Antonia Bertschinger ist selbstständige Autorin und Verlegerin. Sie ist die inoffizielle Sprachpäpstin bei elleXX, eliminiert Sprachfehler und schreibt übers Gendern. Im heutigen MoneyTalk erzählt sie, wie sie sich als Selbstverlegerin in der Literaturszene behauptet und weshalb sie nichts von Lohnverhandlungen hält.

Persönlichkeit
KnauserigGrosszügig
Sparer:inInvestor:in
HaushaltsbuchBauchgefühl
CashDigital Payment
SparkontoAktien
FrankenBitcoin
Hintergrund
Alter:50
Ort:Bergün
Beruf:Freie Autorin und Lektorin
Einkommen:30'000 – 60'000 CHF pro Jahr
Schulden:Eine Hypothek für eine Wohnung sowie ein Kredit für das erste Buch
Grösster Ausgabeposten:Bio-Lebensmittel
Vermögen:Eine Wohnung und viele Bücher

Kannst du als selbstständige Texterin und Verlegerin ruhig schlafen, wenn dein Bankkonto nicht rosig aussieht?

Meistens. Ich vertraue darauf, dass bald ein neuer Auftrag kommt. Wenn man nicht damit umgehen kann, dass zwischendurch sehr wenig oder nichts reinkommt, sollte man sich wohl besser nicht selbstständig machen. Im Moment macht mir allerdings mein zweites Buch etwas Kummer.

Weshalb?

2019 habe ich den ersten Band meiner Serie «Bergünerstein» im Eigenverlag veröffentlicht. Von diesem Buch habe ich im ersten Jahr 700 Exemplare verkauft. Für das erste Buch einer unbekannten Schweizer Autorin ist das wirklich gut! Im Januar 2023 ist das zweite Buch herausgekommen. Aus irgendeinem Grund wird es bislang weder von der Presse noch von Kund:innen gross wahrgenommen. Das deprimiert mich etwas.

Was deprimiert dich genau?

Als Autorin wünscht man sich natürlich ein möglichst grosses Publikum. Für die Verlegerin sind vor allem die Kosten und Einnahmen relevant. Ein Buch herzustellen ist teuer. Ich habe beide Bücher vollumfänglich in der Schweiz produzieren lassen – Gutachten, Korrektorat, Satz und Druck. Für den Druck des zweiten Bandes habe ich für 2000 Exemplare etwa 29’000 Franken bezahlt. Davon habe ich bislang rund 350 gedruckte Exemplare und 40 E-Books verkauft.

Das sind hohe Kosten, die du alleine tragen musst. Warum hast du dich für eine Schweizer Druckerei entschieden?

Beim ersten Buch habe ich ein Crowdfunding gemacht und mir überlegt, dass Menschen wohl eher bereit sind, für eine Schweizer Druckerei zu bezahlen. Das Crowdfunding war erfolgreich, und ich habe etwas mehr als 23'000 Franken bekommen, um einen Teil der Produktionskosten zu decken. Beim zweiten Buch war die Offerte aus Deutschland nur wenig günstiger als die in der Schweiz. Daher habe ich es lieber in der Schweiz machen lassen, auch wegen der Papierwahl und möglichen Problemen am Zoll.

Warum hast du dich eigentlich entschlossen, als Autorin und Verlegerin selbstständig zu publizieren?

Das hat sich ergeben. Ich habe für die Publikation des ersten Bands viele Verlage angeschrieben, aber nicht mal Absagen erhalten. Das kann ich auch verstehen. Die Verlage bekommen sehr, sehr viele Manuskripte vorgeschlagen. Bücher bedeuten auch immer ein Risiko für die Verlage. Meine Bücher sind 500- bis 700-seitige historische Romane, die im 17. Jahrhundert spielen. Für die meisten Verlage wäre das vermutlich zu teuer und riskant gewesen. Jedenfalls habe ich dann gedacht: Ich habe schon viele Kulturprojekte organisiert, warum nicht ein Buch selber produzieren?

Lohnt sich das finanziell?

Bisher nicht. Die ganze Arbeit des Schreibens, also den Beitrag als Autorin, bekommt man sowieso nicht zurück, ausser man hat einen Bestseller. Als Selbstverlegerin hat man zudem die zusätzliche Herausforderung, dass man sehr um Sichtbarkeit kämpfen muss, weil man kein grosses Werbebudget hat und nicht zum offiziellen Literaturbetrieb gehört.

Die ganze Arbeit des Schreibens, also den Beitrag als Autorin, bekommt man sowieso nicht zurück, ausser man hat einen Bestseller.

Wie meinst du das?

Der offizielle Literaturbetrieb stuft die Qualität von selbstverlegten Büchern grundsätzlich schlechter ein. Deshalb ist es beispielsweise schwierig bis unmöglich, Teil von grösseren Literaturfestivals zu sein oder Rezensionen in überregionalen Zeitungen zu erhalten.

Bereust du denn deine Investitionen?

Nein, keinesfalls, meine Bücher sind meine Herzenskinder. Aber ich hätte das Geld gerne zurück, davon könnte ich ein Jahr lang leben!

Hast du wegen deiner Bücher eigentlich Schulden?

Für den Druck meines ersten Buchs habe ich einen Kredit bei meinem Vater aufgenommen, den ich bisher nicht zurückzahlen konnte. Den Druck meines zweiten Buchs konnte ich selbst bezahlen, weil es im zweiten Jahr meiner Selbständigkeit als Lektorin und Texterin sehr gut lief. Wenn ich also den dritten Band «Bergünerstein» drucken lassen will, muss der zweite Band besser laufen. Sonst muss ich mir überlegen, andere Bücher zu schreiben. Krimis, feministische Satiren oder so (lacht).

Welche Gefühle lösen denn Geld bei dir aus?

Keine spezifischen. Beruflich denke ich nicht in Zahlen, sondern in Aufträgen. Geld ist einfach eine Zahl auf meinem Bankkonto, die ich mir manchmal ansehe.

Woher kommt diese Haltung?

Geld und materieller Besitz sind mir einfach nicht so wichtig. Ich habe keine Erwartungen, dass ich einen bestimmten Standard halten oder erreichen muss. Wahrscheinlich hat meine Haltung aber auch damit zu tun, dass es in meinem Elternhaus nie Geldprobleme gab. Wobei ich nicht weiss, wie es gekommen wäre, wenn wir zu Hause finanzielle Schwierigkeiten gehabt hätten.

Welchen Umgang hattet ihr denn zu Hause mit Geld?

Wir haben nie viel darüber gesprochen, und wir Kinder haben einfach ein bisschen Taschengeld erhalten. An etwas erinnere ich mich aber sehr gut: Wenn ich als Teenager und auch während des Studiums etwas wollte, das viel Geld kostete, musste ich es selbst verdienen. Etwa, indem ich während der Schulferien an der Coop-Kasse arbeitete. Zu diesem Betrag haben die Eltern dann etwas dazugegeben.

Vor deiner Selbstständigkeit warst du viele Jahre angestellt. Hast du in dieser Zeit einmal um deinen Lohn gestritten?

Ich war immer an Orten angestellt, an denen es Lohntabellen gab. Das heisst, die Stelle war einer bestimmten Lohnklasse zugeteilt, und die Einstufung innerhalb der Klasse erfolgte anhand von Alter, Ausbildung und Arbeitserfahrung. Einmal wurde ich an einer Universität als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt. Dort hat mir die Personalabteilung meine Dissertation weder als Ausbildung noch als Arbeitserfahrung angerechnet, obwohl das Doktorat relevant für meine Arbeit war. Da hat meine Vorgesetzte eine neue Einstufung verlangt. Ich finde es aber grundsätzlich falsch, dass man den eigenen Lohn verhandeln muss.

Ich möchte mich nicht geldgierig aufführen. Ich will aber auch nicht, dass ich weniger Geld bekomme als andere, nur weil ich mich anständig verhalte.

Weshalb?

So setzen sich doch vor allem diejenigen durch, die geldgierig sind. Ich möchte mich nicht geldgierig aufführen. Ich will aber auch nicht, dass ich weniger Geld bekomme als andere, nur weil ich mich anständig verhalte.

Wie meinst du das?

Wenn jemand Geldgieriges die Stelle bekommt, muss ich mich fragen: Was ist das für eine Firma, die solche Prioritäten setzt bei ihren Mitarbeitenden? Wenn das ganze Belohnungssystem nur auf Geld beruht, setzt man falsche Anreize. Dann kommen nicht motivierte, sondern geldhungrige Mitarbeitende.

Und wie ist es jetzt als Selbstständige, vergleichst du deine Löhne mit denen anderer selbständiger Texter:innen?

Das ist schwierig. Eine Freundin in Zürich macht das Gleiche wie ich und hat einen viel höheren Stundensatz. Sie ist allerdings schon länger im Geschäft, hat mehr Kund:innen und macht grössere Projekte. Sie hat mir gesagt, mein Ansatz von 120 Franken pro Stunde sei viel zu tief. Vielleicht ist das in Zürich so. Als ich meinen Satz festgelegt habe, habe ich aber in Basel gewohnt …

Und heute?

Heute lebe ich in Graubünden. Hier zahlt niemand einen höheren Stundensatz. Würde ich mehr verlangen, würde einfach jemand anders engagiert. Insofern muss ich mich anpassen, um marktfähig zu bleiben.

Wir biegen in die Zielgerade ein: Wofür gibst du gerne, respektive am meisten Geld aus?

Abgesehen von meinem Buchprojekt? (Lacht.) Für Bio-Essen. Das ist aber eine Ausnahmesituation. Ich wohne derzeit in einem alten, unrenovierten Haus mit sehr rudimentärer Ausstattung. Sonst würde ich sicher am meisten für die Miete bezahlen.

Und wofür gibst du ungern Geld aus?

Fürs Haareschneiden. Als Frau bezahlt man ja ohnehin doppelt so viel. Deshalb lasse ich sie jeweils ein paar Jahre wachsen und dann wieder schneiden. Seit ich ein festes Shampoo ohne Parfum aus dem Unverpackt-Laden verwende, habe ich auch keine Gäbeli (dt. Spliss) mehr. Daher sehe ich den Sinn des Haareschneidens nicht so richtig ein. Ausserdem regt es mich beispielsweise auf, wenn ich irgendwo meine Trinkflasche nicht auffüllen kann und für eine Flasche Wasser bezahlen muss.

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