Seit ein paar Tagen schauen wir alle gebannt nach Osten. Auf Social Media wurde #Corona direkt von #Ukraine abgelöst. Wir zeigen unsere Solidarität mit Hashtags und blau-gelb beflaggten Profilbildern. Und auch auf den Strassen versammeln sich Zehntausende von Menschen, um zu protestieren. Blau-gelb wohin man schaut.
Wir fordern vom Bundesrat schärfere Sanktionen gegenüber Russland; und scheinen damit endlich Erfolg zu haben. Wir empören uns über Auftritte Putin-treuer Künstler:innen. Wir applaudieren den Pol:innen für ihre Gastfreundschaft und sammeln Spenden zur Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge. Damit setzen wir wichtige Zeichen und machen deutlich, dass wir alle Putins brutalen, völkerrechtswidrigen Angriff aufs Schärfste verurteilen.
Proteste, Posts, aber schauen wir auch ins Portfolio? Wenn nein, warum nicht? Weil wir keine Lust haben, unseren Anlagen beim Kurssturz zuzuschauen? Verständlich.
Oder schauen wir weg, weil wir das Gefühl haben, es sei pietätlos, an Geld zu denken, während in nicht allzu weiter Ferne ein grausamer Krieg tobt? Hier würde ich widersprechen. Es ist viel eher pietätlos, jetzt die Augen zu verschliessen. Warum? Weil Kapital Macht bedeutet, aber Macht immer auch Verantwortung mit sich bringt. Und die dürfen wir nicht leichtfertig abgeben.
Es gibt eine Anlageregel, die lautet: «Kaufen, wenn die Kanonen donnern, verkaufen, wenn die Violinen spielen.» Die Idee dahinter ist, dass ein Krieg Panik unter Anleger:innen auslöst und zu «übertriebenen» Kursstürzen führt. Wer jetzt also kauft – am Tiefpunkt – dürfte schon bald wieder von steigenden Kursen profitieren. Deshalb die Börsenregel: Krieg als Gewinnchance!
Das ist natürlich zynisch. Hier fehlt jegliche moralische Dimension. So boomen womöglich die Aktien von Waffenherstellern im Krieg. Sollen wir deshalb unser Portfolio anschauen? Nein, natürlich nicht. Wir sollen es deswegen anschauen, um sicherzustellen, dass wir eben gerade nicht vom Krieg profitieren. Zumindest nicht mit Aktien von Unternehmen, die direkt darin involviert sind. Das meine ich mit Verantwortung übernehmen. Der Krieg ist ein idealer Zeitpunkt, uns darüber Gedanken zu machen, ob unsere Anlagen unsere Werte widerspiegeln – und zwar nicht nur im monetären, sondern auch im ideellen Sinn.
Die gute Nachricht ist: Die allermeisten Anbieter von «nachhaltigen Anlagen» (kurz: ESG, für environmental, social, governance) verbannen Kriegsmaterialhersteller aus ihrem Anlageuniversum. Der Ausschluss von Waffen aus dem Portfolio ist der kleinste gemeinsame Nenner der gesamten «ESG-Szene». Im Unterschied beispielsweise zu Erdölunternehmen, wo sich zu Recht die Frage stellt, ob ein radikaler Ausschluss wirklich die beste Lösung ist oder ob man nicht besser über die Ausübung von Stimmrechten und über einen Dialog als Aktionär:innen Einfluss auf eine «grüne Transition» nehmen soll, ist der Fall bei Kriegsmaterialproduzenten klar: Hände weg, respektive Geld raus.
Sofern ihr also die ESG-Option ausgewählt habt, könnt ihr, selbst wenn ihr passiv investiert seid, ziemlich sicher sein, dass euer Geld nicht in Streubomben, Anti-Personen-Minen, nukleare Sprengköpfe etc. investiert wird. Wie, die habt ihr nicht ausgewählt? Dann ist es nun höchste Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
Und wenn ihr schon dabei seid, lohnt es sich gleich noch zu überlegen, welche Rolle erneuerbare Energien in eurem Portfolio spielen. Wenn die existenzielle Krise, die der Klimawandel darstellt, bis jetzt noch nicht Grund genug war, so überzeugt euch jetzt vielleicht das Argument, dass wir mit der Abhängigkeit von fossilen Energien auch unsere Abhängigkeit von Autokraten und Diktatoren wie Wladimir Putin erhöhen.
Also, nochmals: Social Media Posts und friedliche Proteste sind gut, für die Psyche und auch für die Politik. Aber es wäre falsch, deswegen unsere Verantwortung als Anleger:innen aus den Augen zu verlieren. Wer sich um die Menschen in der Ukraine sorgt, kümmert sich auch darum, dass seine Anlagen das Leid nicht vergrössern, indem sie mehr oder weniger direkt Diktatoren befeuern. Peace!