Die Kosmetikerin in New York, die Marktverkäuferin in Kolumbien, die Bäuerin in Vietnam, die Näherin in Kirgistan, die Unternehmerin in Kambodscha, die Biologin in Costa Rica, die Regisseurin in Georgien und die Lehrerin im Kosovo. Acht Frauen, die etwas gemeinsam haben: Sie arbeiten ausserhalb der eigenen vier Wände und sorgen damit für das Überleben ihrer Familie. Und ihre Stimme verhallt im Lärm dieser Welt.

Unsere Gastautorin hat diese Frauen auf ihrer einjährigen Weltreise in ihren Wohnzimmern besucht, sie bei der Arbeit begleitet und gefragt: Warum tun sie, was sie tun? Und was sind ihre Träume? 

Holprige Strassen führen durch die kleine Küstenstadt Quepos in Costa Rica. In der Hochsaison von Dezember bis März strömen Tourist:innen aus aller Welt hierher. Der Ort liegt unweit des Nationalparks Manuel Antonio. Faultiere schlafen dort hoch oben in den Baumkronen, Äffchen balancieren über Stromkabel, Kolibris schwirren umher. Der Park erstreckt sich über eine Fläche, die zweimal so gross ist wie der Central Park in New York.

Beatriz Villanueva Castro (31) kennt jeden Winkel des 52-jährigen Nationalparks. Sie weiss, wo meist eine Schlange zu sehen ist, erspäht die grün-graue Echse vor allen anderen und entdeckt einen grellgrünen Frosch in einem aufgerollten Blatt.

Seit 2017 ist sie Tourguide in diesem Park. Wenn sie von ihrer Begeisterung für Flora, Fauna und Tierwelt erzählt, denkt sie zurück an ihre Kindheit. An «Animal Planet», ihre Lieblingssendung. «Andere Kinder liebten Cartoons oder Kinderfilme. Ich schaute einem Löwen zu, der den Bauch eines Zebras aufreisst.»

Beatriz Villanueva Castro
Geld war immer knapp. Manchmal musste ich mich entscheiden, ob ich abends etwas esse oder ob ich den Bus nehme.

Villanueva Castro ist in Buenos Aires in der Provinz Puntarenas aufgewachsen. Eine Kleinstadt im Süden Costa Ricas, unweit der panamaischen Grenze. Mit 17 Jahren zog sie fürs Studium in die Nähe der Hauptstadt San José. Plan A lautete, Tierärztin zu werden. Doch da nur wenige Studierende pro Jahr zugelassen werden, musste Plan B herhalten: Villanueva Castro studierte Biologie.

Hundesitterin, Pflegerin, Malerin

Bis zum Abschluss musste sie zahlreiche Hindernisse überwinden. Sie kämpfte mit der Einsamkeit; Mathematik und Chemie forderten sie mehr heraus als gedacht; das Geld war immer knapp. «Manchmal musste ich mich entscheiden, ob ich abends etwas esse oder ob ich den Bus von der Uni bis zu meiner Wohnung nehme.»

Die Eltern versuchten ihre Tochter zu unterstützen, hatten aber selbst nicht viel. Und Villanueva Castro wollte nicht zur Last fallen. Deshalb arbeitete sie.

Sie war Hundesitterin, pflegte eine 99-Jährige und bemalte Wände von Kindergärten mit bunten Tierwelten. In besonders schwierigen Momenten dachte Villanueva Castro an ihren Vater. Der sagte zu ihr: «Sei wie Bambus. Ein Bambusrohr kann man bis zur Erde hinunter biegen, aber es bricht nie.»

Gegen Ende des Studiums erhielt Villanueva Castro die Stelle im Nationalpark Manuel Antonio. Jeden Donnerstagnachmittag stand die vierstündige Busfahrt zum Park an, wo sie von Freitag bis Sonntag bis zu vier Touren pro Tag leitete. Am Montag ging es um drei Uhr morgens wieder zurück an die Uni. 


Unterdessen ist Villanueva Castro Vollzeit angestellt. Obwohl sie sich als Studentin einen etwas anderen Job vorgestellt hatte. Sie sagt: «Ich hatte diese romantische Vorstellung, dass ich als Biologin mitten im Dschungel neue Tierarten erforschen und wissenschaftliche Publikationen schreiben werde.»

Zu Beginn haderte sie mit ihrem eingeschlagenen Weg. Sie dachte, sie verschwendet ihr Studium. Heute ist sie glücklich, Gästen aus aller Welt den Park zu zeigen und an Forschungsprojekten in der Umgebung mitzuarbeiten.

Eine Ausnahme in Costa Rica

Mit ihrem Lohn unterstützt Villanueva Castro ihre Eltern. Vater und Mutter haben sich vor wenigen Jahren mit einem Catering-Betrieb selbstständig gemacht. Doch das Geld sei oft knapp, sagt Villanueva Castro. Darum schickt sie ihrer Mutter regelmässig kleinere Beträge. «Mein Vater weiss nichts davon, denn er ist zu gut darin, Geld auszugeben.» Villanueva Castro lacht. Ständig finde er etwas, das gerade im Ausverkauf ist. «Darum ist das Geld ein Geheimnis zwischen meiner Mutter und mir», sagt sie und zwinkert verschwörerisch.

Beatriz Villanueva Castro
Mein Vater weiss nichts von meiner finanziellen Unterstützung an meine Mutter, denn er ist zu gut darin, Geld auszugeben.

Mit ihrer finanziellen Unabhängigkeit ist Villanueva Castro nicht die Regel in Costa Rica. Ein Drittel der Frauen im zentralamerikanischen Land hat kein eigenes Einkommen, kein eigenes Bankkonto. Beides Faktoren, die zu einer grossen Abhängigkeit führen können – vor allem von männlichen Familienmitgliedern oder Partnern. Und die wiederum Gewalt in diesen Beziehungen begünstigen.

«Lass dir von niemandem dein Licht nehmen»

Beatriz Villanueva Castros Ex-Freund missbrauchte sie. Er schrie, beleidigte, warf mit Gegenständen nach ihr. Eigentlich hatte sie nicht darüber sprechen wollen. Aber: «Falls es irgendwo eine Frau gibt, die das gerade hören muss: Du bist stark. Werde keine Zahl in einer Statistik.»

Neueste Angaben des Gesundheitsministeriums von Costa Rica zeigen eine besorgniserregende Zunahme an Fällen häuslicher Gewalt: Waren es 2020 noch rund 4300, wurden im vergangenen Jahr fast 11'000 Fälle verzeichnet.

Beatriz’ Stimme zittert. Sie stockt, doch sie will ihre Botschaft loswerden. Mehr zu sich selbst sagt sie mit Tränen in den Augen: «Lass dir von niemandem dein Licht nehmen, denn es ist dein eigenes. Niemand anderes kann es ausschalten.» Nach zwei Jahren schaffte sie es, sich aus der Beziehung zu befreien.

Ihre Hündin Blue vertraute daraufhin keinem Mann mehr. Wann immer sich einer näherte, fletschte sie ihre Zähne.

Bis Andrés Espinoza Fonseca kam. Er ist ebenfalls Tourguide im Nationalpark Manuel Antonio. Und die neue Liebe im Leben von Beatriz Villanueva Castro, ihren drei geretteten Strassenhunden und den 22 Fischen, die er mit in die Beziehung brachte.

Zur Autorin: Silvana Schreier ist aktuell Redaktorin bei der Regionalzeitung «bz – Zeitung für die Region Basel». Während ihrer Reise hat sie als freischaffende Journalistin gearbeitet. Sie lebt in Olten.

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