Care-Arbeit ist «systemrelevant» und sollte in die Mitte der wirtschaftlichen Theorie und Praxis rücken. Das finden die beiden Autorinnen Ina Praetorius und Uta Meier-Gräwe. Die beiden kritisieren unser heutiges Wirtschaftssystem, das diesen unbezahlten Care-Sektor ignoriert und sich lediglich darauf fokussiert, was zahlungskräftige Leute sich leisten können.
In ihrem Buch «Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert» fordern sie ein Umdenken und nehmen Care-Arbeit als Ausgangspunkt für eine zukunftsfähige Wirtschaft.
Das Buch ist 2023 im Patmos Verlag erschienen. In 60 kurzen Texte beleuchten Ina Praetorius und Uta Meier-Gräwe die Care-Ökonomie. Bei ellexx publizieren wir inspirierende Texte aus dem Buch. Der dritte widmet sich dem Thema Gender Budgeting.
Als Erste versuchte die Ökonomieprofessorin Rhonda Sharp im Jahr 1984 in Australien, Staatsfinanzen geschlechtergerecht zu budgetieren. Sie hatte zunächst nachgewiesen, dass Budgetentscheidungen keineswegs geschlechtsneutral getroffen werden, sondern Abbild patriarchaler Machtverhältnisse sind. Die logische Folge dieser Erkenntnis ist Gender Budgeting: Staatliche Einnahmen und Ausgaben müssen bewusst so umgestaltet werden, dass die Bedarfe von Frauen zum Beispiel in der Verkehrsplanung, auf dem Arbeitsmarkt oder mit Blick auf den Schutz vor sexueller Gewalt angemessen berücksichtigt werden. Eines der Anliegen von Rhonda Sharp war es, die Anteile des Wirtschaftens zu berücksichtigen, die in den Statistiken damals noch fehlten, nämlich die unbezahlte Sorgearbeit und ehrenamtliche Aktivitäten.
Begeisterte Reaktionen
Auf der dritten und vierten Weltfrauenkonferenz wurde die Idee des Gender Budgeting begeistert aufgenommen und als ein Mittel angesehen, um öffentliche Gelder gerechter zu verteilen. Auch die United Nations Organisation (UNO) und der Europarat begrüssten das neue Instrument. Bereits 2002 verabredete die Konferenz der EU-Finanzminister:innen die Einführung geschlechtergerechter öffentlicher Haushaltspläne. Bis 2015 sollte die Idee umgesetzt werden. Es gibt in Brüssel sogar ein Institut, das European Institute for Gender Equality, das sich mit der Ausgestaltung des finanzpolitischen Instruments der geschlechtergerechten Budgetierung befasst.
Und dennoch: Untätigkeit auf allen Ebenen
Wie passt solche Begeisterung zusammen mit den ernüchternden Befunden, die eine Folgenabschätzung des EU-Konjunkturpakets NextGenerationEU (NGEU) in der Coronapandemie zutage gefördert hat? Die wirtschaftlichen Anreize des über 800 Milliarden Euro schweren Förderpakets, das ausdrücklich die Abschwächung der Pandemiefolgen als Ziel angibt, wurden wieder vor allem auf Wirtschaftszweige mit einem hohen Anteil männlicher Beschäftigter zugeschnitten: auf den Digital-, Energie-, Agrar-, Bau- und Transportsektor. Pflege und Gesundheit, Bildung und Sozialarbeit, Kultur und Freizeit bleiben weitgehend unberücksichtigt. Dabei stellen Frauen in der Europäischen Union 93 Prozent des Personals in Kitas, 86 Prozent der Pflegekräfte und Angestellten im Gesundheitswesen und 95 Prozent der Reinigungskräfte und Haushaltshilfen. Sieht es in den Mitgliedsstaaten besser aus?
Deutschland hat im Jahr 2006 zwar eine Machbarkeitsstudie zum Gender Budgeting vorgelegt, ist aber von ihrer Umsetzung immer noch weit entfernt. Als die Grünen im Jahr 2019 wieder einmal eine entsprechende Anfrage ans Bundesfinanzministerium richteten, bekamen sie eine haarsträubende Antwort: Ein «flächendeckendes und mechanistisches» Gender Budgeting im Rahmen des Bundeshaushalts sei kein geeignetes Mittel, um Gleichberechtigung durchzusetzen, sondern würde das bestehende Haushaltssystem des Bundes «überfrachten». Auch in Österreich, wo Gender Budgeting seit 2009 sogar in der Verfassung verankert ist, bewegt sich vorerst wenig.
Uta Meier-Gräwe
Aus: Ina Praetorius/Uta Meier-Gräwe, Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert (c) Patmos Verlag. Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2023. www.verlagsgruppe-patmos.de https://www.ellexx.com/ghost/#/editor/post/660d6aadfdbc8400016df48b