Woraus bestehen die Vermögen?
In haben Teil 1 wir einen Überblick über die Vermögensunterschiede zwischen Männern und Frauen in Europa gegeben, insbesondere in Bezug auf die angesparten Rentenguthaben. In Teil 2 ging es um die Schweiz: Aus Berechnungen auf der Basis von Steuerdaten wissen wir, dass bis zum Erreichen des Pensionsalters die Vermögen etwa gleich verteilt sind und dass danach die Männer schneller reicher werden als die Frauen, bis im hohen Alter die Frauen nur noch etwa zwei Drittel des Vermögens der Männer besitzen.
Woraus diese Vermögenswerte bestehen, wissen wir hingegen nicht. Offizielle Zahlen vom Bundesamt für Statistik oder den Steuerverwaltungen gibt es dazu nicht, und dank Bankgeheimnis natürlich auch nicht von den Banken oder Vermögensverwalter:innen. Die Steuerverwaltungen geben (bisher) nur den Gesamtwert der versteuerten Vermögen an. In Frage kommen beispielsweise Land, Immobilien, Aktien, Bargeld, Kunst und vieles mehr.
Machen wir uns also auf die Suche!
Frauen besitzen weniger Land als Männer
Global gesehen ist die Verteilung des Landbesitzes ein zentraler Indikator für Gleichstellung, insbesondere in landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften. Wer Land besitzt, kann sich ernähren, kann Überschüsse verkaufen, ist unabhängig. Das weltweite Datenportal «Our World in Data» zeigt, dass fast überall auf der Welt viel weniger Frauen Land besitzen als Männer; in gewissen Regionen sind weniger als zehn Prozent der Landbesitzer:innen Frauen. Allerdings bietet das Portal zu den europäischen Ländern – mit Ausnahme Albaniens – keine Daten. Der naheliegendste Grund dafür ist, dass die Weltbank, von der das Portal die Daten übernimmt, zu Europa keine Daten erhebt – oder dass die europäischen Länder diese Daten nicht zur Verfügung stellen.
Agrarland in der Schweiz
Im Fall der Schweiz ist es tatsächlich so, dass zum Landbesitz bzw. den Besitzer:innen von Landflächen keine systematischen Daten erhoben werden. Einen kleinen Einblick gibt es nur im Bereich des Agrarlandes. Diesen verdanken wir der Tatsache, dass die finanzielle Situation von Bäuerinnen in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten hat (auch bei ellexx). Traditionell gehörten die Bauernhöfe den Männern, und die Frauen arbeiteten mit – oft ohne Lohn und Sozialversicherungen. Seit vielen Jahren gibt es Bemühungen, diese Situation zu verbessern, und entsprechend werden immer wieder Daten erhoben. 2022 ergab eine Umfrage der Vereinigung AGRIDEA, dass ungefähr ein Drittel der Teilnehmerinnen Besitzerin oder Mitbesitzerin ihres Betriebs waren.
Auch in der Schweiz ist es also so, dass mehr Männer (Landwirtschafts-)Land besitzen als Frauen. Aber die Schweiz ist schon längst keine Agrarnation mehr. Wie relevant ist also diese Tatsache für die Gesamtsituation der Frauen?
Eine von tausend Berufsfrauen ist Bäuerin
Das Bundesamt für Statistik zählte für das Jahr 2020 49’876 Betriebe der Kategorie «Landwirtschaft, Jagd und damit verbundene Tätigkeiten». In einer einmaligen Zusatzauswertung aus demselben Jahr ermittelte das BfS, dass auf diesen Betrieben rund 28'000 Ehefrauen bzw. Lebenspartnerinnen (und rund 3000 Ehemänner/Lebenspartner) mitarbeiteten.
Ebenfalls für 2020 zählte das BfS insgesamt rund 2,3 Millionen erwerbstätige Frauen. Die Bäuerinnen (d.h. Betriebsleiterinnen/Mitbesitzerinnen/Partnerinnen des Besitzers) machen also nur etwas mehr als ein Promille aller arbeitenden Frauen aus. Die anderen 999 Promille der Frauen sind von der Frage, wem das Agrarland gehört, nicht betroffen.
Und was ist mit Bauland?
Auch aus einem weiteren Blickwinkel ist die Verteilung des Agrarlandes wahrscheinlich nicht der wichtigste Indikator. Zwar machen (Stand 2018) landwirtschaftliche Flächen mit 14'525 Quadratkilometern etwas mehr als ein Drittel der Gesamtfläche der Schweiz aus. 23'495 Quadratkilometer oder rund 57 Prozent des Bodens sind unproduktiv oder bewaldet, und nur 3271 Quadratkilometer oder 7.9 Prozent sind Siedlungsfläche. Diese 7.9 Prozent sind aber wesentlich mehr wert als die Landwirtschaftsfläche – Bauland ist bis zu tausendmal teurer als Agrarland. Und somit möchten wir gerne wissen, wem es gehört. Aber dazu gibt es – du ahnst es schon – keine offiziellen Daten.
Wem gehören Immobilien?
Land gilt, wie Gebäude, als Immobilie. Die Eigentümer:innen von Immobilien sind in den kantonalen Grundbüchern verzeichnet; diese wiederum sind (grösstenteils) digital geführt und (mit Einschränkungen) öffentlich zugänglich. Eine computerisierte Auswertung nach verschiedenen Kriterien wäre somit technisch möglich, wird aber bisher nicht gemacht. Es bleibt die manuelle Abfrage – und zwar einzeln, Grundstück für Grundstück. Um ein Gesamtbild zu erhalten, müsste man Millionen solcher Einzelanfragen tätigen – buchstäblich: 2022 zählte das Bundesamt für Statistik 1,8 Mio Gebäude mit Wohnnutzung und ca. 1,1 Mio ohne Wohnnutzung. Diese Arbeit hat bis jetzt noch niemand geleistet – lediglich zwei kleine Gebiete wurden schon auf diese Weise «bearbeitet»: Basel und ein winziger Teil von Zürich.
Wem gehört Basel?
Das Onlinemagazin Bajour hat 2021 in der Crowdsourcingaktion «Wem gehört Basel?» die Daten zu allen rund 25’000 Gebäuden von Basel aus dem Grundbuch herunterladen lassen. Das Geschlecht der Besitzer:innen ist dort jeweils nicht angegeben; aber die Vornamen können einem binären System zugeordnet werden und ergeben 56.9 Prozent männliche und 43.1 Prozent weibliche Besitzer:innen von Immobilien. Ob diese Personen die Immobilien allein oder mit anderen zusammen besitzen sowie wie wertvoll die Immobilien sind, bleibt unbekannt.
... und wem die Zürcher Dufourstrasse?
Ein ähnliches Projekt lancierte das Zürcher Stadtmagazin tsüri.ch Anfang 2022 mit der Aktion «Wem gehört das Seefeld?». Das Zürcher Grundbuch war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht digitalisiert verfügbar, Eigentumsinformationen wurden nur sehr spärlich per Telefon preisgegeben. Das Seefeld-Projekt konzentrierte sich deshalb von Anfang an nicht auf eine vollständige Übersicht, sondern auf Einzelfälle, die Rückschlüsse auf das ganze Quartier ermöglichen sollten. 2023 konnte tsüri.ch in Zusammenarbeit mit dem Quartierverein Riesbach immerhin vollständige Daten für einen Teil des Seefelds erhalten und die Besitzerinnen und Besitzer der 107 Gebäude bzw. Grundstücke an der Zürcher Dufourstrasse ermitteln. (Hier kannst du den Bericht des Quartiervereins Riesbach lesen und hier den von tsüri.ch.)
Zur Geschlechterverteilung kam folgendes heraus: 54 Gebäude gehören natürlichen Personen, davon 27 einzelnen Privatpersonen – 15 Frauen und 12 Männern. 15 Gebäude gehören mehreren Personen, wobei das Geschlechterverhältnis insgesamt fast ausgeglichen ist. Die übrigen 12 Gebäude im Besitz von Privatpersonen gehören einfachen Gesellschaften und Erbengemeinschaften. Bei den einfachen Gesellschaften überwiegen die Männer, bei den Erbengemeinschaften die Frauen.
Es zeigt sich somit, dass an der Dufourstrasse die Häuser, die sich in Privatbesitz befinden, etwa zu gleichen Teilen Frauen wie Männern gehören. Auffällig ist, dass unter den Alleinbesitzerinnen Frauen eine (wenn auch kleine) Mehrheit darstellen. Viele dieser Besitzerinnen sind älter und haben ihre Immobilie von ihrem Ehemann geerbt, während die Männer ihre Immobilien eher gekauft haben.
Der «Frauenüberhang» unter den hochbetagten Immobilienbesitzenden bestätigt sich in einer Auswertung von kantonalen Steuerdaten durch das Statistische Amt des Kantons Zürich.
Anteil unverheirateter Frauen und Männer, die Liegenschaften besitzen
Bis zum 50. Geburtstag besitzen im Kanton Zürich ungefähr gleich viele Männer und Frauen Liegenschaften, danach überwiegen die Männer – aber nicht sehr stark. Ab dem Alter von ca. 80 Jahren nimmt der Liegenschaftsbesitz für beide Geschlechter ab, und bei den über 90-Jährigen besitzen mehr Frauen Liegenschaften als Männer. (Auch hier ist der übliche Disclaimer zu setzen: Wir wissen nicht, um welche Art von Liegenschaften es jeweils geht, wie viel sie wert sind und ob die Personen die Liegenschaft allein besitzen oder in einer Gemeinschaft.)
Wem gehören die Firmen?
Und was ist mit den Unternehmen? Bei ellexx schreiben wir oft über Neugründungen von Start-ups und darüber, wie wenige davon von weiblichen oder gemischten Teams gegründet werden. (Zum Beispiel hier und hier.) Die Zahlen, die diesen Artikeln zugrunde liegen, stammen nicht vom Bundesamt für Statistik, sondern wurden durch Umfragen erhoben. Und nicht nur zu Start-ups erhebt das BfS keine Daten, sondern auch nicht zu bestehenden Firmen. Die Zusatzerhebung zu den Bauernhöfen, die wir oben erwähnt haben, ist eine der wenigen offiziellen Statistiken der Schweiz zu den Besitzverhältnissen von Firmen.
Landwirtschaftliche Betriebe, d.h. Bauernhöfe, gehören zu den Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU). Für das Jahr 2020 zählte das BfS 598’772 KMU mit bis zu 249 Mitarbeitenden; dazu gehörten die erwähnten 49’876 Betriebe der Kategorie «Landwirtschaft, Jagd und damit verbundene Tätigkeiten» mit 1 bis 9 Mitarbeitenden und 887 grössere Höfe mit 10 bis 49 Mitarbeitenden. Die Landwirtschaftsbetriebe machen also etwa einen Sechstel aller Schweizer KMU aus; was aber ist mit den übrigen 550'000 Firmen?
Sackgasse Handelsregister
Die erste Adresse für Auskünfte über Firmen wären die kantonalen und das nationale Handelsregister. Sie sind online zugänglich und verzeichnen alle Aktiengesellschaften und GmbHs. Allerdings kann aus den Einträgen nicht ersehen werden, wem die Firmen gehören. Dies bestätigt Carla Kaufmann, CEO von GetDiversity und Herausgeberin des jährlichen Diversity Reports über Frauen in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten von börsenkotierten Unternehmen: «Im Handelsregister ist die Eigentümerstruktur nicht abgebildet.» Und nicht nur das: Der Diversity Report überprüft beispielsweise, ob die 231 börsenkotierten Firmen in der Schweiz den gesetzlich vorgeschriebenen Anteil von 20 Prozent Frauen in der Geschäftsleitung einhalten. Diese Daten muss das Team von GetDiversity in Handarbeit aus den Websites der Firmen zusammentragen. (Kleiner Spoiler: Der Diversity Report 2022 zeigt, dass in den Geschäftsleitungen nur 11 Prozent Frauen sitzen.)
Aber zurück zu den Eigentümer:innen. Die Handelsregister verzeichnen neben AGs und GmbHs auch Einzelfirmen mit einem Umsatz über 100 000 Franken pro Jahr. Die übrigen Einzelfirmen finden sich im UID-Register. Weil Einzelfirmen unter dem Namen ihrer Eigentümer:innen laufen, könnte auf diese Weise ermittelt werden, wie viele Frauen und wie viele Männern gehören. Allerdings sind Einzelfirmen meist kleiner bzw. weniger wert als AGs oder GmbHs; die richtig bedeutenden Vermögenswerte sind hier nicht zu erwarten.
Somit sind wir auch bei diesem Thema auf Umfragen und Studien zu einzelnen Aspekten angewiesen.
«Selbstständig mit Mitarbeitenden»
Beispielsweise zeigt eine Studie der KMU Frauen Schweiz von 2019, dass im Jahr 2017 mehr als 10 Prozent (221’434 Frauen) aller erwerbstätigen Frauen selbstständig waren und von diesen ungefähr ein Drittel, nämlich 72’865 Frauen, «selbstständig mit Mitarbeitenden»; das heisst, sie besitzen und leiten eine Firma mit Mitarbeitenden. Grundlage dieser Studie ist die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung SAKE 2017. Die Ergebnisse können als repräsentativ gelten. Ob die Firmen ihnen allein gehören, geht aus den Daten nicht hervor. Etwa 45 Prozent von ihnen arbeiten Teilzeit; die Studienautor:innen gehen daher davon aus, dass sie ihr Unternehmen nicht allein leiten.
Eine andere Studie kommt von der Credit Suisse. Für 2016 errechnete sie in Zusammenarbeit mit der Uni St. Gallen einen Anteil von 23 Prozent Frauen im «Eigentümer:innenkreis» von KMUs. Basis war eine Umfrage unter den Firmenkund:innen der Bank. Die Stichprobe war mit 1300 Firmen so gross, dass die Daten als repräsentativ gelten können. Aus diesen Daten geht aber nicht hervor, welchen Anteil an den Unternehmen die Frauen besassen.
Fazit
Haben wir die Blackbox «Vermögen» also geknackt? Nein. Auch die vertiefte Recherche kann nur punktuelle Einblicke gewähren:
- Beim Agrarland sind die Bäuerinnen am Aufholen.
- Bei den Immobilien schneiden die Frauen nicht so schlecht ab; insbesondere ältere Frauen besitzen gleich oft oder öfter Immobilien als Männer.
- Bei den Firmen könnten ungefähr 23 Prozent Frauen zu den Besitzer:innen gehören.
Alle diese Daten basieren auf Stichproben und/oder Umfragen. Ein vollständiges Bild könnte nur das Bundesamt für Statistik durch flächendeckende Erhebungen vermitteln. Zudem bilden die Daten nicht unbedingt die Bereiche ab, die für die Frage nach der Vermögensverteilung am relevantesten wären: Bauland, grosse Wohn- oder Gewerbeimmobilien, Anteile an grossen, «wertvollen» Firmen. Dazu kämen private Besitztümer wie Kunstsammlungen oder Edelsteine.
Der Gender Data Gap ist also so breit wie eh und je – aber ellexx bleibt dran!