In keinem Land der Welt herrscht heute Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern. Was schockierend tönt im 21. Jahrhundert, hat drei Hauptgründe: Frauen werden bestraft, wenn sie Kinder bekommen, sie arbeiten öfter in Tieflohnbranchen, und Frauen haben weniger Aufstiegschancen.
Auch die Schweiz tut sich schwer damit, die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern zu schliessen. Hierzulande klafft sie im europäischen Vergleich besonders weit auseinander: Rund 18 Prozent weniger verdienen Frauen durchschnittlich. Das heisst, sie arbeiten fast ein Fünftel des Jahres gratis, gemessen an den bei Männern üblichen Löhnen – in privaten Unternehmen sind es sogar 19,5 Prozent. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann macht es konkret: Im Schnitt verdienen Frauen 1500 Franken weniger im Monat als ihre männlichen Kollegen. Ähnlich hoch ist der Gender Pay Gap in Deutschland und Österreich mit je 18 und 18,8 Prozent.
Der Gap hat auch Folgen für die Wirtschaft
Dieser Unterschied ist vor allem für Frauen schmerzhaft, aber nicht nur. Die Weltbank schätzt, dass der Weltwirtschaft durch ungleiche Löhne jedes Jahr 160 Billionen US-Dollar verloren gehen. Zum Vergleich: Die globale Wirtschaftsleistung wird in diesem Jahr voraussichtlich bei 105 Billionen liegen.
Dabei wäre es möglich, den sogenannten Gender Pay Gap zu schliessen. Lohntransparenz ist besonders wirksam, um Diskriminierungen bei der Entlohnung, also die Lücke, die sich nicht durch objektive Unterschiede wie den Bildungsgrad erklären lässt, aufzudecken. Zu diesem Schluss kommt die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) in einer Studie: «Die Offenlegung von Gehältern gibt den Beschäftigten, den Arbeitgebern und der Öffentlichkeit ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die Ungleichheit der Einkommen in die Hand, da sie nicht nur die Existenz des Problems, sondern auch dessen Dimension sichtbar macht», heisst es in der Studie.
Schweizer Unternehmen müssen alle fünf Jahre eine Analyse machen
Einige Länder nutzen dieses Instrument bereits, um gegen Lohndiskriminierung vorzugehen. Sie verpflichten ihre Unternehmen dazu, die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern offenzulegen – und haben damit Erfolg. Auch die Schweiz hat diesbezüglich einen Schritt unternommen. Hierzulande müssen Firmen mit mehr als 100 Beschäftigten seit 2020 alle fünf Jahre eine sogenannte Lohngleichheitsanalyse durchführen und diese von einer unabhängigen Stelle prüfen lassen. Betroffen davon sind zwar nur ein Prozent aller Unternehmen, doch sie beschäftigen 46 Prozent aller Arbeitnehmenden in der Schweiz.
Dafür bietet der Bund ein kostenloses Online-Tool namens Logib für die Firmen an. Die Untersuchung soll Lohnungleichheiten wegen des Geschlechts aufdecken, und alle Mitarbeitenden müssen darüber informiert werden. Ob Letzteres in der Praxis immer geschieht, ist jedoch unklar.
Keine Kontrollen und keine Sanktionen
Auch ob durch diese Änderung tatsächlich ein Effekt erzielt wird, ist fraglich. Ausserdem hat der hiesige Gesetzgeber weder Kontrollen über die Einhaltung der Berichtspflicht seitens der Unternehmen noch Sanktionen für Firmen mit hohen geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschieden vorgesehen. Und wie hoch die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern innerhalb der Betriebe sein dürfen, ist im Gesetz auch nicht festgeschrieben. Logib sieht lediglich vor, dass ein Unternehmen die Analyse in fünf Jahren wiederholen muss, wenn die Lohnungleichheit im Betrieb mehr als fünf Prozent beträgt. Liegt der Lohn-Gap darunter, ist das Unternehmen davon befreit, in fünf Jahren erneut eine Lohnanalyse durchzuführen. Es ist daher fragwürdig, wie sehr den Firmen daran gelegen ist, wirklich etwas gegen Lohndiskriminierung zu tun.
Dänemark macht's vor
Dabei zeigt sich, dass in anderen europäischen Ländern durch ähnliche gesetzliche Vorschriften die Lohnungleichheit bereits gesunken ist. In Grossbritannien beispielsweise sind Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden jährlich dazu verpflichtet, einen Bericht über die Lohnlücke zwischen männlichen und weiblichen Angestellten online zu veröffentlichen. Tun sie das nicht, werden sie sanktioniert. Das Gesetz zeigt seine Wirkung: Der Gender Pay Gap ist in Grossbritannien seither um drei Prozentpunkte gesunken, liegt allerdings immer noch bei rund 19 Prozent.
Weiter ist Dänemark, wo es bereits seit 2006 eine Berichtspflicht für Firmen gibt. Mit Erfolg: Frauen verdienen dort im Schnitt 11 Prozent weniger als Männer – 2006 lag die Lohnlücke noch bei rund 20 Prozent. In Dänemark werden schon Firmen ab 35 Mitarbeitenden zur Transparenz verpflichtet, also auch kleine und mittlere Betriebe. Auch müssen sie ihre Mitarbeitenden über die Ergebnisse der Lohnanalysen informieren.
Die Ergebnisse müssten öffentlich gemacht werden
In der Schweiz ist die Regelung noch so neu, dass sich der Effekt kaum messen lässt. Doch der Fortschritt dürfte langsam sein, wenn Unternehmen nur alle fünf Jahre berichten müssen und keinerlei Konsequenzen zu befürchten haben. Wichtig wäre es zudem, dass die Ergebnisse der Lohnanalysen öffentlich gemacht werden. Denn dies trägt auch zur Sensibilisierung bei – einerseits in der Politik und andererseits bei jenen, die einen fairen Arbeitgeber suchen. So käme auch das Management unter Druck, das Problem zu lösen, wenn die Lohndiskriminierung ans Licht kommen würde. Erstens, weil ein Reputationsschaden droht, und zweitens, weil Unternehmen auch in Zukunft attraktive Arbeitgeber für ihre Mitarbeitenden und für Bewerber:innen sein wollen – und müssen.
Letzteres ist gerade in Zeiten des Fachkräftemangels besonders wichtig. «Unternehmen mit Fachkräftemangel stehen stärker unter Druck, gleiche Anstellungsbedingungen für Frauen herzustellen. Insbesondere in der IT-Branche», sagt Unternehmerin und Headhunterin Esther-Mirjam de Boer. Schweizer Firmen müssten erkennen: «Wenn Gleichstellung bei ihnen wirklich funktioniert, haben sie bessere Chancen auf dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt.»
Mehrheit der Schweizer:innen ist für Lohntransparenz
In den meisten Branchen ist Lohntransparenz jedoch weiterhin ein Tabu. Nur ein Drittel der Schweizer Unternehmen ist dazu bereit, die Löhne ihrer Mitarbeitenden öffentlich preiszugeben, wie eine Studie von Jobcloud vom vergangenen Jahr zeigt. In der Bevölkerung kommt das Thema hingegen gut an: Laut einer Umfrage des Online-Portals Statista von 2019 sprechen sich 57 Prozent der Schweizer:innen für Lohntransparenz aus.
Wie stark gesetzlich vorgeschriebene Lohntransparenz wirklich dazu beiträgt, den Gender Pay Gap zu reduzieren, lässt sich bisher zwar schwer messen. Doch erste Untersuchungen zeigen, dass solche Regelungen vor allem dann wirksam sind, wenn sie kontrolliert und die Unternehmen bei Nichteinhalten sanktioniert werden oder die Massnahmen eine hohe politische Sichtbarkeit haben. Wenn die Nicht-Einhaltung der Vorschriften jedoch keine Konsequenzen für Unternehmen hat, sind die Gesetze eher wirkungslos. Zudem sollten die Ergebnisse von Lohnanalysen prominent publiziert werden. Denn das «naming and shaming» – oder auch «naming and praising» für vorbildliche Unternehmen – sollten nicht unterschätzt werden, meinen auch die Expert:innen der OECD.