‌In der Schweiz verdienen Frauen durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Der sogenannte Gender Pay Gap schliesst sich nur sehr langsam, doch es tut sich etwas. Dazu tragen auch Massnahmen wie die gesetzlich vorgeschriebene Lohntransparenz bei.

Weniger bekannt, aber noch gravierender, ist die ungleiche Verteilung der Vermögen – weltweit und in der Schweiz. Der weltweite Gender Wealth Gap, der Unterschied in den Nettovermögen zwischen Frauen und Männern, nimmt nämlich zu – und das schon seit den Neunzigerjahren parallel zur steigenden Vermögensungleichheit in fast allen Ländern. Ein Grund dafür ist, dass Frauen während ihres Berufslebens weniger verdienen als Männer und damit auch im Alter eine tiefere Rente haben. Ein anderer zentraler Faktor ist aber auch, dass Frauen anders investieren als Männer.

Melanie Loos
Bis zum Ruhestand erreichen Frauen auf der ganzen Welt im Durchschnitt nur 74 Prozent des Vermögens von Männern.

Europa steht beim Wealth Gap am besten da – aber auch nicht gut

Bis zum Ruhestand erreichen Frauen auf der ganzen Welt im Durchschnitt nur 74 Prozent des Vermögens von Männern. Dies zeigt eine Studie des World Economic Forum (WEF) zusammen mit der Unternehmensberatung WTW von 2022. Die Studie untersucht die Vermögensunterschiede zwischen den Geschlechtern in 39 Ländern. Demnach ist der Gender Wealth Gap in Europa insgesamt mit 77 Prozent am niedrigsten im Vergleich zu anderen Weltregionen. In Ländern wie Spanien, Österreich, Norwegen und Dänemark ist das geschlechtsspezifische Wohlstandsgefälle am geringsten. Am ungleichsten verteilt sind die Vermögen zwischen Frauen und Männern in Nigeria, Argentinien und Mexiko.

‌Die Hauptfaktoren: teure Kinderbetreuung, unbezahlte Betreuungsarbeit

Die Schweiz liegt im internationalen Vergleich im Mittelfeld; hier erreichen Frauen bei ihrem Eintritt in den Ruhestand 76 Prozent des Vermögens der Männer. Dies liege vor allem an einem Mangel an erschwinglicher Kinderbetreuung und dem überproportionalen Anteil an unbezahlter Betreuungsarbeit, die Frauen leisten. Beides führt zu weniger Aufstiegschancen im Beruf und niedrigeren Löhnen gegenüber Männern. Zur Veranschaulichung: In der Schweiz arbeiten rund 58 Prozent der Frauen Teilzeit, und 23 Prozent davon sind in Pensen unter 50 Prozent erwerbstätig. Dies führt auch zu Lohneinbussen für Mütter zwischen vier und acht Prozent pro Kind.

Melanie Loos
Frauen haben häufig ein geringeres Finanzbewusstsein, weniger Vertrauen in Geldanlagen und eine geringere Risikotoleranz, was sich negativ auf ihr Vermögen auswirkt.

Darüber hinaus zeigt die Studie des WEF, dass das Ausmass der Vermögensunterschiede zum Zeitpunkt der Pensionierung eng mit der Hierarchiestufe im Erwerbsleben verknüpft ist. Je höher die Stufe, umso grösser der Vermögensunterschied. Demnach besitzen Frauen in leitenden Fach- und Kaderpositionen weniger als zwei Drittel (62 Prozent) an angehäuftem Vermögen als männliche Kollegen in vergleichbaren Positionen. Im mittleren Hierarchiebereich ist der Wert mit 69 Prozent immer noch beträchtlich. In ausführenden Tätigkeiten ohne Kaderfunktion ist der Gender Wealth Gap mit 11 Prozent am geringsten.

Doch nicht nur die geringeren Einkommen führen zu diesen Ungleichheiten beim Vermögen. Frauen haben häufig ein geringeres Finanzbewusstsein, weniger Vertrauen in Geldanlagen und eine geringere Risikotoleranz. Das wirkt sich negativ auf ihr Vermögen aus.

Mehr Mut beim Investieren!

Hinzu kommt: Selbst wenn Frauen genauso viel Geld hätten wie Männer, würden sie anders investieren, sagt Christine Laudenbach. Sie ist Verhaltensökonomin an der Goethe-Universität Frankfurt und untersucht die Ursachen des Gender Wealth Gap. Denn Frauen hätten meist nicht nur ein geringeres Finanzwissen als Männer, häufig trauten sie es sich gar nicht zu. Verschiedene Studien zeigen etwa, dass Frauen weniger am Aktienmarkt teilnehmen als Männer. Was sind also die Unterschiede bei der Geldanlage zwischen den Geschlechtern? Durch Angst vor Verlusten investieren Frauen seltener in Aktien. Dabei überschätzen sie jedoch die Verlustwahrscheinlichkeit, sagt die Expertin. «Frauen haben eine Aversion, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sie sind nicht souverän in ihrer finanziellen Entscheidungsfähigkeit, glauben nicht an sich.»

Fehlt es an Interesse für Anlageprodukte?

Einer Befragung von Postfinance und der Hochschule Luzern zufolge investieren in der Schweiz nur 40 Prozent der Frauen, während 60 Prozent der Männer ihr Geld anlegen. Bei den meisten Frauen liegt dies am fehlenden Wissen über Anlageprodukte. Mehr als die Hälfte der Frauen fürchten sich davor, beim Investieren Fehler zu machen. Beides sind Gründe, die Frauen sehr viel eher von der Geldanlage abhalten als Männer. Oder auch, weil sie sich schlicht nicht für Finanzthemen interessieren. Nur rund 20 Prozent der befragten Frauen zeigen Interesse – bei den befragten Männern sind es doppelt so viele.

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Hier kann einerseits Finanzbildung ansetzen, und zwar bereits an Schulen. Andererseits können Banken und Finanzdienstleister spezifische Beratungen anbieten, die auf die Vermögenssituation und die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind und Frauen ansprechen. Auch dazu gibt es Studien. Sie zeigen: 85 Prozent der Frauen fühlen sich von den Inhalten der Finanzindustrie nicht angesprochen. Ziel muss es sein, dass sich auch Frauen stärker mit ihren Finanzen beschäftigen.

Forschung und Beratung sollen aufholen

Zwar scheint es, dass einige Banken das Problem erkannt und in jüngster Zeit vermehrt und gezielter Frauen mit Beratungsangeboten ansprechen. Doch es bleibt noch mehr zu tun: «Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bei der Vermögensbildung ist zu wenig erforscht und wird übersehen. In Wirklichkeit sind das Problem der ungleichen Vermögensverteilung, seine Ursachen und seine Auswirkungen multidimensional und sollte als solche untersucht und angegangen werden», sagen die Studienautoren von WTW.

So nehmen auch immer mehr Studien das Thema in den Blick – meist durchgeführt von Banken und Vermögensverwaltern, die das Potenzial brachliegender Frauenvermögen allmählich erkennen. Ebenso untersuchte die Hochschule Luzern vor zwei Jahren das Anlageverhalten von Frauen und kam zum Schluss: Um die Geschlechterlücke bei der Aktienmarktbeteiligung und der privaten Altersvorsorge zu schliessen, müssten bei Frauen sowohl das Finanzwissen als auch das Vertrauen in die eigene Kompetenz bei Finanzentscheidungen erhöht werden.

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