Du bist die bekannteste Risikokapitalgeberin und Investorin der Schweiz. Dein Leben dreht sich um Geld. Bist du geldgierig?
Nein, Geld ist Mittel zum Zweck. Es ermöglicht einen gewissen komfortablen Lebensstandard. Darüber hinaus habe ich keine Geld-Ambitionen. Geld macht mich nicht glücklich. Der Job macht mich glücklich.
Aber dein Job dreht sich ja gerade ums ganz grosse Geld. Deine Firma hat mehr als eine Milliarde Franken gemanagt.
Ich bin nicht im lukrativsten Bereich der Risikokapitalbranche tätig. Wenn ich nur auf die Gewinnmaximierung aus wäre, hätte ich nicht den Cleantech-Sektor gewählt und würde auch nicht sinnorientiert investieren. Mir ist der Impact genauso wichtig wie die finanzielle Rendite. Langfristig können Investor:innen im Cleantech-Sektor eine jährliche Rendite von 15 Prozent erwarten. In anderen Industrien wollen sie ihr Geld verzehnfachen. Wir peilen beim Investieren eine Vervierfachung an. Aber Cleantech-Start-ups überleben eher als andere Firmen. In anderen Industrien schafft es nur eins von zehn Start-ups, im Cleantech-Sektor sind die Überlebenschancen höher.
Du gehörst also zu den guten VCs? Die Branche geniesst nicht den besten Ruf, gilt als opportunistisch, geldgierig.
Ich sehe Venture Capital ganz anders: kollaborativ. Es ist zwar schwierig, aber auch aufregend. Es ist wie ein Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Man leidet und lebt mit den Start-ups mit. Wir schwitzen Blut und Wasser zusammen, gehen durch dick und dünn. Wir sitzen doch im selben Boot. Es ist eine intensive Mitunternehmerschaft auf Zeit. Wir bleiben im Schnitt sieben Jahre zusammen im Business. Manchmal entwickeln sich gar dicke Freundschaften und man besucht gegenseitig Familienfeste. Klassische Ferien gibt es bei mir nicht. Ich bin immer erreichbar.
Also nur Workations?
Wohl eher Work-Life-Blending, das Verschmelzen von Arbeits- und Privatleben. Ernsthaft, ich muss für die Gründer:innen da sein. Diese kleinen Start-ups geraten immer in grosse Probleme.
Zum Beispiel?
You know «shit happens»: Es passieren immer ganz viele unvorhergesehene Dinge. Sie verlieren ihren grössten Kunden, es kommt zu Produktionsfehlern, oder der wichtigste Investor macht einen Tag vor dem Closing einen Rückzieher. Junge Firmen leben von der Hand in den Mund.
Was bedeutet das für dich?
Ich habe dann tägliche Calls mit den Boards und Geschäftsleitungen. Eines meiner Investments stand soeben noch kurz vor dem Börsengang, nun ist wegen des turbulenten Marktumfeldes alles abgeblasen, und wir mussten eine Notfinanzierungsrunde stemmen. Wir machen natürlich auch phänomenale Exits, aber gleichzeitig eben auch viele Nahtod-Erfahrungen. Du siehst, ich kann nicht in die Ferien fahren …
Du machst mir als Gründerin gerade ein wenig Angst …
Ja, viele Gründer:innen würden wohl gar nicht erst starten, wenn sie im Voraus wüssten, wie schwierig es ist. Sie sind von Natur aus Optimist:innen. Und sie planen auch ihre Finanzen immer sehr optimistisch. Wir wissen das natürlich, da wir seit Jahrzehnten im Geschäft sind. Es gibt übrigens leider fast keine Gründer:innen. Ich sichte jährlich Tausende Businesspläne, aber leider ist äusserst selten eine Frau im Cleantech-Bereich dabei.
Es gibt auch wenige Frauen, die es riskieren, zu investieren. Bist du je an deine Grenzen gekommen?
Wenn es zu einer Fehlinvestition kommt und man sich dadurch lähmen lässt, ist man im falschen Job. Ich hatte in den zwanzig Jahren, in denen ich das nun schon mache, gerade mal einen einzigen Fall, wo uns das Jungunternehmen belogen hat. Der Gründer war ein Tech-Freak. Um die Produktkosten zu senken, hat er einen Fehler designt. Und er konnte nicht zugeben, dass er einen Fehler gemacht hat. Aber es war kein kalkulierter Betrug.
Hierzulande gibt es diesen Mut zum Risiko, zum Investieren kulturell nicht. Die Venture-Capital-Szene ist praktisch inexistent. Können wir uns dennoch zu einer Start-up-Nation entwickeln?
Ich würde es mal so formulieren: Die Schweiz hat noch sehr viel Potenzial ...
Mehr als 90 Prozent der Partner im Venture-Capital-Bereich sind Männer. Wie reagiert eigentlich das private Umfeld auf deinen Beruf?
Frauen in meiner Generation werden an privaten Anlässen gar nie danach gefragt, was sie beruflich machen. Die Gäste wenden sich an den Mann und fragen nach seinem Schaffen. Dass ich auch voll berufstätig sein könnte, schliesst man aus. Ich überlebe einen ganzen Abend, ohne dass jemand erfährt, was ich mache. Die Schweiz ist sehr konservativ. Mein Mann erzählt mittlerweile proaktiv und stolz, was ich mache.
Wer hat mit dir zu Hause über Geld gesprochen?
Ich wuchs in einer armen Familie von Immigranten aus Italien und Frankreich auf. Sie wanderten in die USA aus, um Geld zu machen, um den amerikanischen Traum zu leben. Wir lebten in Chicago, in einer typischen «blue collar»-Arbeiterfamilie. Einmal habe ich gefordert, Skifahren zu gehen. Da haben sie mich ausgelacht und gefragt, ob ich eigentlich meine, eine Prinzessin zu sein. Aber meine Eltern haben es geschafft, vier Kinder ins College zu bringen.
Was haben sie dir in Gelddingen mitgegeben?
There ain’t no such thing as a free lunch: Alles, was man im Leben erreichen will, muss man sich erarbeiten. Mein erster Job war bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (heutige UBS) in Chicago. Da habe ich Firmen auf ihre Bonität geprüft. Es war mir richtig peinlich, meinen Eltern zu erzählen, dass ich Geld verdiene, indem ich nur dort sitze, dass es keine körperliche Arbeit ist.
Aber von der SBG rührt seine Swiss connection?
Ja, später wurde ich nach New York ins World Trade Center versetzt. Dort lernte ich meinen Schweizer Ehemann kennen.
Und die Schweiz. Darauf hast du bei Sulzer die grossen Money-Deals über die Bühne gebracht.
Ich liebe die Industrie. Die 90er waren eine aufregende Zeit. Es gab Akquisitionen, Mergers, Restrukturierungen: Ich habe bestimmt 50 Firmen gekauft oder verkauft.
Bist du nie angeeckt?
Ich war in der Tat anders als alle anderen, eine Ausländerin, die nie im Schweizer Militär war. Ich genoss daher eine gewisse Narrenfreiheit. Aber nur durch meine «male Allies». Das waren übrigens allesamt Männer mit Töchtern.
Du selbst hast einen Sohn. Geld ist deine Welt, konntest du dieses Talent an ihn weitergeben?
Er ist bisher jedenfalls sehr diszipliniert und geschickt mit Geld. Ich habe ihm schon sehr früh Taschengeld gegeben. Ich hatte nie ein Kind, das sich im Supermarkt auf den Boden schmiss und schrie. Schon als Kleinkind habe ich ihm einen oder zwei Franken gegeben, und er musste selber rausfinden, welche Candies er sich davon leisten kann. Ein schwieriger Entscheidungsprozess, wie man sich ja vorstellen kann. Als er noch nicht rechnen konnte, rannte er dann oft zwischen Regalen und Kasse hin und her und fragte das Personal.
Was hast du persönlich für Erfahrungen mit Geldberatern – sprich Banken gemacht?
Ich fühle mich vernachlässigt. In der Mehrheit der Fälle mag der Mann immer noch der Hauptverdiener sein und Geldentscheidungen treffen, aber das ändert sich. Ich bin es müde, auf mich aufmerksam zu machen: «Hallo, ich bin auch hier, und ich verdiene übrigens ganz gut.» Auch diese Kundenevents richten sich so offensichtlich nur an Männer: Golf-Turniere, Formel 1 oder Wein-Degustationen. Es ist alles für männliche Kunden designt. Es ist ein Muster, und danach richtet sich alles. Ob Bankberater oder Autoverkäufer, die Muster sind die gleichen.
Wie meinst du das?
Ich wollte mir einen BMW kaufen. Mein Mann begleitete mich dahin. Im Autohaus angekommen, hat mich der Verkäufer komplett ignoriert, nicht einmal mit mir gesprochen. Ich wollte auch ein spezielles Rot. Und prompt schaute er wieder zu meinem Mann und sagte: «Sie wollen keinen roten Wagen.» Dann wechselten wir zu Audi. Und wieder wollte sich der Verkäufer an meinen Mann richten, doch dieser rief schon von weitem: «Sprechen Sie bitte mit ihr!» Was er auch tat, aber immer so, als würde mein Mann mir das Auto als Geschenk kaufen wollen. Die Wirtschaft und ihre Verkäufer sind einfach so programmiert. So funktioniert Mustererkennung.
Zeit, diese alten Muster aufzubrechen. Danke für das Gespräch!