Die Kosmetikerin in New York, die Marktverkäuferin in Kolumbien, die Bäuerin in Vietnam, die Näherin in Kirgisistan, die Unternehmerin in Kambodscha, die Biologin in Costa Rica, die Regisseurin in Georgien und die Lehrerin im Kosovo. Acht Frauen, die etwas gemeinsam haben: Sie arbeiten ausserhalb der eigenen vier Wände und sorgen damit für das Überleben ihrer Familie. Und ihre Stimme verhallt im Lärm dieser Welt.

Unsere Gastautorin hat sie auf ihrer einjährigen Weltreise in ihren Wohnzimmern besucht, sie bei der Arbeit begleitet und gefragt: Warum tun sie, was sie tun? Und was sind ihre Träume?

«Als die Kinder klein waren, hatte ich manchmal Angst, mein Mann bringt mich um.» Saody Sam (43) sitzt am Esstisch in der Wohnung ihres ältesten Sohnes Sokong in Phnom Penh. Sie spricht Englisch, eine Sprache, die ihr lange Zeit fremd war. Erst jetzt, die drei Kinder – 23, 18 und 15 Jahre alt – sind schon fast ausgeflogen, lernt sie sie.

Saody Sam
Meine Mutter zwang mich, einen Ehemann zu haben. Liebe war für sie nicht wichtig, nur, dass ich verheiratet bin.

Sam lebt in einem Aussenquartier der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. Mit ihrem Mann und den beiden jüngeren Kindern, einem Sohn und einer Tochter. Zu Hause ist sie Ehefrau und Mutter. Sie kümmert sich um den Haushalt, die Erziehung der Kinder. Lange Zeit war das ihr ganzer Alltag. Die Beziehung zu ihrem Mann war von Streit und Gewalt geprägt. Ihr ältester Sohn fragte oft: «Warum bleibst du bei ihm?» Sam antwortete, der Vater sei krank, er habe Probleme. Sie entschuldigte sein Verhalten. Für ihre Kinder war sie Mutter und Vater zugleich.

Die einzige wahre Liebe verloren

Mit 17 Jahren wurde Sam mit ihm verheiratet, er war damals bereits 29 Jahre alt. Die Schule durfte sie nicht beenden. «Meine Mutter zwang mich, einen Ehemann zu haben. Liebe war für sie nicht wichtig, nur, dass ich verheiratet bin», sagt Sam heute. Die Armut habe die Mutter dazu getrieben. «Sie konnte mich nicht mehr bei sich haben.» Sam wuchs ohne Vater auf, er hatte eine andere Familie, um die er sich kümmerte. Die Schwester ist von einem anderen Vater und hatte bei Sams Geburt schon eine eigene Familie.

Sams Mutter war geprägt vom Trauma des kambodschanischen Völkermords. Sam erzählt, ihre Mutter habe viele Verwandte und auch eigene Kinder durch die Roten Khmer verloren. Vor wenigen Jahren ist die Mutter nach einer kurzen Krebserkrankung verstorben. Sam: «Manchmal denke ich, mit ihr habe ich meine wahre Liebe verloren.» Sie liebe ihre Kinder, aber die Liebe zur Mutter sei unvergleichbar gewesen. «Ich kümmere mich um meine Kinder, aber meine Mutter kümmerte sich um mich.»

Mindestens 30 Prozent der Frauen erleben häusliche Gewalt

Mit 20 Jahren wurde Sam zum ersten Mal selbst Mutter. Doch das Familienglück war nicht perfekt. «Mein Ehemann war damals Polizist. Er konnte seine Gefühle nicht kontrollieren.» Im Streit habe er Sachen nach ihr geworfen, geschrien, sie beschimpft. «Ich war keine glückliche Frau.» Mit ihrer Geschichte ist Sam in Kambodscha bei Weitem nicht alleine. Häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt gegen Frauen und fehlende Gleichberechtigung auf mehreren Ebenen stehen weiterhin an der Tagesordnung. Das kambodschanische Ministry of Women’s Affairs schreibt, 30 Prozent aller Kambodschanerinnen hätten Gewalt in einer Beziehung erlebt. Bei Frauen mit niedrigem Bildungsniveau und geringen finanziellen Möglichkeiten sind es gar 35 Prozent.

Saody Sam
2016 habe ich mein eigenes Business angefangen, mit nur 20 Dollar.

Da Sams Mann nicht genug Geld verdiente, um die Familie durchzubringen, suchte sie sich einen Job als Reinigungskraft. Zuerst bei einer Expat-Familie, dann bei dreien gleichzeitig. Sie kamen aus England, Australien und den USA. Von frühmorgens bis in den Nachmittag hinein kümmerte sie sich um den Haushalt fremder Leute. Danach eilte sie nach Hause zu ihren Kindern und putzte die eigenen vier Wände.

Ein Kochkurs veränderte ihr Leben

Wann immer sie im Bus zwischen ihrem Zuhause und dem Arbeitsort pendelte, überlegte sie: «Wie kann ich mein Leben verändern?» Die Antwort fand sie 2015 dank eines Geschenks: Eine Arbeitgeberin wollte ihre Dankbarkeit ausdrücken und fragte, ob sie einen Koch-, Näh- oder Englischkurs machen wolle. Sam wählte den zweiwöchigen Kochkurs. Inspiriert davon sah sie einen neuen Weg für sich: «2016 habe ich mein eigenes Business angefangen, mit nur 20 Dollar.» Davon habe sie Milch gekauft, um Joghurt zu machen, das sie wiederum auf dem Markt verkaufte.

Saody Sam
Wenn Frauen arbeiten und Geld verdienen, können sie aufrecht sitzen, sich wehren und selbstbewusst sprechen. Als Frau kann ich dann alles erreichen.

Heute stellt Sam mit «Saodys Homemade Products» neben Joghurt auch Tofu, Sojamilch, drei Currypasten und Saucen her. Alles aus der eigenen Küche. Ihre Kundschaft findet die Produkte auf dem Markt in Phnom Penh. Daneben hat sie ihren eigenen Reinigungsservice, «Saodys Cleaning Service», aufgebaut. Drei Frauen arbeiten für sie, sie hofft, dass es bald mehr werden. «Wenn Frauen arbeiten und Geld verdienen, können sie aufrecht sitzen, sich wehren und selbstbewusst sprechen. Als Frau kann ich dann alles erreichen.»

Während die Familie früher kaum genug Geld fürs Essen hatte, kann Sam ihrem Sohn Sokong nun das Medizinstudium finanzieren. Und sie konnte genügend Geld beiseitelegen, um sich einen Traum zu erfüllen: ihr drittes Business. In ihrem Heimatort Kampot – im Süden Kambodschas am Meer – hat sie sich ein kleines Haus mit Umschwung gekauft. Dort will sie Gemüse anpflanzen und ein Gästehaus aufbauen. «Wenn ich dort bin, fühle ich mich ruhiger.» Sobald die Kinder ihre Ausbildung abgeschlossen haben, will sie dort bleiben.

Heute bietet sie ihrem Mann die Stirn

Doch noch arbeitet sie «wie eine Maschine», wie sie selbst sagt. Sam sagt: «Es heisst, der Ehemann soll die Frau glücklich machen. Aber das ist mir egal, ich mache mich selbst glücklich.» Sie sei dankbar für ihren Mann, der sie verletzt und so dafür gesorgt habe, dass sie stark werde. Früher habe er gar nichts im Haus gemacht, «heute macht er den Tofu», sagt Sam fast ein bisschen stolz.

Für seinen Sinneswandel hat sie selbst gesorgt. Seit sie ausser Haus arbeitet, ist die Beziehung ausgeglichener. Und bis sie in ihr Haus in Kampot ziehen kann, wehrt sie sich. Wenn sie streiten, sagt sie ihrem Ehemann in ruhiger Stimme: «Du hast Glück, dass du mich getroffen hast. Ich kümmere mich um den Haushalt und deine Kinder. Ich arbeite härter als du.» Und dann werde er ganz leise.

Zur Autorin: Silvana Schreier ist aktuell Redaktorin bei der Regionalzeitung «bz – Zeitung für die Region Basel». Während ihrer Reise hat sie als freischaffende Journalistin gearbeitet. Sie lebt in Olten.

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