Care-Arbeit ist «systemrelevant» und sollte in die Mitte der wirtschaflichen Theorie und Praxis rücken. Das finden die beiden Autorinnen Ina Praetorius und Uta Meier-Gräwe. Die beiden kritisieren unser heutiges Wirtschaftssystem, das diesen unbezahlten Care-Sektor ignoriert und sich lediglich darauf fokussiert, was zahlungskräftige Leute sich leisten können. In ihrem Buch «Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert» fordern sie ein Umdenken und nehmen Care-Arbeit als Ausgangspunkt für eine zukunftsfähige Wirtschaft.

Das Buch ist 2023 im Patmos Verlag erschienen. In 60 kurzen Texte beleuchten Ina Praetorius und Uta Meier-Gräwe die Care-Ökonomie. Bei ellexx publizieren wir in den nächsten Woche drei inspirierende Texte aus dem Buch. Der erste widmet sich den Themen Glück, Arbeit und Geld.

Im November 2019 habe ich einen Vortrag von Mathias Binswanger gehört, einem ziemlich einflussreichen Ökonomen. Es ging um Glück, Arbeit und Geld. Das war lustig. Mathias Binswanger liebt es nämlich, uns die Widersprüche vorzusetzen, mit denen wir uns normalerweise einfach arrangieren. Zum Beispiel so: Arbeit macht glücklich, und Arbeit macht unglücklich. Dasselbe gilt für keine Arbeit. Was folgt daraus? Oder so: Von einem gewissen Wohlstandsniveau an aufwärts sind Leute nicht glücklich, weil sie sich viel leisten können, sondern weil sie sich mehr leisten können als andere. Warum? Keine Ahnung.

Ina Praetorius
Ich habe gelesen, dass manche Eltern es gut finden, wenn Kita-Betreuer:innen wenig verdienen. Weil sie wollen, dass ihre Kinder von Idealist:innen gehütet werden, nicht von Typen, die sich benehmen wie Banker:innen.

Am Schluss war von Care-Arbeit die Rede: Care-Arbeit sei wichtig für ein glückliches Leben, meinte Binswanger. Und je mehr wir uns daran gewöhnen, dass alles und jedes bezahlt wird, desto grösser werde das Bedürfnis nach «echter» Fürsorge. Echt in Anführungszeichen.

Was ist «echt»?

Gemeint ist wahrscheinlich, dass viele Leute finden, dass Care, also Zuwendung, also Liebe keine richtige Liebe ist, wenn sie bezahlt wird. Und dass die Leute aber richtige Liebe wollen, weil die glücklicher macht als Geld. Wenn zum Beispiel der Pfleger im Krankenhaus nett zu mir ist, dann weiss ich nicht, ob er nett ist, weil er mich nett findet, oder ob er nur nett tut, weil er Geld fürs Nettsein kriegt. Bei deiner Mutter war das damals nämlich so: Sie hat dich liebgehabt, weil du du bist und nicht weil dein Papa ihr ein neues Auto versprochen hat. Höchstwahrscheinlich jedenfalls. Und diese Art von echter Liebe, die wollen wir, ohne Anführungszeichen. Je geldversessener die Welt wird, desto mehr wollen wir die.

Irgendwo habe ich gelesen, dass manche Eltern es gut finden, wenn Kita-Betreuer:innen extra wenig verdienen. Warum? Weil sie wollen, dass ihre Kinder von Idealisten gehütet werden, nicht von Typen, die sich benehmen wie Bankerinnen. Das wäre dann wohl auch dieses Bedürfnis nach «echter» Care-Arbeit: Für Liebe darf man nicht viel verdienen, weil es sich sonst eventuell um etwas anderes als Liebe handelt: Geldgier zum Beispiel oder Lust auf ein neues Auto. Und weil «echte» Liebe glücklich macht, brauchen Betreuer auch nicht so viel Geld für die Arbeit in der Kita, weil sie ja schon glücklich sind und deshalb kein neues Auto brauchen. Logisch. Obwohl nein.

Ina Praetorius
Echte Care-Arbeit macht glücklich, und echte Care-Arbeit macht unglücklich. Dasselbe gilt für unechte Care-Arbeit. Was allerdings ziemlich sicher nicht glücklich macht, ist gar kein Geld.

Oder vielleicht so

Echte Care-Arbeit macht glücklich, und echte Care-Arbeit macht unglücklich. Dasselbe gilt für unechte Care-Arbeit. Was allerdings ziemlich sicher nicht glücklich macht, ist gar kein Geld. Oder zu wenig Geld. Und vielleicht ist der Pfleger im Krankenhaus ja auch heute nett, weil er mich nett findet, und morgen, weil er glücklich ist, und vorgestern, weil er Geld dafür bekommen hat. So wie damals deine Mutter, der du das Auto gönnst, das ihr dein Papa eines Tages doch noch gekauft hat, weil sie dich echt liebt und er zum Liebhaben leider keine Zeit hat, weil er Geld verdienen muss.

Obwohl: Gibt es «echte» Care-Arbeit, wenn sogar Mütter manchmal Autos dafür kriegen? Obwohl sie gar kein Geld haben? Und was machen wir jetzt mit den Anführungszeichen und den Betreuerinnen in der Kita?

Aus: Ina Praetorius/Uta Meier-Gräwe, Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert (c) Patmos Verlag. Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2023. www.verlagsgruppe-patmos.de

Ina Praetorius

Wir müssen über Care-Arbeit reden
Die Prognosen sind düster: Uns gehen die Fachkräfte aus. Was wir dagegen tun können? Mehr erwerbstätig sein, findet eine Mehrheit der Bevölkerung. Aber nicht alle. Mütter sollen sich weiter der Familie verschreiben. Schade, jetzt hätten wir die Chance, unser System zu überdenken – grundlegend.
Money Talk: Wie viel Wert ist Betreuungsarbeit?
Mindestens das Doppelte: So viel würden Fachpersonen Betreuung verdienen, wenn es nach Mia Egic ginge. Sie arbeitet selbst in einem Hort und setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Warum sie Geld wütend macht und wie sie mit Kindern darüber spricht, erzählt sie im Money Talk.