Die Schweiz ist reich. Aber wem gehört wie viel vom Kuchen? Und woraus besteht er überhaupt? Zu diesen Fragen gibt es in der Schweiz fast keine Daten. ellexx nimmt dich mit auf eine Reise durch die verschwiegene Welt der Vermögen und zählt auf, was wir wissen – und was nicht.
In der Schweiz sind den Steuerbehörden Vermögen im Wert von insgesamt rund 2 Billionen Franken bekannt. Das sind zwei Millionen Millionen Franken oder eine 2 mit zwölf Nullen dahinter. Wir bei ellexx wollen natürlich wissen, ob Frauen einen gleich grossen Anteil an diesen Vermögen besitzen wie Männer – oder ob sich hier wie andernorts auf der Welt ein «Gender Wealth Gap» auftut. (Falls du jetzt schnell im Kopf gerechnet hast und die Summe von zwei Billionen Franken nicht sonderlich hoch findest: Gratuliere, du hast recht! Diese Summe entspricht beispielsweise zwei Millionen Gebäuden im Wert von je einer Million Franken – also etwa dem Gesamtbestand an Wohnhäusern in der Schweiz. Aber natürlich sind viele Wohnhäuser mehr wert als eine Million, und natürlich gibt es neben den Wohnhäusern noch sehr viele andere Vermögenswerte. Warum wissen die Behörden also «nur» von zwei Billionen Franken? Nun: Die Statistik erfasst nicht alle Guthaben der Altersvorsorge, sie bewertet die Immobilien zum (niedrigen) Steuerwert, sie zieht Hypothekarschulden vom Wert der Immobilien ab, und natürlich erfasst sie nur, was den Steuerbehörden auch angegeben wird. Schwarzgeld oder in Zollfreilagern gebunkerte Sachwerte fehlen also.)
Aber zurück zur Frage nach dem Gender Wealth Gap. Und hier stossen wir schnell an eine Wand. Nichts ist bekanntlich in der Schweiz so geheim wie Bankbüchlein und Steuererklärung. Während die Unterschiede bei den Löhnen mittlerweile gut erfasst werden, bleiben die Vermögen in jeder Hinsicht eine Blackbox, dunkel wie das Innere eines Banktresors. Es ist darum fast unmöglich, die einfache Frage nach der Verteilung der Vermögen unter den Geschlechtern zu beantworten.
Unterschiede beim Vermögen kleiner als beim Lohn
ellexx sind zwei wissenschaftliche Analysen zum Thema bekannt. Die eine verglich 2018 die Vermögensunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Schweiz und Australien, mit Daten aus dem «Schweizer Haushalts-Panel» 2012. Fazit: Der Gender Wealth Gap ist in der Schweiz viel grösser als in Australien. Die zweite erfolgte im Rahmen eines Nationalfonds-Projektes 2018 bis 2021 und arbeitete mit Daten von sechs kantonalen Steuerverwaltungen. Für einen Beitrag in der Nummer «Geld» des Magazins «Frauenfragen» der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen EKF haben Oliver Hümbelin, Forscher an der Berner Fachhochschule, und Kollegen eine Grafik über die Vermögensunterschiede bei Frauen und Männern erstellt. Es zeigt sich Überraschendes: Bis zum Erreichen des Pensionsalters sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen beim Vermögen viel kleiner als beim Lohn. Erst danach zeigen sich Unterschiede – die wiederum weitgehend durch die Lohndifferenz verursacht werden.
Personen in Einzel- und Paardossiers*
Personen in Einzeldossiers*
Die Diagramme zeigen: Bis zum Erreichen des Pensionsalters geben Frauen und Männer in ihrer Steuererklärung ungefähr gleich viel Vermögen an. Wobei es hier einen wichtigen Disclaimer gibt: Ehepaare werden in der Schweiz bekanntlich (noch) gemeinsam besteuert; die Forscher haben daher bei Ehepaaren die Vermögenswerte je zur Hälfte der Frau und dem Mann zugeteilt. Wem die Vermögenswerte innerhalb der Ehepaare wirklich gehören, wissen wir somit nicht. Es ist aber aus anderen Ländern (bspw. Österreich und Deutschland) bekannt, dass die Anteile der Ehefrauen immer kleiner werden, je reicher ein Paar ist. Gerade bei sehr hohen Vermögen sind die wirklichen Anteile der Ehefrauen viel tiefer. Superreiche – und darunter sind historisch gewachsen vor allem Männer – sichern sich in Ehen mit Eheverträgen ab. Der Ehefrau steht im Falle einer Scheidung nur ein Bruchteil des Vermögens zu. Je ärmer ein Paar, desto eher besitzen die beiden Partner:innen gleiche Anteile am gemeinsamen Vermögen. Und bei den einzelbesteuerten Männern und Frauen zeigt sich zumindest bei den unter 65-Jährigen kein Unterschied in den versteuerten Vermögen.
Nach der Pensionierung geht die Schere aber auf: Zwar steigen die Vermögen bei beiden Geschlechtern an, bei den Männern aber stärker als bei den Frauen. Das hat mehrere Gründe: Erstens haben Männer (dank besseren Löhnen und höheren Pensen) grössere Vorsorgevermögen angespart, zweitens legen sie ihr Einkommen eher am Kapitalmarkt an und können so mehr Einkommen generieren, das sie wiederum ansparen können. Bei den über 90-Jährigen besitzen einzelbesteuerte Frauen etwa zwei Drittel des Vermögens von einzelbesteuerten Männern.
Das Statistische Amt des Kantons Zürich hat für 2018 dieselbe Berechnung anhand von Steuerdaten angestellt und kommt auf vergleichbare Resultate: Die Vermögen von Frau und Mann (einzelbesteuerte Personen) sind bis zum Pensionsalter fast gleich, danach steigen die Vermögen bei beiden Geschlechtern an, bei den Männern aber stärker als bei den Frauen.
Erben schafft Ausgleich
Dass beim Vermögen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern kleiner sind als beim Lohn, hat einen einfachen Grund: das Erben. Jeder zweite Vermögensfranken in der Schweiz stammt aus einer Erbschaft. Frauen profitieren dabei sogar mehr als Männer; Ehefrauen beerben ihre verstorbenen Männer öfters als umgekehrt, weil die Ehefrauen in der Regel jünger sind und Frauen zudem im Schnitt länger leben. (Söhne und Töchter erben in der Schweiz von Gesetz wegen gleichberechtigt; ob es auch in der Praxis immer so ist, z.B. Stichwort Unternehmensnachfolge, ist eine andere Frage für einen anderen Artikel.)
Ein besonderer Fall sind die Superreichen. In der Forbes-Liste 2023 sind 41 Personen aus der Schweiz vertreten, davon sind nur neun Frauen. Die reichste Frau in der Schweiz ist Magdalena Martullo-Blocher – bekanntlich eine Erbin. Ihr Vermögen beträgt aber mit 6.7 Mia US-Dollar nur etwa einen Fünftel des Vermögens des reichsten Mannes in der Schweiz, Gianluigi Aponte. Er besitzt 31.2 Mia US-Dollar.
Woraus bestehen die Vermögen?
Immobilien, Land, Aktien, Bargeld, Kunst und Juwelen – dies sind typische Inhalte der Blackbox «Vermögen» in der Schweiz. Wem aber was gehört und wie viel davon, wissen wir nicht. Die Steuerverwaltungen geben (bisher) nur den Gesamtwert der versteuerten Vermögen an. Offizielle Zahlen vom Bundesamt für Statistik gibt es dazu nicht, und dank Bankgeheimnis natürlich auch nicht von Banken oder Vermögensverwalter:innen.
Besserung ist in Sicht
Wer wissen will, wie in der Schweiz die Vermögenswerte zwischen Frauen und Männern verteilt sind und vor allem, woraus sie bestehen, muss also eine hohe Frustrationstoleranz haben. Bisher hat diese Frage die offizielle Schweiz offensichtlich nicht interessiert. Doch Besserung ist in Sicht: Im April 2023 beschloss der Bundesrat, dass künftig auch Daten der Steuerverwaltungen zur Erstellung von Statistiken verwendet werden können – also genau die Methode, die in der oben erwähnten SNF-Studie verwendet wurde.
Ab 2027 sollten somit verschiedenste Auswertungen auf der Basis von Informationen der Steuerveranlagung zur Verfügung stehen. Die Kategorie «Geschlecht» wird ebenfalls verfügbar sein. Inwiefern auch weitergehende Informationen erhoben werden, z.B. zur Art der versteuerten Vermögenswerte, ist noch unklar. Das BfS erklärt auf Anfrage, dass von den Kantonen unterschiedliche und unterschiedlich genaue Informationen zu erwarten seien. Das BfS werde diese so weit wie möglich harmonisieren. Zu Erbschaften und Schenkungen werde es nur aus wenigen Kantonen Informationen geben, somit sei noch unklar, ob diese für die Statistik genutzt werden könnten.
Sicher ist aber eines: Wir von ellexx bleiben dran!