Peter Grünenfelder ist frischgebackener Vater, Direktor der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse und kandidiert 2023 für den Zürcher Regierungsrat. In den Männerfragen spricht er über seine Hormonschwankungen nach der Geburt, politische Männeranliegen und seine Traumhochzeit.
Du bist vor einem halben Jahr Vater geworden. Bist du mit 54 nicht ein bisschen alt, um noch Vater zu werden?
Nein, ich finde das genau das richtige Alter für mich. Meine Kollegen, die in jungen Jahren Väter geworden sind, hatten gerade erst das Studium fertig, standen am Anfang ihrer Berufslaufbahn und waren finanziell noch nicht so gut aufgestellt. Meine Frau Christa und ich haben beide schon viel gemacht im Leben. Deshalb stimmt es für uns in jeder Form, dass wir jetzt Eltern geworden sind.
Wie gehst du mit übergriffigen Fragen um? Zum Beispiel, warum du so später Vater geworden bist?
Das lässt mich kalt, ich bin hart im Nehmen.
Hast du dir schon überlegt, welche Art von Maskulinität du deinem Sohn vorleben willst?
(Lacht.) Nein. Aber ich möchte ihm Liberalität, Lebenslust und unbegrenzte Weltoffenheit vorleben. Mein Sohn soll interessiert an der Welt und der Politik sein, dann kann er etwas bewegen. Wie er schlussendlich politisch ausgerichtet ist, ist sekundär. Am liebsten hätte ich natürlich, wenn er auch liberal ist (lacht).
Aber so in Bezug auf Rollenmodelle, was lebst du ihm vor?
Ah, die Erziehungsaufgaben teilen wir uns auf. Wobei, ein Kleinkind kann man ja noch nicht wirklich erziehen. Wir teilen uns aber wirklich alle Aufgaben auf. Bezüglich Wertvorstellungen sind uns Christa und ich auf jeden Fall einig. Tagsüber ist unser Sohn in der Krippe oder eine der beiden Grossmütter passt auf ihn auf.
Du siehst ganz passabel aus. Wie hast du die Schwangerschaftskilos wieder runtergebracht?
Ehrlich gesagt ist genau das passiert, was alle sagen: Ich habe als Papi zugenommen. Eigentlich jogge ich täglich, aber nicht mehr so lange, seit ich Papi geworden bin. Eben weil ich am Morgen zum Beispiel Windeln wechsle oder so. Seit ich Vater geworden bin, habe ich übrigens auch mega Lust auf Schoggi, das hatte ich vorher nie (lacht).
Und wie lief es nach der Geburt mit den Hormonen?
Ich bin emotional wirklich der glücklichste Mensch in meinem bisherigen Leben. Seit der Geburt war ich einmal im Kino, und jede traurige Szene hat mich total mitgenommen. Nein, ernsthaft, ich bin heute im positiven Sinne viel emotionaler und gleichzeitig, so seltsam das klingt, auch tiefenentspannt. Wenn mich mein Sohn am Morgen, wenn ich aufstehe, und am Abend, wenn ich nach Hause komme, anlacht, dann geht es mir supergut. Das ist wirklich so. Warte, ich muss dir unbedingt ein Foto zeigen.
(Sucht ein Foto raus und zeigt es stolz). Ein Kind zu haben, ist einfach das Schönste, was es gibt. Schau mal, wie er strahlt, das macht er die ganze Zeit.
Wie viel Elternurlaub hast du nach der Geburt deines Sohnes genommen?
Zwei Wochen. Und ich habe ein Tränli vergossen, als ich zurück ins Büro musste.
Hättest du gerne länger Vaterschaftsurlaub gehabt?
Das ist der mögliche Rahmen. Bei Avenir Suisse habe ich übrigens schon einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub angeordnet, bevor er gesetzlich eingeführt wurde. Aber die zwei Wochen waren ruckzuck rum. Und dann hat es schon etwas weh getan, zurück ins Büro zu gehen.
Stehst du nachts immer auf, oder macht das deine Frau auch manchmal, wenn dein Sohn hungrig ist?
Es ist tatsächlich so, dass wir in der Nacht schauen, wer gerade aufstehen mag. Wenn Christa einen mega wichtigen Auftritt am nächsten Tag hat, bei dem sie alle sieben Sinne zusammen haben muss, dann ist klar, dass ich aufstehe. Wenn ich einen wichtigen Auftritt habe, dann umgekehrt. Aber wenn Michel in der Nacht Hunger hat, meldet er sich so laut, dass wir sowieso beide wach werden (lacht).
Warum hast du dich trotz der Steuerstrafe zum Heiraten entschieden? Wolltest du einfach so eine Traumhochzeit haben, wie sich das Männer oft wünschen?
Weil ich meine Frau über alles liebe. Auch wenn ich liberaler Verfechter der Individualbesteuerung bin und dieses Anliegen Teil meines Wahlprogramms ist, geht beim Heiraten die Liebe vor. Aber die erste Steuerrechnung kommt erst noch, die wird uns sicher schockieren. Deshalb brauchen wir unbedingt die Individualbesteuerung, damit man auch als Ehepaar gleichberechtigte Chancen hat und steuerlich nicht benachteiligt wird.
Deine Frau ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten im Parlament. Stört es dich, immer in ihrem Schatten zu stehen?
Das ist der Bundes-Schatten, wir kommen ja ganz elegant aneinander vorbei. Sie macht Bundespolitik, und ich strebe ein kantonales Regierungsamt an. Und ihr Spielfeld ist die Legislative, das macht sie exzellent. Ich strebe ja ein Exekutivamt an. Deshalb ist das optimal.
Avenir Suisse empfiehlt in Sachen Gleichstellung, dass die Erwerbs- und Haushaltsarbeit paritätisch aufgeteilt werden soll. Ist das bei euch so?
Ja. Wirklich. Wir sind beide sehr viel am Arbeiten, aber wir wissen auch beide, dass wir jetzt eine private Verpflichtung haben. Das stimmen wir wirklich sehr sehr fair miteinander ab.
Wie kam es dazu, dass du an der HSG Betriebswirtschaft studiert hast? Männer können es ja bekanntlich nicht so mit Zahlen.
(Lacht). Nach dem Gymi hat ein Freund von mir gesagt, er gehe an die HSG. Ich war da ein Adoleszent und wollte an einer Universität ausserhalb von zu Hause studieren. Ich habe in St. Gallen in einer WG gelebt und viel Sport gemacht. Im Vorlesungssaal war ich damals weniger. Aber klar, die HSG war natürlich auch eine hervorragende Universität für Betriebswirtschaft, und ich wollte mir ein breites Allgemeinwissen aneignen. Es war mir nämlich noch nicht hundertprozentig klar, was ich danach beruflich machen will. Ich habe mich zwar immer für Politik und Reformen im öffentlichen Sektor interessiert. Wobei ich ursprünglich eigentlich Tierarzt werden wollte.
Du warst also nicht an der HSG, um eine reiche Frau kennenzulernen?
(Lacht laut.) Nein, ich bin nicht so monetär ausgerichtet, auch wenn man das mir vielleicht zutraut.
Avenir Suisse ist eine Denkfabrik: Kann ein Mann überhaupt so gross und visionär denken?
Wir haben einen sehr interaktiven Ansatz. Das heisst, ich sitze permanent mit Frauen und Männern aus dem In- und Ausland aus verschiedenen Fachdisziplinen zusammen und entwickle mit ihnen Ideen. Unser Ziel ist, dass wir die Schweiz weiterbringen. Von all den Meinungsführer:innen, die es an Universitäten, in der Wirtschaft und in der Politik gibt, wollen wir das liberale Reform-Rad sein. Deshalb machen wir das nicht in einem Elfenbeinturm an der Uni, sondern wir wollen einen permanenten Austausch mit allen Leuten.
Du kandidierst im Februar 2023 für den Zürcher Regierungsrat. Traust du dir das wirklich zu?
Ja, weil ich seit fast 30 Jahren in Funktionen an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft, beziehungsweise Wissenschaft und Zivilgesellschaft tätig bin. Ich schaue mir seit 30 Jahren an, wie wir unseren Staat aus liberaler Sicht vorwärtsbringen können. Zudem habe ich schon immer nahe an der Exekutive gearbeitet oder exekutivähnliche Ämter ausgeführt. Ich sass zwölf Jahre am Regierungstisch im Kanton Aargau mit Antragsrecht. Und ich habe schon viele Reformen verantwortet.
Politik ist ein hartes Pflaster. Bist du dafür nicht zu sensibel?
Ehrenwort, das beschäftigt mich schlichtweg nicht. Ich exponiere mich ja bereits in meiner jetzigen Funktion und werde kritisiert. Ich sehe das so: Wenn ich nicht kritisiert werde, dann machen wir zu wenig pointierte Vorschläge. Ich finde, zu einer direkten Demokratie und einer freien Meinungsbildung gehört auch ein Streit-Diskurs. Und wer es nur «wohlfühlig» will, sollte nicht in der Politik.
Wie kommt es, dass du als Mann so liberal denkst?
Bei mir war das Elternhaus sehr prägend. Meine Mutter und ihre Grossfamilie haben den Zweiten Weltkrieg in Österreich miterlebt. Sie haben fast alles verloren und wieder neu aufgebaut. Mein Vater ist auch in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Meine Eltern wussten also beide, was es braucht, damit man materiellen Wohlstand erreichen kann. Sie haben immer gesagt: Das Geld wächst nicht auf den Bäumen, du musst selber «chrampfen». Deshalb haben sie mir einen liberalen Werte-Kompass mit auf den Weg gegeben.
In Sachen Gleichstellung ist die Schweiz kein Vorzeigebeispiel. Wo bekommst du das im Alltag zu spüren?
(Überlegt). Uns fehlt es an allen Ecken und Enden an guten Leuten. Deshalb haben wir bei Avenir Suisse auch die Grundlage für die Individualbesteuerung gelegt. Wir müssen wirklich Anreize schaffen, damit wir zumindest auf dem Arbeitsmarkt Gleichstellung erreichen.
Was würdest du als Zürcher Regierungsrat für die Gleichstellung tun?
Wie gesagt, die Individualbesteuerung ist absolut essenziell. Zudem habe ich in meiner Berufslaufbahn immer auch Frauen und junge Mitarbeiter:innen eingestellt und gefördert. Ich glaube aber auch, dass die Arbeitsformen der Zukunft diejenigen sind, die viele Frauen schon vorleben. Bei den Freelancern gibt es mehr Frauen, sie arbeiten mehr Teilzeit. Das ist die neue Art und Weise, wie die Leute arbeiten wollen. Und auch der öffentliche Sektor muss das möglich machen. Es geht nicht mehr, dass alle morgens um halb acht im Büro sein müssen und abends um fünf die Lichter gelöscht werden. Man muss auch ortsungebunden arbeiten können, auch im öffentlichen Sektor. Das führt aber unter anderem dazu, dass manche von diesen Verwaltungs-Palästen verkauft werden könnten – die bräuchte es dann nicht mehr. Wenn der Staat ein guter Arbeitgeber sein will, dann muss er die Flexibilität, die sich die Arbeitnehmerinnen und zunehmend auch die Arbeitnehmer wünschen, ermöglichen.
Und wie steht es um die Kinderbetreuung?
Auch da ist die Privatwirtschaft fortschrittlicher. Im Bundeshaus gibt es ein Stillzimmer, aber keine Kita. Ein Stillzimmer im Bundeshaus ist nett, aber was machst du dann mit dem Baby tagsüber? Da könnte man auch einen Zacken zulegen.
Was sagst du zu den hohen Kosten für die Kinderbetreuung?
Wir wollen ja Frauen und Männer im Arbeitsmarkt behalten, auch wenn sie Kinder haben. Zweiverdiener-Paare mit Kindern sind gleich doppelt bestraft mit den hohen Steuern und den Kita-Tarifen. Darum braucht es die steuerliche Abzugsfähigkeit von Kita-Kosten.
Denkst du wirklich, dass solche Männer-Anliegen jemals eine Chance haben, in der Politik durchzukommen?
Das ist ein gesellschaftliches Anliegen! (Stockt, lacht.) Eure Fragen sind umwerfend gut. Ja, ich bin zuversichtlich. Der Mangel an hochqualifizierten Männern und vor allem Frauen wird in den nächsten Jahren massiv zunehmen. Es ist ein ökonomischer Irrsinn: Wir bilden diese Leute mit unseren Steuergeldern teuer an den Universitäten aus und schaffen danach fast keine Anreize, dass sie nach dem ersten Kind auf dem Arbeitsmarkt bleiben. Das geht schlichtweg nicht.
Das Thema Schule beschäftigt dich ja auch, wenn man deine Homepage so anschaut. Typisch Mann, diese Bildungsthemen …
Ja, der integrative Schulansatz ist als Idee sehr gut. Aber in der Praxis ist er massiv gescheitert.
Was meinst du damit genau?
Die Idee vom integrativen Schulansatz war ja, dass man alle Kinder mitnimmt – auch die leistungsschwachen. Aber seit ich mich mal kritisch im Tagesanzeiger dazu geäussert habe, rennen mir junge Lehrer:innen und Schulpräsident:innen die Türen ein. Der Schulalltag ist voller Bürokratie. Das ist demotivierend, vor allem für junge Lehrer:innen, die ganz andere Erwartungen haben. Deshalb haben wir auch so hohe Fluktuationen an den Schulen, weil das kein motivierendes Umfeld mehr ist. Es ist ein bürokratisches Formular-Umfeld. Zudem müssen sich die Lehrer:innen primär um die ganz Schwachen kümmern, die zum Teil den Unterricht stören. Die grosse Masse bleibt auf der Strecke, und die ganz Starken kann man nicht gezielt fördern. Also echt, im Moment ist ein bisschen der Wurm drin in unserem integrativen Schulsystem. Und das muss man ansprechen.
Ziemlich mutig für einen Mann …
Ja, aber wenn es offensichtliche Fehlentwicklungen gibt, kann man es doch nicht totschweigen.
Was schlägst du vor?
Am 31. Oktober sitze ich mit all diesen Leuten zusammen, die mich kontaktiert haben. Diese Lehrer:innen und Schulleiter:innen sagen mir dann, was sie machen würden, wenn sie die kantonale Bildungspolitik verantworten würden. Es gibt sicher nicht den einen richtigen Lösungsansatz, aber in der Summe ist unser Schulsystem heute ungemein teuer, der Lernerfolg der gesamten Klasse aber nicht mehr garantiert, und die Lehrer:innen oft frustriert. Das darf nicht sein.
Was sind mögliche Alternativen?
Wir müssen schlicht das Ausmass des integrativen Ansatzes kritisch überprüfen. Ein anderer Ansatz wäre es, die Pensen der Lehrkräfte genauer anzuschauen. In Zürich kann man mit einem 35 Prozent Pensum Lehrer:in sein, das ist mit viel administrativem Aufwand verbunden, weil es ständig Übergaben braucht. Im Kanton Genf beträgt das Mindestpensum 50 Prozent.
Alles klar. Letzte Frage: Hast du ein Beauty-Geheimnis?
(Lacht.) Lebenslust. Ich habe ja helvetische und österreichische Gene in mir!