«Doch als in allerneuesten Jahren
Das Weib nicht mehr gewohnt zu sparen,
Und, wie ein jeder böser Zahler,
Weit mehr Begierden hat als Thaler,
Da bleibt dem Manne viel zu dulden,
Wo er nur hinsieht, da sind Schulden.»
Die verschwenderische, konsumsüchtige Frau, die schuld ist an den Schulden. Schon Johann Wolfgang Goethe dichtete Frauen 1832 ein verprassendes Konsumverhalten an, das wenig mit den Tatsachen zu tun hat. Auch 2024 halten sich diese Stereotypen noch hartnäckig. ellexx hat sich deshalb die weiblichen Ausgabemuster und das weibliche Schuldenverhalten genauer angeschaut.
In der Schweiz lebt jede achte Person in einem verschuldeten Haushalt, das sind 11.6 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Unter den 500’000 Verschuldeten sind deutlich mehr Männer als Frauen. Aber auch Frauen verschulden sich. Wo liegen die Unterschiede? Verschulden sich Frauen anders oder «schlechter»? Sprich: Wer zahlt höhere Schuldzinsen und erhält schlechtere Zahlungsbedingungen?
Frauen verschulden sich aus Not, Männer für Autos
Eine Studie der American University mit dem Titel «Debt Matters» legt offen, dass Frauen eher Kredite aufnehmen und sich verschulden, um ihre Einkommenslücken zu überbrücken. Männer dagegen haben die Tendenz, sich für Luxusgüter wie Autos, die Home-Cinema-Anlage oder Uhren zu verschulden.
Auch in der Schweiz zeigen Erfahrungen von Beratungsstellen, dass Frauen Kredite eher zur Deckung ihrer alltäglichen Kosten verwenden. Das bestätigt Pascal Pfister, Geschäftsleiter des Dachverbandes Schuldenberatung Schweiz: «Unsere Beratungserfahrung zeigt, dass Frauen beim Budget bessere Prioritäten setzen. Sie sind sparsamer, disziplinierter, aber oft auch sehr hart zu sich selbst. Sie schauen spezifisch auf die Existenzsicherung.» Dies hängt laut Pfister auch damit zusammen, dass Frauen in der Regel weniger Geld zur Verfügung steht: «Daraus kann man schon schliessen, dass Frauen zum Teil besser haushalten können, dies aber auch müssen, da ihnen oft kleinere Budgets zur Verfügung stehen und sie weniger gut abgesichert sind, gerade was die Altersvorsorge angeht.» Ihr umsichtigeres Schuldnerverhalten lässt sich deshalb wahrscheinlich weniger auf die Veranlagung, sondern mehr auf Systemkomponenten zurückführen.
Schuldenfalle Kinder
Das geringere Vermögen von Frauen hängt auch mit unseren gesellschaftlichen Rollenbildern zusammen. Frauen in der Schweiz leisten immer noch deutlich mehr Hausarbeit als Männer und tragen öfter die Verantwortung für die Kinderbetreuung. Daraus resultieren Teilzeitarbeit und Vorsorgelücken. Aber nicht nur das: Kinder und Hausarbeit sind auch ein wesentlicher Punkt, wenn es um die Verschuldung von Frauen geht.
Eine britische Studie zeigt, dass Mütter pro Jahr durchschnittlich 655 Pfund mehr für Kinderbetreuung ausgeben als Väter. Zudem geben Frauen auch mehr Geld aus für Haushaltskosten wie Energie und Lebensmittel. Solche hohen Fixkosten können der Anfang für den Schuldenberg sein.
Barbara Mantz ist Schuldnerberaterin bei der Caritas Zürich. Sie betont, dass vor allem Alleinerziehende besonders gefährdet sind, in die Schuldenfalle abzurutschen – aufgrund ihrer Biografien: «Die verschuldeten Mütter haben bis zur Scheidung oft weniger Erwerbsarbeit geleistet als Männer.» Sie haben also weniger Einkommen, haben weniger Gelegenheit, ein Vermögen aufzubauen, und auch die Altersvorsorge ist oft spärlicher. Damit sind die Voraussetzungen schon schwierig. In einer Studie geben 60 Prozent der befragten Frauen mit Kindern und 20 Prozent der Frauen ohne Kinder an, dass ihr persönliches Einkommen nicht ausreichen würde, um sich ihren gegenwärtigen Lebensstandard zu leisten. Sie sind finanziell von ihrem Partner abhängig.
Nach einer Trennung leben 80 Prozent der Mütter allein mit den Kindern. 16 Prozent von ihnen sind auf Sozialhilfe angewiesen. Nach der Hochrechnung des Dachverbands für Schuldenberatung Schweiz betrifft das 9000 Mütter pro Jahr. Dagegen befinden sich Väter nach der Trennung nicht häufiger in einer finanziellen Notlage als vor der Trennung. Laut Mantz kann es allerdings auch dazu kommen, dass Männer nach einer Scheidung finanziell schlechter dastehen, weil sie öfter Alimente zahlen müssen.
Ein weiterer Faktor, den Mantz bei Alleinerziehenden beobachtet, ist die Zeit: «Alleinerziehende haben extrem wenig Zeit, oft sind sie zudem erschöpft und haben keine Energie, ihre finanziellen Angelegenheiten zu regeln oder zu planen.» Genau das wäre aber wichtig, wie Mantz erklärt: «Ein wichtiger Schritt, um aus den Schulden herauszukommen, ist die finanzielle Planung. Man braucht eine Übersicht über Vermögen, Einkommen und Ausgaben. Fehlt die Zeit dazu, wird es schwierig, den Schuldenberg abzubauen.»
Gewalt kann auch über Geld ausgeübt werden
Nicht nur eine Scheidung oder das Leben als Alleinerziehende sind für Frauen wesentliche Schuldentreiber. Die Schuldenprävention der Stadt Zürich verzeichnet auch Fälle von sogenannter finanzieller Gewalt innerhalb der Ehe. Bei «Money Chat» melden sich Personen, die zum Beispiel über eine faire Geld-Aufteilung in ihrer Familie sprechen wollen. Darunter hat es auch Personen, die sich um Haushalt und Kind kümmern, aber wenig Geld zur eigenen Verfügung haben. Sie bekommen von ihren Partner:innen nur knapp bemessenes Haushaltsgeld. Diese finanzielle Abhängigkeit ist eine starke Belastung und schränkt die finanzielle Gesundheit der betroffenen Personen ein.
Finanzielle Missbrauch ist oft die erste Stufe von häuslicher Gewalt. Der Übergriff ist anfangs sehr unscheinbar: Der Partner schlägt erst ein gemeinsames Konto vor und übernimmt dann nach und nach die Kontrolle über die gesamten Finanzen – als «Ausdruck der Liebe». Es können Sätze fallen wie: «Du musst dich doch nicht darum kümmern, ich mache das gerne.» Das geht so lange, bis die Person gar kein eigenes Geld mehr haben. Diese Art der finanziellen Abhängigkeit kann die Basis sein für eine massive Verschuldung, vor allem im Falle einer Trennung.
Frauen haben schlechtere Voraussetzungen für Kredite
Abgesehen von Partnerschaft und Trennung haben Frauen auch in anderen Bereichen das Nachsehen, wenn es um Geld geht. Beispielsweise haben sie beim Aufnehmen von Krediten schlechtere Voraussetzungen. Laut einer Untersuchung von PwC und Totally Money haben Frauen im Durchschnitt eine um 10 Punkte niedrigere Kreditwürdigkeit als Männer, und das ihr ganzes Leben lang. Konkret bedeutet das: Frauen erhalten weniger Kredite als Männer. Das zeigt sich unter anderem, indem Frauen weniger verbindliche Kreditkartenangebote von Kreditgebern bekommen, oder darin, dass Frauen für 22 Prozent weniger Kreditkarten berechtigt sind. Frauen haben es aber nicht nur schwerer, Kredite zu erhalten. Der Jahreszins für den Nutzen einer Kreditkarte ist bei Frauen dazu um 0.8 Prozentpunkte höher als bei Männern.
Woran liegt das? Potenzielle Gründe für die geringere Kreditwürdigkeit ist der Gender Pay Gap. Allein in der Schweiz verdienen Frauen immer noch 18 Prozent weniger als Männer. Sie leisten mehr unbezahlte Care-Arbeit und sind häufiger in Teilzeit erwerbstätig. Dazu verrichten Frauen weltweit den grössten Teil der Tieflohnarbeiten. Dieses geringere Vermögen ist eine der Hauptgründe für ihre schlechtere Kreditwürdigkeit.
Der Weg aus den Schulden
Die grössten Schuldenfallen für Frauen sind zusammengefasst. Wie kommt man nun aber wieder aus den Schulden raus oder gar nicht erst rein? Wir haben mit Expert:innen gesprochen, die uns Tipps zur Prävention und für die ersten Schritte aus den Schulden gegeben haben.
- Schau hin: Der Weg aus den Schulden fängt gemäss Barbara Mantz beim Hinschauen an: «Ich habe viele Leute, die Angst haben, die Post aufzumachen, weil sie mit den Rechnungen einfach nicht mehr nachkommen.» Trau dich also hinzuschauen und verschliesse deine Augen nicht vor dem Problem!
- Hol Hilfe: Der nächste Schritt ist professionelle Hilfe, und zwar am besten bei einer Schuldenberatungsstelle. Hier empfiehlt sich beispielsweise der Dachverband für Schuldenberatung Schweiz. Hilfe holen fällt vielen nicht leicht, deshalb ist es wichtig zu betonen: Schäm dich nicht für deine Schulden! Wegen der steigenden Lebenshaltungskosten kämpfen in der Schweiz aktuell viele mit Verschuldung. Die Anzahl an Betreibungen ist 2023 in der Schweiz um 10 Prozent gestiegen.
- Triff kluge Finanz-Entscheide: Experten empfehlen, die eigene Persönlichkeit zu stärken, indem man sich finanzielles Wissen aneignet. So gelingt es, im Umgang mit Geld kluge Entscheidungen zu treffen.
- Plane dein Budget: Mantz erklärt: «Planung ist das A und O auf dem Weg aus den Schulden.» Das heisst, man verschafft sich einen Überblick über das eigene Vermögen und Einkommen. So lassen sich grosse Ausgabeposten und mögliche Schuldenquellen frühzeitig erkennen.
- Löse deine Muster auf: Nachdem du eine Übersicht über deine Finanzen gewonnen hast, geht es darum, dein Schuldenmuster aufzulösen. Eine typische Schuldenfalle ist gemäss Mantz die Kreditkarte. Ein erster Schritt, um nicht in diese Falle zu tappen: Verzichte auf das Zahlen mit der Kreditkarte. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, den Lebensstandard den finanziellen Möglichkeiten anzupassen, um nicht über die eigenen Verhältnissen zu leben. Auch beim Anpassen des Lebensstandards oder der Muster können Expert:innen von Beratungsstellen behilflich sein.
Die Politik ist gefragt
Wer einmal in den Schulden steckt, hat es nicht einfach, da wieder heraus zu kommen. Auch mit professioneller Hilfe und viel Disziplin kann der Weg beschwerlich sein. Das liegt auch an gewissen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die in der Schweiz gelten. So kennt die Schweiz – im Gegensatz zu den meisten OECD-Ländern – noch kein Sanierungsverfahren mit Restschuldbefreiung.
Die Idee des Verfahrens ist, bei jeder verschuldeten Person eine Zeit festzulegen, in der sie im Existenzminimum lebt. Während dieser Periode zahlt sie regelmässig einen Betrag, um einen Teil der Schulden abzuzahlen. Danach werden ihr alle Schulden erlassen. Nun sollen auch in der Schweiz verschuldete Personen eine zweite Chance auf ein schuldenfreies Leben bekommen. Nach einer ersten Lesung über das Gesetzesvorhaben hatte der Bundesrat am 3. Juni 2022 bereits die Vernehmlassung für das Sanierungsverfahren eröffnet, nun ist das Gesetz in Überarbeitung.