Über Geld spricht man nicht? Falsch. Im Money Talk tun wir genau das. Wir wollen damit einen Dialog über Lohn, Reichtum, Armut, Ungleichheit und Finanzen lostreten. Heute mit Mia Egic, Fachperson Betreuung.
Mindestens das Doppelte: So viel würden Fachpersonen Betreuung verdienen, wenn es nach Mia Egic ginge. Egic arbeitet selbst in einem Hort und setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Warum sie Geld wütend macht und wie sie mit Kindern darüber spricht, erzählt sie hier.*
Welche Gefühle löst Geld bei dir aus?
Ich habe verschiedene, ambivalente Gefühle gegenüber Geld. Einerseits verspricht Geld Sicherheit und bedeutet Freiheit: Die Freiheit zu entscheiden, wo ich wohnen oder was ich studieren möchte. Auf der anderen Seite macht mich Geld auch wütend.
Warum das?
Es herrscht ein grosses finanzielles Ungleichgewicht auf der Welt: Wenige Menschen haben viel, viele Menschen haben wenig. Geld ist mitverantwortlich für Ausbeutung, Machtmissbrauch, Krieg. Jedem Menschen wird durch Geld ein Wert zugeschrieben, so wird der Mensch zur Ware. Dem ist man ausgeliefert. All das macht mich ohnmächtig und wütend.
Fällt es dir schwer, über Geld zu reden?
Nein, ich habe gar kein Problem damit.
Das ist atypisch. Für viele Frauen ist Geld ein Tabuthema.
Das habe ich auch schon gehört. Aber für mich war es das nie. Wir hatten in der Familie immer einen offenen Umgang mit Geld. Das pflege ich auch in meinem Umfeld. Ich finde es wichtig und richtig, über Geld zu reden.
Mit wem sprichst du über Geld?
Eigentlich mit allen. Mit meiner Mutter, meinen Freund:innen, aber auch mit meiner Arbeitgeberin oder mit Leuten aus meinem erweiterten Umfeld. Ich merke aber schon, dass diese Gespräche nicht für alle gleich einfach sind. Wenn ich spüre, dass Geld für jemanden ein Tabu ist, versuche ich, es zu durchbrechen.
Wie machst du das?
Ich frage einfach ganz direkt: Wie viel verdienst du? Warum möchtest du nicht darüber reden?
Und wie sind die Reaktionen?
Da habe ich schon alles erlebt. Manche rücken dann damit heraus, andere drucksen herum oder äussern sich gar nicht dazu. Meiner Erfahrung nach fällt es Leuten, die viel verdienen, schwerer, offen über Geld zu reden. Vielleicht, weil sie wissen, dass es ungerecht ist, dass sie mehr verdienen als andere.
Stresst dich Geld?
Ja, irgendwie schon. Meine Familie ist nicht wohlhabend, ich habe nicht geerbt und werde auch nie erben. Ich bin finanziell auf mich gestellt und muss selber schauen, dass ich über die Runden komme. Ich verdiene gerade so viel Geld, dass ich durchkomme. Natürlich versuche ich zu sparen. Das läuft aber meist ins Leere. Meine Ersparnisse muss ich Ende Jahr oft für Rechnungen oder Unvorhergesehenes hergeben. Ich fange also immer wieder von vorne an. Ich könnte natürlich mehr arbeiten, um mehr zu verdienen. Dann würden aber meine psychische und physische Gesundheit leiden. Die Arbeit im Betreuungsbereich ist enorm anspruchsvoll. Ich hätte früher oder später ein Burnout und würde einen hohen Preis für mehr Lohn zahlen. Das will ich nicht. Darum leiste ich mir den «Luxus», nicht 100 Prozent zu arbeiten.
Wie viel arbeitest du denn?
71 Prozent an fünf Tagen.
Und wie viel verdienst du?
3600 Franken netto auf 71 Prozent.
Bist du damit zufrieden?
Nein. Wenn ich meinen Lohn mit Löhnen aus anderen Branchen vergleiche, dann ist das einfach nicht in Ordnung.
Was wäre ein angemessener Lohn für deine Arbeit?
Mindestens das Doppelte.
Du engagierst dich in der «Trotzphase», die sich für bessere Arbeitsbedingungen in Horten einsetzt. Unter anderem verlangt ihr mehr Lohn. Wie ist es, so lautstark Geld einzufordern?
Es ist so wichtig, dass wir das machen. Darum fällt es mir überhaupt nicht schwer, mich hinzustellen und mehr Geld zu verlangen. Auch wenn es uns ja nicht in erster Linie ums Geld geht. Wir wollen nicht einfach nur mehr verdienen.
Sondern?
Wir wollen bessere Arbeitsbedingungen. Bedingungen, die nicht schädlich sind für unsere Gesundheit und mit denen wir eine gute Qualität für die Betreuung der Kinder garantieren können. Damit das möglich ist, braucht unsere Branche eine bessere Finanzierung. Es braucht mehr Geld, um faire Löhne zu bezahlen. Löhne, bei denen man es sich leisten kann, nicht 100 Prozent zu arbeiten, um die beste Leistung für die Kinder zu bringen. Viele Leute verstehen das nicht.
Woran liegt das?
Unser System funktioniert nur deshalb, weil der Grossteil der Betreuungs- und Care-Arbeit gratis gemacht wird – vor allem von Frauen. Viele Leute sind auch heute noch der Meinung, dass diese Arbeit keinen Wert hat, egal ob sie zu Hause von einer Mutter ausgeführt wird oder in der Kita. Ausserdem ist unser Beruf sehr feminisiert. Es gibt noch immer Leute, die finden: Frauen haben das mit dem Kinderbetreuen ja im Blut, warum sollen sie denn dafür bezahlt werden? Das gleiche Problem gibt es übrigens auch in der Pflege.
Inwiefern ist Geld für dich gleich Wertschätzung?
Für mich persönlich ist Geld nicht gleich Wertschätzung. Wir leben aber nun einmal in einem kapitalistischen System, das vorsieht, dass Arbeit und Leistung mit Geld abgegolten werden. Darum ist Geld direkt verbunden mit der Wertschätzung und darum muss auch die Betreuungs- und Care-Arbeit einen monetären Wert erhalten, und zwar einen deutliche höheren als heute.
Wie sprichst du mit den Kindern, die du betreust, über Geld?
Ich betreue im Hort Kinder im Alter zwischen vier und sieben Jahren. In dem Alter ist Geld kaum ein Thema. Sie wissen, dass man Dinge kaufen oder dass man Geld sparen kann. Einige haben eine Sparbüchse, manche haben schon Geld geschenkt bekommen – fünf oder 50 Franken. Die meisten haben aber keine Ahnung, wie viel Geld viel ist. Darum thematisiere ich Geld mit den Kindern eigentlich nicht.
Ab welchem Alter wird Geld für Kinder relevant?
Meiner Erfahrung nach so ab der dritten Klasse, also wenn sie neun oder zehn Jahre alt sind. Ich habe auch schon mit Kindern in diesem Alter gearbeitet und mit ihnen viel mehr über Geld gesprochen. In dem Alter bekommen die meisten Sackgeld und verstehen langsam, welche Dinge welchen Wert haben.
Worauf achtest du, wenn du mit Kindern über Geld sprichst?
Mir ist wichtig, ihnen aufzuzeigen, dass Geld nur einer von vielen Werten ist. Und sicher nicht der bedeutendste. Ich möchte ihnen mitgeben, dass es auch Werte gibt wie Familie, Freundschaft, Toleranz, Vielfalt etc.
Wer hat mit dir als Kind über Geld gesprochen?
Meine Mutter. Ich weiss aber nicht mehr, wie alt ich war, als sie damit angefangen hat.
Gab es einen Leitsatz, den du dir gemerkt hast?
Sie hat immer gesagt: Wenn du etwas siehst, das du möchtest, dann schlaf nochmal drüber. Überleg dir, ob du es wirklich willst und ob du es dir auch wirklich leisten kannst. Daran halte ich mich bis heute.
Wofür gibst du das meiste Geld aus?
Für die Miete.
Worauf sparst du?
Ich würde gerne Soziale Arbeit studieren. Auch, damit ich irgendwann mal finanziell etwas besser dastehe. Dafür versuche ich zu sparen. Es gelingt mir aber nicht jeden Monat. Das ist manchmal recht frustrierend, vor allem, wenn ich von wenig Geld, trotz aller Bemühungen, wieder auf gar kein Geld zurückfalle.
Hast du dir schon mal überlegt, deinen Job wegen des Lohns zu wechseln?
Ja klar, ich wäge immer wieder ab. Aber ich mache diese Arbeit einfach sehr gerne und möchte in diesem Bereich bleiben. Darum auch die Idee mit dem Studium.
Hattest du schon mal Geldsorgen?
Ja, das hatte ich. Aber im Notfall konnte ich immer zu meiner Mutter gehen, und sie hat mir geholfen. Ich habe nie Schulden gemacht.
Wie war das für dich, deine Mutter nach Geld zu fragen?
Ich musste das glücklicherweise erst wenige Male machen. Aber als ich sie das erste Mal um Geld bitten musste, hatte ich Mühe. Obwohl wir immer sehr offen über unsere finanzielle Situation gesprochen haben. Meine Mutter war alleinerziehend. Das Geld war knapp, das wusste ich immer. Meine Mutter hat mir dann gesagt: Das darf nicht sein! Du musst sofort zu mir kommen, wenn du Geldsorgen hast, wir bereden das und wir schaffen das! Das gibt mir Sicherheit.
Wann hast du dich schon mal wegen Geld gestritten?
Noch nie, so wichtig ist es mir nicht.
Was wünschst du dir für deine finanzielle Zukunft?
Dass ich mir leisten kann, was ich mir wünsche, und nicht immer so viel überlegen und abwägen muss.
*Zur Transparenz: Dieses Interview wurde erstmals am 6.6.2022 publiziert.
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