Selfmade Women sind noch immer die Ausnahme. Doch Frauen holen auf, wenn es ums grosse Geld geht. Als Erbinnen zeigen sie sich unterschiedlich selbstbewusst - und philanthropisch.
Ein Vermögen von 73,6 Milliarden US-Dollar - das übersteigt jede Vorstellungskraft. So viel Geld besitzt gemäss dem eben publizierten Forbes-Ranking die Französin Françoise Bettencourt-Meyers, und ist damit erneut die reichste Frau der Welt. Nach dem Tod ihrer Mutter Liliane Bettencourt wurde Françoise zur Alleinerbin des von ihrem Grossvater gegründeten Unternehmens L'Oréal.
Frauen holen auf, wenn es ums grosse Geld geht, doch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern bleibt: Der reichste Mann ist Elon Musk, der Mitgründer von Paypal und Vorstandsvorsitzende des E-Autoherstellers Tesla besitzt derzeit rund 304,2 Milliarden US-Dollar. Relevant ist jedoch weniger die Summe des Vermögens als die Tatsache, dass die reichsten Frauen das Geld in der Regel geerbt - und nicht selbst erwirtschaftet haben. Wer ein Vermögen erwirtschaften will, muss Unternehmer:in werden - und diesen Weg wählen Frauen selten(er). Sogenannte Selfmade Women sind noch immer die Ausnahme. Erbinnen nicht.
Erben Frauen anders?
Ja, Frauen erben anders, das sagt zumindest die Fundraising-Expertin Marita Haibach, die bereits 2001 ein gleichnamiges Buch darüber geschrieben hat. Gemäss der ehemaligen hessischen Landtagsabgeordneten haben Erbinnen - im Unterschied zu Erben - ein gespaltenes Verhältnis zum vererbten Vermögen. Erbinnen hätten oft das Gefühl, nur selbstverdientes Geld sei auch gutes Geld. Bei vielen Frauen werfe das Erbe persönliche Fragen, Zweifel und Ängste auf. Haibach hat um die Jahrtausendwende herum das deutsche Erbinnennetzwerk Pecunia mitbegründet. Es soll Erbinnen die Möglichkeit geben, sich in einem geschützten Rahmen auszutauschen. Der Tagesspiegel spricht von einer Selbsthilfegruppe für Reiche. Voraussetzung für den exklusiven Klub ist ein Erbe von mindestens einer halben Million Euro. Gegenüber den Medien sind die Erbinnen zurückhaltend. Intern spricht sich frau nur mit Vornamen an, um die Anonymität zu wahren.
Lediglich mit ihrem Vornamen Auskunft geben möchte auch Pecunia-Mitglied Gabriele. Damit wagt sie zum ersten Mal einen kleinen Schritt in die Öffentlichkeit. Ein weiteres Mitglied spricht mit elleXX sogar nur unter ihrem Pseudonym Mary Lou. Beide sagen: Wenn es ums Erbe geht, regiert die Scham.
«Ein Erbe überfordert Frauen nicht»
Glaubt man der Soziologin Katja Rost, sind die beiden Erbinnen allerdings eher eine Ausnahme. Rost lehrt an der Universität Zürich und ist - anders als Haibach - überzeugt: «Ein Erbe überfordert Frauen nicht», wie sie im Gespräch sagt. In der Regel würden Erbinnen in die entsprechenden Zustände hineinwachsen. So auch Ise Bosch, eine Enkelin des Industriellen Robert Bosch. Sie gehört ebenfalls zum Pecunia-Netzwerk - und hat bereits zur Geburt eine Million Euro überwiesen bekommen. In den Medien vertritt sie selbstbewusst die Ansicht, als Erbin mit ihrem Geld aktiv die Gesellschaft gestalten zu wollen, indem sie Macht weitergebe.
«Wir alle», so ist Rost überzeugt, «bewegen uns normalerweise in geschlossenen sozialen Kreisen - nicht zwischen ihnen». Wer sich dennoch in anderen gesellschaftlichen Schichten bewegt, dem könne das Erbe schnell einmal unangenehm werden.
Dieses Spannungsverhältnis kennt Mary Lou durchaus. Sie hat zwar seit Kindesbeinen gelernt, sich in der Welt der Wohlhabenden zu bewegen, ist selbst aber in Kunst- und Kulturkreisen unterwegs. Ihre Freunde hat die gelernte Fotografin über die Höhe ihres geerbten Vermögens absichtlich im Unklaren gelassen, um Konflikte zu vermeiden. Psychologin Gabriele ist hingegen bescheiden aufgewachsen. Sie blickt zurück: «In meiner Vorstellung waren die Reichen schuld, dass die Schere der Ungerechtigkeit immer weiter auseinander geht. Plötzlich selber zu dieser Gruppe zu gehören, das war für mich schwierig.» Durchs Erben hat Gabriele gemerkt: «DIE Reichen gibt es so gar nicht.»
Frauen erben selbstbewusst
Soziologin Rost ist überzeugt: «Von diesen unterschiedlichen Referenzgruppen abgesehen, gibt es beim Erben jene Schwierigkeiten, mit denen Frauen in ihren beruflichen Karrieren konfrontiert sind, nicht.» Denn: «Es gibt beim Erben keine gläserne Decke.» Zudem seien Frauen, wenn sie ihr Erbe antreten, heute älter und somit gelassener, erklärt die 45-jährige Soziologin. «Frauen und Männer unterscheiden sich in jungen Jahren in ihrem Wettbewerbsverhalten.» Frauen scheuten Wettbewerb, Männer liebten ihn. Im Alter gleiche sich dies an. Mit der Reproduktivität der Frau nehme der gesellschaftliche Druck ab, ihr Risikobewusstsein hingegen steige. Weil die Durchschnittserbin immer älter wird - früher erbte man mit 40, heute eher mit 60 - kann laut Katja Rost davon ausgegangen werden, dass Erbinnen genauso selbstbewusst mit ihrem Erbe umgehen wie Männer.
Dieses Selbstbewusstsein hat sich Gabriele, mittlerweile 53, angeeignet. Sie sagt: «Das Netzwerk Pecunia hat mir dabei geholfen. Ich möchte Frauen ermutigen, diesen Schritt bei Bedarf ebenfalls zu tun. Frauen können sich gegenseitig unterstützen, selbstbewusste Erbinnen zu werden.» Auch Mary Lou, heute 56, ist an der Verantwortung gewachsen. Sie hatte ihre Mühen, sich in den «patriarchalen Strukturen der Unternehmenswelt» zurecht zu finden. «Ich musste lernen, meine Wünsche selbstverständlicher zu äussern, Männern fällt das leichter.»
Ein Blick in die Geschichte
Ein Blick in die Geschichte zeigt ein zwiespältiges Bild, wenn es um Frauen und ihr Erbe geht. So haben Frauen in der Schweiz zwar bereits im 17. und 18. Jahrhundert durchaus erfolgreich geerbt, weniger allerdings von ihren Vätern als von ihren Ehemännern. Während es ihnen damals bis zum Tod der Gatten verboten blieb, einen Beruf auszuüben, durften sie nach deren Ableben die jeweiligen Positionen ihrer verstorbenen Ehemänner in den Zünften und der Unternehmensführung erfolgreich übernehmen. Auch in Deutschland war es den Ehefrauen bis 1958 nicht gestattet, ihr eigenes Vermögen zu verwalten.
Früher waren es ausschliesslich die Söhne, die in die Fussstapfen der Väter traten. Dies hat sich mittlerweile geändert, zumindest in der westlichen Welt. Schon seit Jahren werden Töchter genauso auf das Erbe vorbereitet, wie in der Schweiz das Beispiel der Familie Blocher zeigt. Magdalena Martullo-Blocher führt nicht nur das politische Erbe ihres Vaters Christoph Blocher als SVP-Nationalrätin und Mitglied der Parteileitung erfolgreich weiter. Auch als Unternehmerin hat sie ihren Vater, der den Ems-Konzern zum weltweiten Zulieferer der Autoindustrie aufgebaut hatte, bereits übertrumpft.
Frauen und Männer werden nach wie vor sehr unterschiedlich sozialisiert - und dies bereits in der frühesten Kindheit, relativiert Katja Rost. Traditionelle Rollenbilder erklären deshalb das philanthropische Verhalten von Erbinnen. Beide Expertinnen sind sich einig: «Vermögende Frauen zeigen meist ein grösseres philanthropisches Engagement als Männer, sie spenden und stiften eher», wird Haibach in einem taz-Beitrag zitiert.
Mary Lou und Gabriele haben ihre philanthropischen Steckenpferde noch nicht gefunden. Mary Lou hat erst einmal Zeit gebraucht, um sich zu sortieren. Und Gabriele macht sich nach wie vor Gedanken über das Spenden auf Augenhöhe. Ihr Ziel sei es eben gerade nicht, durchs Spenden strukturelle Ungleichheit aufrecht zu erhalten. Beide wollen sie der Gesellschaft etwas zurückgeben.