-Wahl machen wir bei der BEKB nicht. Klar hingegen ist: Sektoren wie Finanztitel, Industrie, Technologien oder die Grundstoffe gehören zu den Gewinnern. 

Trump dürfte gemäss seinem Mantra die Zölle auf ausländische Güter erhöhen. Wer verliert? 

China. Trump hat angekündigt, 60 Prozent Zölle auf chinesische Güter zu erheben. Global betrachtet ging er mit der Aussage in den Wahlkampf,  Zölle von zehn bis 20 Prozent auf alle Güter zu erheben. Inwiefern diese Zollpolitik umgesetzt werden kann, wird sich ab 2025 zeigen. Die Einführung solcher Zölle dürfte Widerstand auslösen. Selbst ein Trump kann sich nicht um sämtliche Handelsabkommen foutieren. 

Noëmi Capelli, Volkswirtin bei der Berner Kantonalbank BEKB. Bild: zvg

Was heisst das für Schweizer Unternehmen?

Rund 15 Prozent der Schweizer Exporte gehen in die USA. Die USA sind unser grösster Handelspartner. Manche hiesige Unternehmen generieren fast 50 Prozent ihres Umsatzes in den USA. Der grosse Vorteil der Schweiz: Wir sind in hoch spezialisierten Märkten tätig und haben eine hohe Produktionskapazität in den USA. Heisst: Wir sind der Meinung, dass Schweizer Unternehmen vergleichsweise weniger stark von US-Importzöllen betroffen sein dürften.

Weil die Schweiz nicht besonders stark in der Autoindustrie ist wie etwa unser Nachbar Deutschland?

Ja, aber nicht nur wegen der Autos. Die Schweiz hat eine gänzlich andere Exportausrichtung. Wir exportieren insbesondere Pharma- und Chemiegüter. Diese dürften weniger stark betroffen sein. Im Visier von Trump sind unter anderem Autos, Stahl, Aluminium und Solarzellen.

Für die Schweiz werden vier Jahre Trump wirtschaftlich nicht mal so schlimm sein?

«Nicht so schlimm» ist vielleicht zu viel gesagt. Es ist aber schon so, dass die Schweiz verhältnismässig weniger stark direkt betroffen sein dürfte von der Zollpolitik. Indirekt hängt die Schweiz natürlich von der globalen wirtschaftlichen Entwicklung ab. Höhere Zölle dürften das globale Wachstum reduzieren. Weiter dürfte die Hüftschuss-Politik von Donald Trump die Unsicherheit wieder erhöhen.

Noëmi Capelli
Selbst ein Trump kann sich nicht um sämtliche Handelsabkommen foutieren. 

 Wie wäre es der Schweiz mit einer US-Präsidentin Kamala Harris ergangen?

Auch mit Harris hätten wir es mit Zöllen zu tun gehabt, wie das bereits bei Joe Biden der Fall gewesen ist. Protektionistische Massnahmen kommen zudem grundsätzlich auf. Die Zölle wären aber sicher deutlich weniger stark angestiegen. Für Fragezeichen unter Harris hätte die Tatsache gesorgt, dass sie die Medikamentenpreise kappen wollte. Diese Massnahme hätte das Pharma-Land Schweiz – zumindest kurzfristig – getroffen. Die Unsicherheit wäre tiefer gewesen.


Trumps Steuersenkungen treiben die Staatsschulden in die Höhe, höhere Zölle führen zu steigenden Preisen. Das befeuert die Inflation. 

Wie stark diese Auswirkungen ausfallen, analysieren wir gerade. Die Inflation wird in den USA momentan weniger durch Güter als vor allem durch die Wohnkosten und Dienstleistungen getrieben. Der Internationale Währungsfonds geht aktuell von einer leichten Erhöhung der Inflation aus. Wir rechnen nicht mit einem starken Anstieg der Inflation rein aufgrund der Zölle.

Noëmi Capelli
Trump wird nachhaltige Anlagen zwar nicht unterstützen, sich hier aber auch nicht komplett querstellen.

Das Nachsehen hat der oder die kleine Bürger:in im Portemonnaie – Trumps stärkste Wählergruppe. Wie kann er oder sie einer Inflation entgegenwirken?

Gar nicht. Einer Inflation ist man ausgesetzt. 

Gehen wir einen Schritt weiter und sprechen über Nachhaltigkeit. Ölfirmen werden zu den Gewinnern gehören, erneuerbare Energien zu den Verlierern. Was heisst das für nachhaltige Geldanlagen, für ESG konkret? 

Die USA sind anders aufgestellt als Europa oder die Schweiz. Viel Innovation im Bereich Nachhaltigkeit wird vom Privatsektor – und nicht vom Staat – getrieben. Klar, Trump will gewisse Bereiche der Nachhaltigkeit reduzieren. Bereits im Wahlkampf hat er angedroht, den Ausbau von Windkraft auf dem Meer zu stoppen. Und ebenfalls ja: Trump steht für klassische Energie. Trotzdem bin ich der Meinung: Der private Sektor will erneuerbare Energie fördern. Der langfristige Trend zu mehr Erneuerbaren geschieht meiner Meinung nach also unabhängig von der aktuellen Politik, die Fortschritte können eventuell etwas langsamer voranschreiten.  

Moment: Trump interessiert sich Null für Nachhaltigkeit. Und Sie sagen, das sei kein Problem für nachhaltige Anlagen?

Ich sage: Trump ist für Nachhaltigkeit weniger förderlich. Und es wird zu Verzögerungen kommen. Ich bin da aber nicht so negativ eingestellt. Und bei nachhaltigen Geldanlagen bin ich der Meinung, dass Europa die treibende Kraft dahinter ist. Nochmals: Trump wird diese zwar nicht unterstützen, sich hier aber auch nicht komplett querstellen.

Ölfirmen werden von Trumps Sieg trotzdem übermässig profitieren, oder?

Donald Trump möchte die Ölförderung erhöhen. Ob Ölfirmen langfristig davon profitieren, ist fraglich.

Wagen wir einen längerfristigen Ausblick: Wie beeinflusst Trumps Wirtschaftspolitik die Märkte im Laufe seiner Präsidentschaft in einem Worst-Case-Szenario? 

Schätzungen des Internationalen Währungsfonds gehen 2025 bei einem Handelskrieg von einem tiefen Wirtschaftswachstum von 0,4 bis 0,8 Prozent aus. Im Jahr 2026 sogar noch mehr. Zieht Trump beim Thema Migration die Ausschaffungen durch wie angekündigt, könnte sich der Arbeitskräftemangel in den USA verstärken. Zudem droht den USA mittelfristig eine noch höhere Staatsverschuldung, als sie ohnehin schon haben. Heisst: Ein Teil des Bruttoinlandprodukts (BIP) wird allein für die Zinszahlungen draufgehen. Da sprechen wir von Zahlen in der Höhe der US-Militärausgaben, also von fast drei Prozent des BIP. 

Noëmi Capelli
Die konjunkturelle Entwicklung überwiegt die politische. Auch unter Trump bleibt unsere Welt global vernetzt.

Die USA machen Schulden ohne Ende, und das nicht erst seit gestern. Warum können die das?

Solange der US-Dollar die Weltwährung ist und solange Staatsanleihen der USA gekauft werden, solange glaubt man, dass alles bezahlt werden kann. Nur: Geht das einmal nicht mehr gut, wären die Folgen extrem. 

Also positiver: Was wäre ein Best-Case-Szenario unter Trump?

Das ist einfach: Wenn Trump seine Wahlversprechen bezüglich Zöllen und Migrationspolitik nur in einer sehr abgeschwächten Form umsetzen könnte. Und der Technologieboom sich weiter entwickeln würde.  



Welches der beiden Szenarien halten Sie für wahrscheinlicher?

Das ist schwierig zu sagen. Vielleicht hilft unser sogenanntes Basis-Szenario, welches ich als das realistischste einschätze. Darin gehen wir für nächstes Jahr von einem stärkeren Wachstum in der Schweiz und der Eurozone aus und einer leicht schwächeren Dynamik in den USA als 2024. Konjunkturell sind wir also positiv gestimmt und gehen von weiteren Zinssenkungen und dem weiteren Rückgang der Inflation in den USA und der Eurozone aus.

Das ist zuversichtlich.

Natürlich gibt es Unsicherheiten, nicht zuletzt geopolitische. Und da Trump eher mal aus der Hüfte schiesst, dürften die Unsicherheiten nicht weniger werden. Politische Ereignisse können kurzfristig Volatilität auslösen. Aber: Die konjunkturelle Entwicklung überwiegt die politische. Auch unter Trump bleibt unsere Welt global vernetzt. Plus: Bereits nach zwei Jahren sind wieder Mid-Terms. Geht es bis dahin der US-Bevölkerung nicht besser, werden sie ihren Entscheid korrigieren. Langfristig wird die Welt davon nicht untergehen.