Wann sollten Eltern beginnen, mit ihren Kindern über Geld zu sprechen?

So früh wie möglich. Ich würde bereits mit Vierjährigen darüber sprechen. Oder spätestens dann, wenn das Kind den Zusammenhang zwischen Ursache Wirkung versteht, diese typischen elterlichen wenn-dann-Sätze: wenn wir Früchte nach Hause nehmen wollen, dann müssen wir diese vorher bezahlen. Und natürlich sollte es wissen, dass es sich keine Münzen in den Mund oder in die Nase stecken darf!

Aber mit Vierjährigen über Geld zu sprechen, ist das nicht übertrieben?

Im Alter von fünf Jahren entwickelt ein Kind bereits eine Beziehung zu Geld. Auch ganz ohne unser Zutun. Sie schnappen überall Geldbotschaften auf, auch von Freunden oder über Medien und Filme. Oft sind diese Geldbotschaften verwirrend, weil Kinder nur einen Bruchteil der Zusammenhänge wahrnehmen – zum Beispiel sehen sie nur, wie Erwachsene Geld ausgeben, aber nicht, wie Erwachsene Geld verdienen oder sparen. Das kann dazu führen, dass sich «schlechte» Geldgewohnheiten herausbilden. Kinder beobachten und ahmen Erwachsene nach. Daher ist es wichtig, dass Eltern verstehen, welche Geldbotschaften ein Kind bereits aufgenommen hat und diese dann durch umfassende Geld-Geschichten ergänzen.

Mara Harvey
Untersuchungen zeigen, dass Mädchen im Alter von zehn Jahren oft 10 bis 30 Prozent weniger Taschengeld erhalten. Schockierend, aber wahr.

Warum ist finanziellen Bildung denn überhaupt so wichtig?

Letztlich dient die finanzielle Bildung dazu, die eigene Lebensqualität aufrecht zu halten. Menschen werden immer älter. Es wird immer schwieriger, die Lebensqualität nach der Pensionierung zu halten. Unser Rentensystem ist nicht für einen mehr als 30-jährigen Ruhestand ausgelegt. Ohne ausreichende Ersparnisse droht Altersarmut. Wir können es uns nicht leisten, dem tatenlos zuzusehen. Wir müssen Erwachsene und Kinder gleichermassen mit dem Bewusstsein und den Fähigkeiten ausstatten, mit Geld im Laufe ihres Lebens vernünftig umzugehen.

Mädchen verdienen schon im Kindesalter weniger Taschengeld als Jungen. Benachteiligen die Eltern die Mädchen?

Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass Mädchen im Alter von 10 Jahren oft 10-30 Prozent weniger Taschengeld erhalten. Schockierend, aber wahr.

Eltern diskriminieren also Mädchen?

Nein, das liegt nicht daran, dass Eltern ihre Töchter diskriminieren. Es ist lediglich ein gesellschaftliches Spiegelbild dessen, was wir auf den Arbeitsmärkten sehen. Traditionell setzen wir die Jungen für höherwertige Aufgaben ein und lenken Mädchen in unbezahlte Arbeit. Nehmen wir als klassisches Beispiel das Autowaschen im Vergleich zum Geschirrspülen: In der Vergangenheit galt die eine Aufgabe als Jungenarbeit und die andere als Mädchenarbeit. Diese Stereotypen bestehen nach wie vor und brauchen Generationen, um überwunden zu werden. Die Hindernisse für die Gleichstellung, die auf dem Arbeitsmarkt sichtbar sind, sind in der Gesellschaft insgesamt sichtbar und wirken sich auch auf Kinder und ihr Verhältnis zum Geld aus.

Ist das der Hauptgrund, warum Mädchen weniger gut mit Finanzen umgehen können als Jungen?

Nach meinen bisherigen Erfahrungen kann ich zwei Hauptgründe ausmachen: Selbstvertrauen und gute Umgangsformen. Mädchen brauchen oft Unterstützung, um ihr Selbstvertrauen zu stärken, das etwa im Alter von 5 Jahren geprägt wird. Sie brauchen Ermutigung, um sich etwas zuzutrauen. Vor allem auch, wenn es um Geld geht. Dennoch neigt die Gesellschaft - insbesondere in der Schweiz - dazu, Eltern glauben zu machen, dass es unhöflich ist, über Geld zu sprechen und dass es unangebracht ist, mit Kindern über Geld zu reden. Ich denke, wir können mit Fug und Recht behaupten, dass in der Schweiz Geld ein noch größeres Tabu ist als Sex! Es gibt so viele kulturelle Komponenten, die bei der Bildung des Selbstbewusstseins eines Kindes und seiner Einstellung zum Geld eine Rolle spielen.

Mara Harvey
Damit Eltern gute Geldgespräche mit ihren Kindern führen können, müssen sie sich zunächst einmal wohl dabei fühlen, untereinander über Geld zu sprechen.

Aber mangelndes Selbstbewusstsein in Sachen Finanzen betrifft Frauen global?

In der Tat. Internationale Untersuchungen haben bestätigt, dass viele Frauen einfach kein Selbstvertrauen haben, wenn es um Geld geht, weil sie glauben, dass ihre Partner in Geldangelegenheiten kompetenter sind als sie selbst. Dies ist eine reine Wahrnehmungsfrage – und doch prägt die Wahrnehmung unsere Realität. Deshalb ist die finanzielle Beteiligung von Frauen etwas, woran wir aktiv arbeiten müssen. Wir müssen dies in der gesamten Gesellschaft auf allen Ebenen fördern. Und wir müssen ein neues Geldbild entwerfen, das es kleinen Mädchen ermöglicht, etwas über Geld zu lernen, so dass sie die Chance haben, auf Augenhöhe mit den Jungen in das Berufsleben einzusteigen.

Wie sinnvoll sind eigentlich Geldgeschenke?

Geldgeschenke an Kinder, insbesondere zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder Familienfeiern, sind Teil unserer Kultur. Wichtig ist es, darüber nachzudenken, was ein Kind lernt, wenn es Geld geschenkt bekommt. Versteht es den Wert des erhaltenen Betrags? Wissen sie, wie sie das Geld sicher aufbewahren können? Können sie Prioritäten setzen, wofür sie das Geld ausgeben wollen? Verstehen sie, warum es wichtig ist, einen Teil des Geldes (oder alles) für das spätere Leben zu sparen? All diese Fragen sind der Kern der finanziellen Erziehung. Es liegt an uns Eltern, Verwandten oder Großeltern, dafür zu sorgen, dass jedes Geldgeschenk Teil eines Gelddialogs ist, der dem Kind hilft zu verstehen, wie Geld funktioniert und warum es eine wertvolle und kostbare Ressource ist.

Mara Harvey
Altersarmut ist in erster Linie ein Frauenproblem.

Viele Eltern verteufeln Schulden, zu Recht?

Schulden sollten bei Kindern und Jugendlichen vermieden werden! Es gibt eine Zeit und einen Ort im Leben, an dem man Schulden machen kann, aber meiner Meinung nach ist das nicht in der Kindheit. Leider sind unsere Kinder heute von zu vielen Medienbotschaften umgeben, die besagen: «Kaufe jetzt, zahle später». Das ist nicht hilfreich, denn Kinder, die noch nicht einmal gelernt haben, Geld zu verdienen, werden bereits zu dem Glauben verleitet, dass der Zugang zu Geld super einfach ist und man Geld ausgeben kann, das man nicht hat. Das ist so, als würde man einem Kind beibringen, in einen See zu springen, bevor es schwimmen gelernt hat. Das kann wirklich böse enden. Wir müssen zu den Grundlagen zurückkehren und den Kindern beibringen, Geld zu verdienen, zu sparen und auszugeben – in dieser Reihenfolge.

Warum tun sich viele Eltern generell schwer mit dem Thema Geld?

Geld ist oft ein Tabuthema! Die Fair-Pay-Expertin Henrike von Platen erklärt dies sehr gut in ihrem Buch «Über Geld spricht man!». Ich war überrascht zu lesen, wie viele Wörter es im Deutschen für Geld gibt, und das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie wenig wir uns eigentlich trauen, offen über Geld zu sprechen. Voreingenommene Geldbotschaften sind überall um uns herum und haben unsere Geldgespräche über Generationen hinweg geprägt. Damit Eltern gute Geldgespräche mit ihren Kindern führen können, müssen sie sich zunächst einmal wohl dabei fühlen, untereinander über Geld zu sprechen. Dazu ist es wichtig, die zugrundeliegenden Werte und Emotionen, die jeder Mensch mit Geld verbindet, zu erkennen.

Was können Schulen zur finanziellen Bildung beitragen?

Geldwissen ist eine Lebenskompetenz und genauso wichtig wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Finanzielle Bildung ist meiner Meinung nach ein Muss, kein "nice to have". Ich würde wirklich alle Schulen dazu ermutigen, diesem wichtigen Thema Priorität einzuräumen. Unsere Kinder werden mit einer noch nie dagewesenen Langlebigkeit konfrontiert sein, so dass es für ihre Lebensqualität von entscheidender Bedeutung sein wird, finanziell fit zu sein. Schulen können Geldkonzepte auf eine für Kinder leicht verständliche Weise einführen. Ein einfaches Beispiel: im Matheunterricht sollten die Aufgaben lebensnah gestaltet werden, damit die Kinder lernen, wie Geld funktioniert - mit Situationen aus dem wirklichen Leben, die für ihr Alter relevant sind. Satzaufgaben in Mathe helfen Kindern, später mit Geld in realen Situationen umzugehen.

Wie wirkt sich ein Mangel an finanzieller Bildung auf das spätere Leben aus?

Der Mangel an finanzieller Bildung hat auf lange Sicht äußerst schmerzhafte Folgen. 2017 haben wir eine Simulation des Lebensweges und der Vermögensbildung eines Mannes und einer Frau über ein ganzes Leben durchgeführt. Die Vermögensentwicklung der Frau wurde von fünf Faktoren beeinflusst: Lohnunterschied, Karriereunterbrechung, Teilzeit, Langlebigkeit und geringere Risikobereitschaft. Allein ein Gehaltsgefälle von 10 Prozent führte in dieser Simulation dazu, dass die Frau 38 Prozent weniger Vermögen anhäufte. Insgesamt führten alle fünf Faktoren dazu, dass die Frau nicht genügend Vermögen anhäufte, um ihren Lebensunterhalt im Ruhestand zu bestreiten. Altersarmut ist in erster Linie ein Frauenproblem. Doch einfache Strategien, die sicherstellen, dass die Ersparnisse gut angelegt sind, können dazu beitragen, diese Risiken zu mindern. Aus diesem Grund fühle ich mich verpflichtet, das Bewusstsein für die Bedeutung der finanziellen Bildung zu schärfen. Es ist nie zu früh und nie zu spät, die Kontrolle über die eigene finanzielle Zukunft zu übernehmen - und die Finanzwelt zu gestalten.

Mara Harvey
Die finanzielle Gleichberechtigung ist in der Schweiz noch sehr jung. Erst seit knapp 35 Jahren darf eine verheiratete Frau mit der Unterschrift ihres Mannes ein Bankkonto eröffnen.

Gehen Frauen anders mit Geld um?

In vielen Ländern sehen wir, dass sich Frauen mehr mit kurzfristigen Finanzen befassen, d. h. mit den täglichen Kaufentscheidungen und der Haushaltsführung. Dagegen befassen sie sich weniger mit langfristigen Finanzangelegenheiten, die mit Vermögens- und Ruhestandsplanung zu tun haben.

Das verheisst nichts Gutes für die finanzielle Zukunft der Frauen…

Die finanzielle Gleichberechtigung ist in der Schweiz noch sehr jung. Erst seit knapp 35 Jahren darf eine verheiratete Frau mit der Unterschrift ihres Mannes ein Bankkonto eröffnen. Folglich sind die Frauen erst seit drei Jahrzehnten in der Lage, mit Geld umzugehen. Es wird noch lange dauern bis zur finanziellen Gleichberechtigung und bis sich Frauen im Umgang mit Geld genauso wohl und versiert fühlen wie Männer. Glücklicherweise beschleunigt sich dieser Wandel. Die Medien und die sozialen Medien ermöglichen es uns, den Wandel zu beschleunigen und die letzten Hindernisse für die wirtschaftliche Gleichstellung zu beseitigen, damit Frauen gleichberechtigten Zugang zu Kapital erhalten und in vollem Umfang an der Schaffung, dem Wachstum und der Verwaltung von Vermögen teilhaben können.

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