Alle reden über Kryptowährungen. Während Bitcoin & Co. lange als spekulative Investitionen für Privatanleger:innen galten, können sich künftig auch Banken der Kryptowelt nicht mehr entziehen. Gemäss einer neuen Umfrage im EY Bankenbarometer, planen 55 Prozent der Banken in den nächsten drei Jahren Kryptowährungen als Anlageklasse zu etablieren. Das Vorhaben erstaunt aufgrund des wachsenden Kundeninteresses kaum – vor dem Hintergrund des ebenfalls wachsenden ESG-Trends allerdings schon.
Die «Leitwährung» unter den Kryptos, der Bitcoin, steht regelmässig aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs in den Schlagzeilen. Spätestens seit Tesla-Gründer Elon Musk den hohen Verbrauch fossiler Brennstoffe beim Schürfen von Bitcoins kritisierte, ist die Diskussion um die Zweiteilung zwischen dem Krypto-Boom und dem Nachhaltigkeitstrend allgegenwärtig.
Wie funktionieren Kryptowährungen?
An der Kasse im Supermarkt werden Cash, Karten oder Mobile Payment Apps als Zahlungsmittel verwendet. Diese basieren entweder auf vom Staat ausgegebenen Bargeld oder auf Buchgeld, das Geschäftsbanken erschaffen. Mit Kryptowährungen hingegen können Vermögenswerte digital übertragen werden, ohne dabei auf eine Drittpartei wie eine Bank oder ein Zahlungssystem zurückzugreifen.
Die Sicherheit fast aller Kryptowährungen wird durch eine Technologie namens Blockchain garantiert. Es handelt sich dabei um ein fortlaufendes Register, das jede einzelne Transaktion aufzeichnet. Im Gegensatz zum Kontobuch einer Bank ist die Blockchain auf einem dezentralen Netzwerk von ganz vielen Geräten verteilt – diese Technik nennt sich «Distributed Ledger».
Da Daten in einer Blockchain grundsätzlich für jeden einsehbar sind, werden sie in verschlüsselter Form gespeichert. Eine Transaktion ist erst dann abgeschlossen, wenn die relevanten Daten verifiziert, in einen Informationsblock verpackt und der Blockchain hinzugefügt wurden. Für das Anhängen eines neuen Blocks gibt es unterschiedliche Konsensmechanismen, die berühmtesten sind das Proof-of-Work und das Proof-of-Stake Konzept.
Beim Proof-of-Work Konzept darf derjenige Rechner die Blockchain mit neusten Transaktionen aktualisieren, der ein vorgegebenes kryptografisches Rätsel zuerst gelöst hat. Dieser Prozess erfordert viel Rechenleistung und verursacht ein Wettrüsten unter den «Minern». Derjenige Miner, der das Rätsel am schnellsten löst, wird in Form von neuen Coins belohnt.
Beim Proof-of-Stake Konzept hingegen wir der «Validator» einer Transaktion ausgewählt. Dazu hinterlegen die Validatoren einen Krypto-Einsatz, der eingefroren wird. Basierend auf dem eingesetzten Kapital wird zugeteilt, wer die neue Transaktion validieren und an die Blockchain anhängen darf. Als Belohnung gibt es eine Transaktionsgebühr zu verdienen.
Sind Kryptowährungen Umweltsünder?
Kryptowährungen, die auf dem Proof-of-Work Konzept basieren, haben einen hohen Energieverbrauch. Lena Klaassen doktoriert an der ETH Zürich und forscht in der Gruppe Climate Finance and Policy. Sie erklärt: «Den grössten Stromverbrauch verursacht das Fortschreiben des Netzwerks, was mit dem Schürfen neuer Coins und dem Bestätigen von Transaktionen einhergeht. Das liegt daran, dass parallel diverse Mining-Farmen in einem komplexen Ratespiel versuchen, einen neuen Block hinzuzufügen. Da der Marktpreis von Kryptowährungen in den letzten Jahren stark gestiegen ist, investieren Miner in weitere Hardware, was den Stromverbrauch des gesamten Netzwerks erhöht.»
Die nach Marktkapitalisierung grösste Kryptowährung Bitcoin basiert auf diesem energieintensiven Konsens-Mechanismus. Aufgrund der Dezentralisierung des Netzwerks gestalten sich Schätzungen zum Stromverbrauch jedoch schwierig. Klaassen verwendet als Ausgangspunkt für Forschungsansätze die Rechenleistung, welche insgesamt im Bitcoin-Netzwerk zum Schürfen benötigt wird.
Der zweite wichtige Faktor sei die Effizienz der genutzten Hardware. «Abhängig vom derzeitigen Marktpreis und dem gezahlten Strompreis, können nur Geräte mit einer bestimmten Effizienz profitabel Schürfen. Im Fall von Bitcoin ist nur noch sehr spezialisierte Hardware effizient genug.» Gemäss einer Schätzung des Bitcoin Energy Consumption Index beträgt der jährliche Stromverbrauch des Bitcoin-Netzwerks über 200 Terawattstunden, was mit dem Stromverbrauch von Thailand vergleichbar ist. Laut diesem Index ist der CO₂-Ausstoss einer einzelnen Bitcoin Transaktion so hoch wie derjenige von rund 2.3 Millionen Visa Transaktionen.
Luise Vad ist ESG-Verantwortliche beim Blockchain-Unternehmen Immutable Insight. Aus ihrer Sicht muss zwischen dem Bitcoin und anderen Kryptowährungen klar differenziert werden. «Das Protokoll von Bitcoin stammt vor oder aus dem Jahr 2009 – es wäre schlimm, wenn wir heute noch den gleichen Standard hätten wie damals. Es gibt zahlreiche Distributed-Ledger Technologien und die meisten davon brauchen deutlich weniger Energie als Bitcoin.» Grund dafür ist, dass viele Kryptowährungen wie beispielsweise Cardano das Proof-of-Stake Konzept verwenden. Da hier ein anderer spieltheoretischer Ansatz greift – nämlich die Kapitalhinterlegung – seien Proof-of-Stake Währungen viel energieeffizienter, sagt Vad. Gemäss Vad ist aber auch der Vergleich mit Visa Transaktionen nicht ganz zutreffend: «Wir können nicht einfach den Energiekonsum einer zentralen Transaktion mit einer Transaktion in einem dezentralen Netzwerk vergleichen.» Deshalb vergleiche Immutable Insight den Energiekonsum auf Netzwerkebene und damit die Blockchain-Netzwerke mit der Banken- oder Goldmining-Industrie.
Anderer Meinung ist Dorothea Baur. Sie berät Unternehmen bei strategischen Fragen rund ums Thema Ethik und Nachhaltigkeit und doziert an verschiedenen Hochschulen. Sie sagt: «Wir leben in einer Zeit, in der jeglicher Energieverbrauch hinterfragt wird. Die meisten Kryptowährungen schaffen keinen echten Mehrwert, weil sie nicht wie beispielsweise Aktien an reale Werte angebunden sind. Insofern muss man sich auch beim Proof-of-Stake Konzept fragen, ob für ein spekulatives Produkt Energie verbraucht werden soll, das lediglich zur Bereicherung einzelner Investoren dient.» Sie befürchtet zudem, dass die Umstellung auf nachhaltigere Konsens-Mechanismen zu einer Art Rebound-Effekt führen könnte, also dass die Energieeinsparungen durch noch mehr Anleger:innen teils wieder aufgehoben werden.
Auch die Tatsache, dass rund 40 Prozent des Krypto-Minings aus erneuerbaren Energiequellen erfolgt, rechtfertigt für Baur den Energieverbrauch durch Kryptowährungen nicht. Die nachhaltige Energie, die fürs Mining benutzt werde, fehle beim Umstieg von anderen, emissionsintensiven Tätigkeiten auf erneuerbare Energie. Klaassen ergänzt: «Das kann nach sich ziehen, dass Kraftwerke mit schlechter Umweltbilanz, die zuvor nicht mehr benötigt wurden, wieder zum Einsatz kommen.» Allerdings sagt Klaassen, dass Mining ohne Nachteile für andere Verbraucher:innen stattfinden könnte, wenn der gesamte Stromsektor einer Region mit nachhaltigem Strom betrieben würde. Bleiben würde jedoch selbst dann der e-Waste, der durch die Hardware entsteht.
Stehen Kryptowährungen im Widerspruch zu weiteren ESG-Kriterien?
Laut der Umfrage im EY Bankenbarometer vertritt über die Hälfte aller Banken die Auffassung, dass das Anbieten von Anlagemöglichkeiten in Kryptowährungen den Nachhaltigkeitszielen der Bank nicht widerspricht.
Dorothea Baur ist erstaunt über dieses Umfrageergebnis: «Kryptowährungen sind in Bezug auf alle ESG-Kriterien bedenklich. In Bezug auf Governance beispielsweise werden Kryptowährungen nach einem ganz anderen Massstab beurteilt wie traditionelle Finanzinstrumente, insbesondere hinsichtlich Transparenz. Bei den meisten Kryptowährungen ist nämlich unklar, welchem Miner man durch Transaktionen ein Einkommen ermöglicht.» So stammt beispielsweise rund ein Fünftel der weltweiten Bitcoin-Rechenpower aus Kasachstan. Vor wenigen Wochen haben politische Unruhen im Land dazu geführt, dass das Internet zeitweise abgestellt wurde, was den Bitcoin-Kurs stark fallen liess. Gemäss Baur nehmen Investor:innen solche Risiken bewusst in Kauf, wenn sie ihr Geld in Finanzprodukte anlegen, die in autokratischen Staaten generiert werden. Auch aus Sicht der sozialen Kriterien sieht Baur Probleme bei Kryptowährungen: «Beispielsweise stellt sich mir die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, Produkte anzubieten, die rein spekulativ sind und nach der Greater Fool Theorie funktionieren.» Diese Theorie besagt, dass Investor:innen mit dem Kauf eines überbewerteten Vermögenswertes Geld verdienen können, weil jemand anderes ihn zu einem höheren Preis kaufen wird.
Luise Vad von Immutable Insight hingegen, sieht gerade in Bezug auf alle ESG-Kriterien viele Vorteile in Kryptowerte und die Blockchain zu investieren. «Es gibt Millionen von Menschen, die keinen Zugang zum traditionellen Bankensystem haben, beispielsweise weil sie zu weit weg von der nächsten Bank wohnen. Die Blockchain ermöglicht es diesen Menschen, nur mit dem Handy weltweit Geld zu transferieren, ohne zentrale Zwischeninstanz. Hierüber haben die Vereinten Nationen schon 2018 einen längeren Beitrag publiziert.» Nebst solchen sozialen Beiträgen sieht Vad auch aus Governance-Sicht Vorteile in der Blockchain. «Momentan vertrauen wir unsere Daten und unser gesamtes Kapital Institutionen an und hoffen, dass diese verantwortungsbewusst damit umgehen. Auf der Blockchain gehören die Daten uns.» Dabei stelle sie sich aber manchmal die Frage, ob die Bevölkerung dies überhaupt möchte. Ohne zentrale Zwischeninstanzen liege der verantwortungsbewusste Umgang mit Daten und Kapital bei jeder Einzelnen. Dies fange schon damit an, dass keiner je seine Private Key verlieren dürfe.