Vor einer Weile sass ich am Esstisch bei meinem besten Freund und seiner Familie. Ich kenne ihn, seit ich drei Jahre alt war, und er ist eher wie ein Bruder für mich. Wir haben, bis auf wenige Zwischenphasen, das ganze Leben zusammen verbracht, und ich bin Götti seines Kindes. Ich schaue den Dreijährigen an, wie er gerade seinen letzten Bissen des Nachtessens hinunterschlingt und sich darauf freut, vom Tisch aufstehen und wieder Spielsachen quer durch die Wohnung katapultieren zu dürfen.
Kurz nachdem das Paar gemeinsam zurück in die Schweiz gezogen war, haben sich die beiden für das sogenannte klassische Betreuungsmodell entschieden – vorerst zumindest. Verständlich, er hat einen gut bezahlten Job, und seine Frau muss sich erst noch an das neue Land gewöhnen, da sie gebürtige Kasachin ist. Sie ist smart und gebildet, aber eben auch Mutter von zwei kleinen Kindern. Das Angebot an Kitas in der ländlichen Region, in der die Familie wohnt, ist dürftig. Für sie ist das eine zusätzliche Herausforderung, um auf eigenen Beinen stehen zu können und unabhängig zu sein.
Die Care-Arbeit, die sie leistet, ist ein Fulltime-Job, für den sie kein Gehalt erhält und der sie folglich auch nicht fürs Alter absichert. Das müsste in der heutigen Zeit aber nicht so sein. Ein Blick in die offiziellen Zahlen zeigt, dass der Staat die Care-Arbeit zumindest in Teilen durchaus bezahlen könnten. In der Schweiz werden 2.3 Milliarden unbezahlte Stunden für die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Erwachsenen geleistet. Weil keine Löhne für diese Arbeit festgelegt wurden, rechnet das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau (ebg) mit marktüblichen Löhnen für vergleichbare Tätigkeiten. Das Resultat: Einer vierköpfigen Familie stünden 5900 Franken pro Monat für kinderbedingte Haus- und Familienarbeit zu. Der Anteil der Mutter schlägt mit 4223 Franken, derjenige des Vaters mit 1685 Franken zu Buche.
Natürlich ist das eine stark vereinfachte Rechnung, und der Gesamtbetrag liesse sich schwer zahlen, aber Teile davon wären sicher finanzierbar. Ein Anteil müsste als Gehalt abgegolten werden, damit das Argument des besser bezahlten Jobs an Gewicht verliert. Für die Männer setzt das Anreize, ihre Pensen herunterzufahren und grössere Teile der Care-Arbeit zu übernehmen. Der zweite Teil – und das ist noch wichtiger – muss die Ausfälle der beruflichen Vorsorge, die gesetzlich vorgeschriebenen sieben Prozent, kompensieren. Denn viele Mütter in der Schweiz teilen das Schicksal der Frau meines Freundes: 2020 belief sich der Gender Pension Gap in der Schweiz auf knapp 35 Prozent.
Ich selbst komme aus einem Haushalt mit ähnlichen Strukturen. Mein Vater hat seine eigenständige Praxis teilweise gemeinsam mit meiner Mutter geführt, und sie teilten sich ein Einkommen. Das haben sie damals – wie mein Freund und seine Frau – zusammen entschieden. Meine Mutter hätte jedoch ihren Beruf als Pflegefachfrau auch anderweitig gegen Bezahlung ausüben können. Dass sie immer noch happy und zusammen sind, ist auch einfach Glück. Es darf jedoch nicht sein, dass die Chancen einer Mutter heutzutage vom Glück abhängen, wie «gut» der Mann ist, mit dem sie Kinder hat. Eine Anpassung der Rahmenbedingungen würde beiden Elternteilen gut tun.
Mein Freund gibt sich Mühe, doch es ist auch für ihn eine Herausforderung. Er kümmert sich am Wochenende und an den Abenden um die Kinder, damit sie «frei» hat. Ich weiss nicht, wann er das letzte Mal etwas für sich selbst gemacht hat. Das belastet. Im Herbst besuchten die beiden ein Konzert in Zürich, während ich zusammen mit meinen Mitbewohnerinnen auf die Kinder aufgepasst habe. Die Dankbarkeit für diese kurze, kinderfreie Zeit auf der einen Seite und meine Grenzerfahrung mit dem Babysitten auf der anderen gewährte mir auch einen Einblick in den Kraftakt, den das Aufziehen von Kindern eigentlich bedeutet.
Die Paare mit Kindern, die ich kenne, fokussieren auf gleichmässige Aufteilung der Care-Arbeit, doch das ist manchmal schwierig. Es braucht Anpassungen: Viele meiner Generation entscheiden sich gerade aufgrund drohender Nachteile und schlechter Rahmenbedingungen gegen Kinder. Das bringt mich zur Antwort auf die Frage, wie wir die Beiträge an die Care-Arbeit bezahlen sollen.
Den Weg über die Steuergelder finde ich richtig. Der Staat – und damit wir alle – profitiert von Kindern. Es braucht Nachwuchs, damit eine moderne Gesellschaft funktionieren kann. Weder das Rentensystem noch die Arbeitswelt haben ohne Kinder eine ernsthafte Zukunft. Das zeigt der akute Fachkräftemangel in fast allen Branchen. Der Staat muss deshalb mit einer Anpassung des Bundesbudgets entsprechende Anreize für familienförderliche Rahmenbedingungen sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzen. Dass er das kann, zeigt das Erwerbsersatzsystem für Militär, Zivilschutz und Zivildienst, das Unternehmen dafür entschädigt, dass Fachkräfte der Wirtschaft temporär für Staatsanliegen entzogen werden. Und genau für diesen Bereich haben wir auch schon Gelder in diesen Dimensionen für umstrittene Dinge wie Kampfjets ausgegeben.
Ich sage abschliessend als kinderloser Mensch, der sehr wahrscheinlich nie Kinder haben wird: Ich bin bereit, für familienförderliche Rahmenbedingungen zu zahlen.