«Bevor ich in die Schweiz kam, dachte ich, hier sei alles besser», sagt Ursula. «Aber wenn ich ehrlich bin: Was Frauenrechte angeht, ist es hier noch schlimmer als zu Hause.» Zu Hause ist Peru. Dort lebte die heute 47-Jährige, bevor sie mit ihrem Ehemann nach Spanien zog. 2012 verlor er seinen Job in der Baubranche und fand einen neuen in der Schweiz. Ursula blieb vorerst in Spanien, das Paar führte eine Fernbeziehung: «Das war schwer, aber ich besuchte ihn immer wieder in der Schweiz», erzählt Ursula. Wir treffen uns in einem Sitzungszimmer im Zürcher Volkshaus, Ursula ist sorgfältig geschminkt und strahlt eine Wärme aus, die an diesem kühlen Gewittertag Anfang Mai besonders guttut.
Die Ferien in der Schweiz hätten ihr immer gut gefallen, erzählt sie: «Die Landschaft hier ist so schön, die Schweiz ist eigentlich ein wunderbares Land.» Fünf Jahre nach ihrem Ehemann zog Ursula nach und suchte einen Job, den man auch ohne Erfahrung ausüben kann. Bald fand sie eine Anstellung bei einer Reinigungsfirma, putzte Büros in grossen Firmen und Banken. Wirklich glücklich wurde sie aber nicht – und das lag nicht an der Tätigkeit selbst: «Ich liebe es zu putzen», sagt sie mit strahlenden Augen. «Wenn ich mit einem Raum fertig bin und er so richtig funkelt, wenn es sauber riecht, dann bin ich zufrieden. Ich behandle bei der Arbeit jeden Raum so, als würde ich selber dort wohnen und Gäste empfangen.»
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Wo Migrant:innen arbeiten, ist der Durchschnittslohn tief
Rund 5500 Firmen gibt es heute in der Reinigungsbranche, dazu kommen Zehntausende private Arbeitgeber:innen. Ursula gehört zu den rund 200’000 Menschen, die in der Schweiz Reinigungsarbeiten verrichten: legal Angestellte oder Halblegale mit Arbeitserlaubnis. Viele arbeiten schwarz, weil sie ohne Papiere in der Schweiz leben. Das schreibt die Autorin Marianne Pletscher in ihrem Buch «Wer putzt die Schweiz?». Diese Menschen reinigen Restauranttoiletten, Konferenzräume und Wohnzimmer, sorgen dafür, dass die Strassen sauber und die Spitäler hygienisch keimfrei sind. Die meisten von ihnen haben wie Ursula einen Migrationshintergrund. Die Reinigungsbranche bietet einen einfachen Einstieg in den Arbeitsmarkt, weil oft keine Ausbildung oder Erfahrung vorausgesetzt wird. Pflegeheime und Spitäler wären ohne die Arbeit von Migrant:innen noch unterbesetzter, und viele Frauen könnten ohne ihre Nannies keine Karriere machen.
In den meisten Bereichen, in denen vor allem Migrant:innen arbeiten, ist der Durchschnittslohn jedoch tief: «Oft können Frauen zudem nur in kleinen Pensen arbeiten, weil sie Kinder haben», sagt Pinuccia Rustico, Gewerkschaftssekretärin der Unia Zürich-Schaffhausen. Und selbst, wenn sie kinderlos sind, stellen Firmen ihre Mitarbeitenden häufig bloss in kleinen Pensen an: «Viele von unseren Mitgliedern haben mehrere Verträge mit 20- oder 30-Prozent-Pensen, die sehr schlecht bezahlt sind. Wer auf 3000 Franken im Monat kommen will, braucht darum im schlimmsten Fall bis zu fünf Jobs gleichzeitig – das ist unglaublich anstrengend und darf nicht sein.» Ein kleines Einkommen führt zu einer sehr kleinen Rente, oft ohne eine Pensionskasse. Altersarmut ist vor allem weiblich. Und Pinuccia streicht noch einen weiteren wichtigen Punkt heraus: «Die Angestellten trauen sich oft nicht, sich zu wehren, weil ihre Aufenthaltsbewilligung an den Job geknüpft ist.»
Fehlende Wertschätzung, chaotische Arbeitstage
In der Unterhaltsreinigung liegt der Mindestlohn seit 2023 bei 20.80 Franken pro Stunde, das ist ein Franken und sechzig Rappen mehr als am Anfang von Ursulas Karriere. Ab 2024 müssen Auftraggeber:innen mindestens 20 Franken pro Stunde bezahlen. So steht es im Gesamtarbeitsvertrag (GAV), den die Gewerkschaften Unia und Synia zusammen mit dem Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste VPOD für die Deutschschweiz mit ausgehandelt hat und der 2021 vom Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärt wurde. «Als ich erfahren habe, wie wenig man verdient, war ich geschockt», erzählt Ursula. «Das ist für mich absolut fehlende Anerkennung unserer Arbeit, sogar in der Baubranche wird man besser bezahlt.» Ursulas Arbeitsplan war chaotisch: Am gleichen Tag musste sie jeweils quer durch Zürich fahren, um zu den verschiedenen Einsätzen zu gelangen. Die Kosten für den öffentlichen Verkehr übernahm die Firma, bei der Ursula angestellt war, nicht.
Und dabei blieb es nicht: Zu Beginn der Coronapandemie erhielt Ursula ein Schreiben ihrer Arbeitgeberin mit den einzuhaltenden Sicherheitsmassnahmen, drei Paar Einweghandschuhe und eine Flasche Desinfektionsmittel. Alle weiteren Materialien, die sie nun zusätzlich und für nicht absehbare Zeit für ihre Arbeit brauchte, musste sie selber berappen. Ursula war damals im Stundenlohn angestellt, arbeitet etwa 60 Prozent und verdiente damit monatlich rund 1700 Franken netto.
«Die tiefen Löhne sind ein grosses Problem in der Reinigungsbranche», sagt Pinuccia Rustico. Zwar haben sich die Löhne seit der Einführung des ersten GAV im Jahr 2004 verändert – 28 Prozent mehr verdienen Angestellte mittlerweile – aber das reicht noch nicht. Deshalb definiert der neue GAV ab 2024 einen höheren Stundenlohn. Und noch etwas wollen die Gewerkschaften vorantreiben: Dass sich mehr Angestellte aus- und weiterbilden lassen. «So können sie in eine höhere Lohnstufe kommen. Viele Firmen, vor allem die kleineren, verschweigen ihren Angestellten aber, dass sie diese Möglichkeiten haben», so Rustico. Deshalb bietet die paritätische Kommission der Reinigung in der Deutschschweiz genau solche Kurse an. «Unser Ziel ist, dass sich die Angestellten von sich aus bei uns melden und solche Kurse absolvieren, damit sie mehr verdienen können», erklärt Rustico. Zudem gibt es Sprachkurse in Deutsch und Französisch sowie Kurse zu Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz.
Der GAV der Branche bietet ausserdem Kontrollinstrumente, die die Angestellten nutzen können: «Wir können eine Lohnkontrolle des Arbeitgebers veranlassen und die Lohnabrechnungen der Mitarbeitenden kontrollieren», sagt Rustico. Darum sei es so wichtig, dass sich Angestellte in der Reinigungsbranche einer Gewerkschaft anschliessen: «Wir hören immer wieder von unseren Mitgliedern, dass sie sich mehr Anerkennung wünschen. Und die läuft nun einmal auch über den Lohn, das ist sehr wichtig. Mit der Anerkennung kommen auch die Rechte.»
Aber es war nicht nur die fehlende finanzielle Wertschätzung, die Ursula dazu brachte, ihren Job zu kündigen: «Ich will mich im Moment voll und ganz darauf konzentrieren, Deutsch zu lernen», erzählt sie. Das Sprachniveau B1 ist ihr Ziel. Und dann wäre da noch die Geschichte vom letzten Sommer. Ursulas Vater erkrankte damals schwer an Covid: «Für mich war völlig klar, dass ich zu ihm und zu meiner Familie nach Peru muss», erzählt sie. Das Flugticket war bereits gebucht, als sie ihren Vorgesetzten darum bat, spontan Ferien nehmen zu können. Der lehnte ihren Antrag ab – obwohl Ursula erklärte, weshalb sie so spontan weg musste: «Dann habe ich meinen Schlüssel auf den Tresen gelegt und gesagt, dass ich trotzdem fliege.» Zum Glück. Ursulas Vater überlebte die Krankheit nicht.
Wieder zurück in der Schweiz, fragte ihr Arbeitgeber nicht nach, wie es ihr geht. Während die Kund:innen, für die Ursula putzte, ihr zu Weihnachten jeweils Dankeskarten mit lieben Zeilen und Bargeld schickten, interessierte man sich in ihrer Firma nicht für ihr Wohlergehen: «Ich war nur eine Nummer für meine Arbeitgeber, mehr nicht.» Ursula reichte nach fünf Jahren Anstellung die Kündigung ein. Dies tun zu können, ist ein Privileg, dessen sie sich bewusst ist, sagt sie: «Viele Frauen können sich das schlichtweg nicht leisten. Ich habe das Glück, dass mein Mann mich finanziell unterstützt.» Heute arbeitet sie selber noch 20 Prozent bei einer neuen Firma und verdient rund 1000 Franken im Monat; angestellt in einem fixen Pensum, nicht mehr im Stundenlohn wie früher.
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Aussteigen aus der Branche will sie aber nicht, im Gegenteil: «Mein Traum ist es, meine eigene Reinigungsfirma zu gründen und alles besser zu machen, als ich es erlebt habe.» Was für eine Chefin möchte sie sein? Als ich ihr die Frage stelle, geht in Ursulas Gesicht die Sonne auf: Eine faire Chefin wolle sie sein, auf jeden Fall. Eine, die ihre Mitarbeiterinnen wertschätzt und auf sie und ihre Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Eine Chefin, die dafür sorgt, dass ihre Angestellten sich weiterbilden und über ihre Rechte aufgeklärt sind: «Nur glückliche Angestellte sind gute Angestellte!» Wenn Ursula über ihre Anliegen spricht, tut sie es mit einer Energie, die den ganzen Raum ausfüllt. Auch bei der Unia ist sie engagiert, sie besucht regelmässig Deutschkurse und Vernetzungstreffen mit anderen Frauen aus der Branche und nahm 2019 am grossen nationalen Frauenstreik teil. Eine Kämpferin des Alltags.
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