Meine Mutter erhielt noch bis weit in die 1960er-Jahre monatlich von meinem Vater eine Art Sackgeld und musste damit haushalten. Obwohl sie keine Minute weniger arbeitete als ihr Ehemann. Nicht etwa «nur» im Haushalt, sondern mit an der Spitze unseres Familienbetriebes.
Es gab noch kein Frauenstimmrecht, dieses sollte erst 1971 in einer Abstimmung durch die Schweizer Männer eingeführt werden. Dafür die Brigitte-Diäten und Frau Helvetia auf dem Fünfliber. Natürlich erhielt der weibliche Part meiner Eltern einen angemessenen Lohn, doch dieser ging nicht etwa auf ihr Konto, sondern auf das meines Herrn Papa. Er war es denn auch, der ihr davon ein monatliches Budget für die täglichen Dinge des Lebens zuteilte. Alles darüber hinaus musste (aus)diskutiert werden. Und nein, ich wuchs in nicht gerade bescheidenen Verhältnissen auf.
Das Unfassbare: Meine Mutter und ihre Geschlechtsgenossinnen schien der interne Gehaltsfilter nicht weiter zu stören. Alles, was recht ist. Auch als mein Bruder und ich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts das Licht der Welt (es gab bereits Strom) erblickten, arbeitete meine Mama in der Firma, einem Architekturunternehmen, selbstverständlich zu hundert Prozent weiter. Im Büro. Das bisschen Arbeit zu Hause, ich bitte dich.
Die wirklichen Geschäfte in dieser Branche wurden ohnehin unter den Männern ausgemacht – bei einem gutem Essen, hochgeistigem Gedankenaustausch und im vergnüglichen Wissen, dass dabei gewisse kartellrechtliche Grenzen tangiert werden könnten.
Von heute auf morgen alleine
Das alles änderte sich von einem Tag auf den anderen. Mit gerade einmal 51 wurde unser Familienoberhaupt – damals noch der korrekte behördliche Ausdruck – von einem tragischen Vorfall aus dem Leben gerissen. Ohne Verfassungs-, Gleichstellungs- und Genderdiskussionen wurde Mutter, damals 43, zur «Prinzipalin». Und sie blieb es mit grossem Erfolg bis zum Verkauf des Unternehmens vor einigen Jahren.
Zwar fehlte an den heiteren konspirativen Runden in Hinterzimmer des Rössli plötzlich eine gewichtige Stimme. Die aber war anderswo sehr wohl weiter zu hören: ab sofort in Sitzungszimmern bei Kaffee und Pepita oder nach einem guten Abschluss im Speisezimmer unseres privaten Heims. Kein Weltuntergang. Vor solchen Abenden mussten die Herren der Schöpfung nur noch ihre Krawatte finden und das gewohnte Vokabular überprüfen. Noch immer galt (oder gilt?) am Ende einer Einigung der legendäre Handschlag. Doch deutlich vorher und dann ab dem Morgen darauf wurden die angepeilten Ziele nun von den Finanzkräften auf ihre Wirtschaftlichkeit und rechtliche Korrektheit hin überprüft.
Nicht, dass es im Baugewerbe nicht noch vereinzelt Absprachen geben würde, die Gewerbeverbände, Gewerkschaften und Kartellaufsicht brennend interessieren würden. Doch die Fingernägel bei derartigen Handschlägen sind äusserst selten lackiert.
Übrigens: Die von unserem einstigen Familienunternehmen erbauten Liegenschaften – darunter der Hauptsitz einer namhaften Bank – stehen noch immer. Und dies, obwohl bei der Er(Sie)richtung eine Frau das Sagen hatte. Diese bezieht nun AHV und geniesst den Lebensabend mit ihrem geliebten Sportwagen.