Auf TikTok macht ein Trend die Runde, bei dem ich nicht weiss, ob ich lachen oder weinen soll: #GirlMath – zu Deutsch «MädchenMathe». Was ursprünglich in einer neuseeländischen Radiosendung zur Unterhaltung begann, ist auf TikTok mittlerweile in eine fragwürdige Richtung abgedriftet: In kurzen Videoclips rechnen sich junge Frauen ihre meist unnützen Ausgaben mit schlechter Mathematik schön. Ein paar Beispiele: «Was unter 5 Franken kostet, ist kostenlos!»; «Wenn ich für meine Freundinnen bezahle und sie mir das Geld per TWINT senden, habe ich Geld dazubekommen»; «Wenn etwas um 20 Franken reduziert ist, habe ich 20 Franken Gewinn gemacht». Ich bin immer für Ironie und Humor zu haben, aber diese Beispiele finde ich auf mehreren Ebenen problematisch.

‌Erstens: Es kommt mal wieder das Klischee auf, dass wir Frauen nicht mit Geld umgehen können und jeden Schnickschnack kaufen. In meinen Augen ein sehr verzerrtes Realitätsbild. Zumindest in meinem Umfeld nehme ich eher das Gegenteil wahr. Es gilt bei vielen der Grundsatz «Weniger ist mehr».

Simone Hoffmann
Der Trend #GirlMath bedient den negativen Glaubenssatz, dass wir Frauen schlecht oder schlechter in Mathematik sind als Männer. Das stimmt nicht.

Zweitens: Der Trend bedient den negativen Glaubenssatz, dass wir Frauen schlecht oder schlechter in Mathematik sind als Männer. Das stimmt nicht, wie eine Studie mit knapp 500’000 Teilnehmenden aus 69 Ländern bewiesen hat. Die Gründe für allfällige Unterschiede bei mathematischen Fähigkeiten sind weder in der Genetik noch im Intellekt der Frauen zu finden. Das Problem liegt in der «Bedrohung durch Stereotype», wie es in der Sozialpsychologie genannt wird. Das bedeutet: Je traditioneller die Rollenbilder einer Gesellschaft, desto schlechter die mathematischen Leistungen von Frauen. Und zwar nicht, weil Frauen in solchen Gesellschaften schlechtere mathematische Fähigkeiten hätten, sondern schlicht, weil ihnen diese Fähigkeiten nicht zugetraut werden. Die Studie belegt weiter: Wird uns Frauen vor Mathe-Tests gesagt, dass wir aufgrund dieser Stereotype schlechter abschneiden, führt das zu einer sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiung. In der Folge liegen wir tatsächlich hinter den Testergebnissen der Männer. Schlechtere mathematische Fähigkeiten von Frauen sind also ein rein hausgemachtes, kulturelles Stereotypen-Thema.

Drittens: Das Konsumverhalten, das unter #GirlMath angepriesen wird, erhöht die Gefahr, dass sich junge Mädchen verschulden. Sie werden animiert, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, mit Geld, das sie nicht haben. Denn spätestens seit dem letzten TikTok-Trend #Klarnaschulden, in dem es darum ging, sich gegenseitig mit Konsumschulden zu übertrumpfen, wissen junge Menschen, dass es anscheinend «voll cool» ist, in jungen Jahren Schulden zu machen. Dank #GirlMath können sie sich das jetzt auch noch schönrechnen! Das ist Gift für die finanzielle Bildung unserer Kinder.

Solche Trends führen mir als Mutter immer wieder vor Augen: Es ist immens wichtig, dass ich mit meinem Kind früh über Geld und gute Geldgewohnheiten rede. Mache ich es nicht, übernimmt das TikTok für mich. Gute Geldgewohnheiten sind beispielsweise, dass wir stets die Kontrolle über unser Geld haben und nicht das Geld über uns. Dabei unterstützt uns ein Haushaltsbuch und ein Budget. Oder dass wir nur so viel Geld ausgeben, wie wir auch haben. Möchten wir uns etwas leisten, wofür uns das Geld fehlt, müssen wir erst dafür sparen. Konsumschulden hindern uns daran, Vermögen aufzubauen. Das ist ein Nachteil.

Simone Hoffmann
Es ist immens wichtig, dass ich mit meinem Kind früh über Geld und gute Geldgewohnheiten rede. Mache ich es nicht, übernimmt das TikTok für mich.

Ich gebe zu, es treibt mir manchmal den Angstschweiss auf die Stirn, wenn ich realisiere, dass die Untiefen von Social Media bei der finanziellen Bildung meines Kindes mein wahrer Endgegner sind. Ich muss mein Kind also so weit bringen, dass es in den sozialen Medien – besonders bei Geld-Themen – Sinn von Unsinn unterscheiden und einordnen kann, was verlässliche und gute Quellen sind. Denn selbstverständlich gibt es auch dort wirklich guten Finanz-Content. Diese Perlen gilt es zu finden.

Und zu guter Letzt müssen wir endlich wegkommen von diesen veralteten Stereotypen. Sie bringen weder unsere Töchter noch unsere Söhne voran. Wir sollten unsere Kindern in jenen Bereichen fördern, die sie interessieren und auf die sie Lust haben – unabhängig vom Geschlecht. In Ländern wie Finnland, Island, Schweden und Norwegen, in denen die Gleichstellung in vielen gesellschaftlichen Bereichen weit fortgeschritten ist, funktioniert es auch. Und da klappt es dann plötzlich auch mit gleich guten Mathe-Test-Ergebnissen.

Zum Schluss war ich neugierig und wollte wissen, ob es auf TikTok eigentlich auch #BoyMath gibt. Die Antwort: Ja, gibt es. Aber etwas anders: So haben beispielsweise Männer einen grossen Fernseher zu Hause, aber keinen Esstisch. Klischees und Stereotypen werden also auch hier bedient.

Simone Hoffmann lebt mit ihrem Mann und ihrem siebenjährigen Sohn in einem Vorort von Zürich. Vor ein paar Jahren hat sie sich intensiv ihren eigenen Finanzen gewidmet. Sie möchte, dass ihr Sohn alle Facetten des Geldes kennenlernt, gute Geldgewohnheiten etabliert und einen guten Umgang mit Geld verinnerlicht. Auf der Suche nach Sackgeld-Konzepten, die eine nachhaltige und zukunftsfähige finanzielle Bildung fördern, wurde sie nicht fündig – so hat sie simosackgeld.ch ins Leben gerufen. Simone setzt sich dafür ein, dass Geldthemen endlich am Familientisch diskutiert und nicht tabuisiert werden.

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