André Wall, Sie sind CEO der RUAG International und haben trotzdem Kinder, geht das überhaupt?
Es gehen sogar vier Kinder. Da wächst man mit, man verändert sich. Mittlerweile bin ich weniger Vater, sondern mehr Kumpel. Sie sind schon gross. Nun hat auch der Kleinste mit 18 Jahren das Haus verlassen.
Ich muss aber zugeben, dass ich ohne meine Frau diesbezüglich keine Chance gehabt hätte. Wir ergänzen uns gut. Ich war immerhin jedes Wochenende (zögert) - also fast jedes - Wochenende zuhause. Wenn ich da war, dann war ich da, nicht noch halbwegs am Telefon oder Rechner und vom Job abgelenkt.
Tut mir leid. Kann ich mir nicht vorstellen.
Doch es war so, auch am Anfang der Karriere, wo ich mich richtig reingebissen habe. Aber wenn ich nach Hause kam, dann umarmte ich die Kleinen und kaum waren die Ärmchen um den Hals geschlungen, war die Welt auch wieder in Ordnung für mich, die Sorgen vergessen, der Abend zurückgewonnen. Je älter sie werden, desto anspruchsvoller wurde es natürlich. Da muss man mithalten können.
Der Beruf hat den Papi doch auch spannend gemacht. Sonst hätte ich sie vielleicht nur gepiesackt oder kontrolliert.
Konnten Sie?
Ich nahm das wirklich ernst. Ein schönes Beispiel: Als der FC Witikon keine Jugendtrainer mehr fand, bin ich eingesprungen und habe das Amt übernommen. Ich habe mir diesen Termin fix in den Kalender eingetragen. Mir hat das auch beruflich geholfen. Zwei Stunden auf dem Spielfeld einmal komplett abzuschalten und danach wieder kreativ im Job zu sein. Das ist wie ein Schalter, der Energie gibt. Und sind wir ehrlich: Der Beruf hat den Papi doch auch spannend gemacht. Sonst hätte ich sie vielleicht nur gepiesackt oder kontrolliert.
So wie Ihre Frau das gemacht hat?
(stutzt kurz, schüttelt lächelnd den Kopf). Bestimmt nicht.
Klingt trotzdem schönfärberisch, sie waren Top-Manager in der Airline-Industrie und wohl zwei Drittel der Zeit von zuhause weg?
Ja, das stimmt. Und ja, es ging nicht immer, diesen Job mit der Familie zu vereinbaren. Ich habe auch einige Flieger verpasst und war sehr international unterwegs. Mein Leitsatz war in der Familie wie im Beruf “underpromise and overdeliver”. Es ist schlimmer, wenn man zu viel als zu wenig verspricht. Eher sagen, dass es eng wird und dann doch überraschend da sein.
Mein Leitsatz war in der Familie wie im Beruf “underpromise and overdeliver”. Es ist schlimmer, wenn man zu viel als zu wenig verspricht.
Und die Kinder habe ich auch viel auf Reisen mitgenommen. Die können gar nicht zählen, wie viel sie in ihrem Leben geflogen sind. Rückblickend waren sie manchmal fast zu klein dafür und wurden unterwegs auch mal krank. Die wurden schon auf Flexibilität getestet, aber geschadet hat das wohl nicht, so international und cool wie sie jetzt sind. Meine Tochter war schon mit 16 bei einer Gastfamilie in Texas. Da bin ich gar selber hingeflogen, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist.
Aha, Sie sind also eine “Gluggere” oder eher ein Tiger Dad?
Sie hörte sich am Telefon einfach nicht so gut an. Deshalb wollte ich mir selbst einen Eindruck verschaffen, wo und wie sie untergebracht ist. Das Umfeld wollte ich auch sehen.
Was ist Ihnen wichtiger: Job oder die Familie?
Diese Frage ist einfach. Die Familie ist mir wichtiger, wenn jemand mich brauchen oder es jemanden gesundheitlich nicht gut gehen würde, könnte ich sofort mit dem Job aufhören.
(Zweifelnder Blick der Journalistin, Wall hält dem Blick stand.)
Sind Sie eigentlich auch der Chef in der Familie?
(lacht) Chef bin ich in der Familie schon lange nicht mehr. Meine Frau und meine älteste Tochter sind die Chefinnen.
Haben sie zu den Töchtern eine andere Beziehung als zu den Söhnen?
Ja, das ist spannend. Den Söhnen versuche ich eher ein Kumpel zu sein und wir sprechen viel über gleiche Interessen und Sachthemen. Der Grosse ist nun auch in der Luftfahrt. Mit meiner jüngeren Tochter führe ich viel persönlichere und psychologische Gespräche. Sie fragt mich beispielsweise, wie ihr Freund tickt und wie Männer denken.
Aber wie hat Ihre Frau eigentlich um Ihre Hand angehalten?
Das war umgekehrt. Ich muss zugeben, dass ich schon ordentlich um sie kämpfen und nachgraben musste. Ich habe zwei-, dreimal nachgefragt.
Warum haben sie eigentlich eine typische Männerfachrichtung gewählt, so ein soziales Gebiet?
Hm, ja, Maschinenschlosser ist wohl schon sehr stereotyp. In jungen Jahren wusste ich nicht, was ich tun sollte. Meine Mutter wollte lieber, dass ich mich in eine Bank stelle. Ich konnte mich aber nicht damit anfreunden. Dann hat mir mein Vater einen Tritt in den Hintern gegeben und es hat mir gefallen, aus Dingen etwas zu fabrizieren. Ich war sogar bei der Gewerkschaft IG Metall. Danach wollte ich studieren. Ich hatte Glück. Es war immer wieder jemand da, der mich gefördert hat. Bis hin zum High Potential-Programm bei Rolls Royce.
Alles Männer, die Sie gefördert haben?
Bei den Vorgesetzten, ja. Wer mir aber mit Rat und Weisheit geholfen hat, waren oft Frauen. Ich habe auch in japanischen Märkten gearbeitet. So habe ich bei einer älteren Dame japanisch gelernt. Sie hat gemerkt, dass mich etwas bedrückt und sich danach meine Präsentation angeschaut. Sie kannte die Kultur am besten und hat die Seiten als viel zu kompliziert eingeschätzt. Der Top-Manager sei viel zu weit weg vom Thema. Sie hat mir empfohlen, das Ganze viel, viel einfacher aufzubauen. Das hat super funktioniert.
Ein Mann an der Spitze einer Rüstungsfirma, wie soll das eigentlich gehen?
Also wir konzentrieren uns nun auf das zivile Geschäft. Wir haben schon fast alle rüstungsnahen Einheiten verkauft.
Aber noch nicht alle.
Nein. Die Einheiten für das militärische Training und die Herstellung von Munition sind noch da. Aber das verkaufen wir alles. Wir konzentrieren uns auf die Weltraumtechnik. Dies ist die Strategie. Ich bin ja auch neu in der Weltraumfahrt. Sie ist technologisch zwar verwandt mit der Aviatik, aber trotzdem ein neues Gebiet für mich. Wer mich intern am meisten für das Thema begeistert, ist eine Frau, eine Schweizerin. Sie will Astronautin werden.
Haben sie selbst Militärdienst geleistet?
Nein. Aber ich war kein Verweigerer im klassischen Sinn. Ich bin in Westberlin aufgewachsen. Und Westberliner werden nicht an der Waffe ausgebildet. Dadurch habe ich keinen Wehrdienst geleistet.
Die grösste Aktionärin der RUAG ist der Bund. Da hat zurzeit die Verteidigungsministerin das Sagen. Wie gehen sie mit einer weiblichen Chefin um?
Genauer gesagt habe ich zwei Chefs: Die Verteidigungsministerin und den Finanzminister. Ja, wir sitzen fast jeden Monat zusammen. Beide sind super souverän. Auch wenn es mal Turbulenzen in der Presse gibt: sie managt das ruhig und gelassen, einfach genial. Ich geniesse jede Sitzung.
Was können sie von Viola Amherd lernen?
Den diplomatischen politischen Umgang mit schwierigen Themen. Wir hatten ja beispielsweise schlechte Presse wegen unserer IT-Sicherheit. Sie bleibt dann ruhig, analysiert genau: was sind die Fakten, was sind Emotionen? Danach macht sie eine sorgfältige Abwägung der Sachlage.
Viola Amherd managt das ruhig und gelassen, einfach genial. Ich geniesse jede Sitzung.
Sie sind auch ein harter Sanierer, haben Sie nicht Angst, dass Sie sich unbeliebt machen und Menschen verletzen?
Ja, das musste ich und ich weiss, dass ich Menschen verletzt habe. Man hat natürlich immer den Wunsch, dass alle die Geschäftsentscheide nachvollziehen können. Es gibt sicher einige, bei denen ich nicht beliebt bin. Aber das Ziel ist, Arbeitsplätze zu sichern. Man muss sich vor den Spiegel stellen können und klar darüber sein, dass es keine andere Lösung gab. Damit kann ich leben.
Wenn dann ein Rest Unsicherheit da ist, dann haue ich mir auf die Brust und sage: Ja, das schaffe ich.
Fragen Sie sich nie, ob Sie das alles können?
Doch, das frage ich mich ständig. Und wenn dann ein Rest Unsicherheit da ist, dann haue ich mir auf die Brust und sage: Ja, das schaffe ich.
Wie verbringen Sie eigentlich ihre Me-Time? Mit Joghurt-Masken? Wellness?
(lacht) Joghurt-Maske ist gut. Wenn ich auf Reisen bin und es gibt da einen Spa-Bereich, dann bin ich der Erste, der sich einbucht. Inklusive Maniküre oder Pediküre, das ganze Drum und Dran.
Wenn ich auf Reisen bin und es gibt da einen Spa-Bereich, dann bin ich der Erste, der sich einbucht. Inklusive Maniküre oder Pediküre.
Auf was achten Sie bei ihrem Business-Look?
0815-Standard. Ich habe Glück, dass ich eine Grösse habe, die passt. Ab Stange. Da passe ich gut rein und kann schnell einkaufen.
Sie sind gertenschlank, wie halten sie sich fit?
Ich versuche einigermassen fit zu bleiben, damit ich mit meinen Kids mithalten kann. So gesund der Geist, so gesund der Körper. Es ist eine gute Investition, sich fit zu halten. Ich bin mit mir okay.
Wie gehen Sie mit Ihren Hormonschwankungen um?
(grinst) Ich nehme sie so wie sie kommen. Ja, ich habe auch meine Hormonschwankungen.
Da haben wir ja einen guten Tag im Zyklus erwischt. Nicht jeder CEO stellt sich so geduldig diesen Fragen. Danke für das Gespräch.