Über Geld spricht man nicht? Falsch. Im Money Talk tun wir genau das. Wir wollen damit einen Dialog über Lohn, Reichtum, Armut, Ungleichheit und Finanzen lostreten.
Heute mit Julia Marti, der Co-Verlegerin von Edition Moderne, einem Verlag für Comics und Graphic Novels.
Klingt schöngeistig? Ja, ist es. Daneben aber auch: ein Kampf ums Überleben, das des Verlags nämlich. Weil die gesamte Branche serbelt. Ein Gespräch über Widersprüche also. Und über die Frage, wie teuer ein Buch wirklich sein sollte.
Du bist mit Marie-France Lombardo Co-Verlegerin des Comic-Verlags Edition Moderne. Die Verlagsbranche serbelt …
Ja, die Strukturen in der Buchbranche sind enorm schwierig. Wir als kleiner Player können diese nicht ändern.
Ihr habt ein Crowdfunding für den Verlag durchgeführt. Was löst das aus in dir?
Zwei Gefühle: Dankbarkeit einerseits. Das Geld aus dem Crowdfunding hat mich total motiviert und bestätigt darin, dass die Leute verstehen, es geht um mehr als unsere persönlichen Jobs im Verlag. Andererseits aber auch Ernüchterung: Die Herausforderungen sind geblieben, der Verlag ist bei Weitem nicht gerettet. Es war uns immer klar, dass es dazu mehr als ein erfolgreiches Crowdfunding braucht. Das Ziel war, uns Zeit zu verschaffen, um den Verlag zu restrukturieren und sichtbarer zu machen – und so vielleicht retten zu können. Es war eine mittelfristige Geldspritze.
Wie viel Geld habt ihr eingenommen?
Rund 120’000 Franken brutto. Wir haben unser Ziel von 100’000 Franken somit übertroffen.
Und was jetzt?
Wir haben einerseits die unternehmerische Pflicht, zu versuchen, Strategien für eine Verbesserung der Situation zu entwickeln. Bei nur 220 Stellenprozenten haben wir andererseits neben dem Alltagsgeschäft aber keine Ressourcen, um uns dauernd mit übergeordneten strategischen Fragen zu beschäftigen.
Ich muss fragen: Was ginge verloren, gäbe es den Verlag Edition Moderne nicht mehr?
Das ist eine wichtige und berechtigte Frage. Edition Moderne wurde 1981 gegründet, es ist der älteste unabhängige Comicverlag im deutschsprachigen Raum. Es ginge Geschichte und auch viel Know-how verloren. Und eine zentrale Plattform für deutschsprachiges Comic-Schaffen. Viele Bücher, die wir verlegen, gäbe es dann nicht in anderen Verlagen, sondern schlicht nicht mehr. Weiter ginge ein wichtiger Resonanzraum und Katalysator für die Comic-Kreation im deutschsprachigen Raum verloren.
Bücher sind einerseits Kulturgut, andererseits Luxusprodukt. Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?
Ich zerreibe mich daran, ehrlich gesagt. Ich habe die idealistische Überzeugung, dass ein Buch kein Luxusprodukt sein sollte. Bücher sollen möglichst für alle zugänglich sein. Aber: Senkst du den Preis zu sehr, beschleunigst du den Untergang derjenigen, welche die Bücher machen. Denn gemessen an der Arbeit, die Autor:innen und wir als Verlag investieren, müssten unsere Bücher sehr viel teurer sein. Nur würden sie dann zum elitären Produkt.
Was tun?
Tja, das ist die grosse Frage … Mein Job ist es, Bücher zu verkaufen. Gelingt das nicht, gibts den Verlag irgendwann nicht mehr.
Viele eurer Bücher kosten 29.80 Franken. Ist das angemessen?
Nein. Gemessen an der Arbeit, die man in ein Buch investieren muss, ist das viel zu wenig.
Was wäre angemessen?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. So ist in den letzten Jahrzehnten vieles erheblich teurer geworden, aber diese Teuerung hat sich nicht angemessen in den Buchpreisen niedergeschlagen. Und wer kann – und will – ein Buch für 60 Franken kaufen?
- 44 % gehen an den Buchhandel
- 15 % gehen in die Produktion (z. B. Druck)
- 5 % gehen an Vertrieb und Lager
- 16 % gehen in die Buchherstellung und -promotion (z. B. Lektorat)
- 12 % gehen an den Verlag (z. B. Löhne)
- 8 % gehen an die Autor:innen
Quelle: Kurt Wolff Stiftung. Es sind Durchschnittswerte.
Du hast eigentlich einen kreativen Beruf, Geld ist dabei aber enorm wichtig. So eingeklemmt zwischen Wirtschaft und Kunst, nervt das?
Ja, das nervt mega! Stellen sich zu viele Fragen auf strategischer Ebene des Verlages, halten mich diese davon ab, meinen eigentlichen Job zu machen. Weil ich ständig Strukturen finden muss, damit der Verlag nicht hopps geht. Auf der operativen Ebene des einzelnen Buches wiederum finde ich die Geldfrage spannend. Ich bin gelernte Gestalterin – ich muss kreative Lösungen innerhalb eines Budgets finden. Das mache ich gerne, aber eben nur bis zu einem gewissen Grad.
Ist das Grad erreicht?
(Denkt nach.) Nein, ich glaube nicht, sonst würde ich den Job nicht mehr machen. Ich bewege mich nun einmal in genau diesem Spannungsfeld. Vieles bei Edition Moderne mag schöngeistig wirken. Und dennoch ist es ein Business, das die Existenz seiner drei Angestellten sichern muss, damit es längerfristig Bestand haben kann. Das ist manchmal ein Widerspruch. Ich würde mir wünschen, als Gesellschaft eine Diskussion darüber zu führen: Was ist uns die Buchkultur wert? Wie können wir ethisch konsumieren in dieser Buchkultur?
Was, wenn sich eine Mehrheit nicht für solche Fragen interessiert?
Die Diskussion braucht es. Viel Kulturgut droht irreparabel zu verschwinden, wenn wir es als Einzelne nicht auch gezielt durch unsere Kaufentscheide fördern. Dafür braucht es mehr Bewusstsein. Es ist eine politische Entscheidung, ein Buch eines unabhängigen Verlags in einer unabhängigen Buchhandlung zu kaufen. Ich vermute, dass das viele Menschen in dieser Drastik noch nicht verstanden haben.
Ihr bekommt vom Bund einen Strukturbeitrag für die Jahre 2021 bis 2024. Was bedeutet dir diese staatliche Unterstützung?
Wir bekommen um die 10’000 Franken im Jahr. Das ist super. Zur Einordnung: Das finanziert bei uns aber nicht mal die reinen Druckkosten von zwei Büchern.
Bekommt ihr auch Geld für die nächsten vier Jahre?
Ich gehe davon aus, ja.
Verrätst du mir deinen Lohn?
Mein Jahreslohn beträgt 60’000 brutto auf 80 Prozent.
Findest du deinen Lohn angemessen angesichts der Verantwortung, die du trägst?
Verglichen mit gewissen Bereichen der Kreativbranche ist mein Einkommen nicht astronomisch, aber es ist gesichert. Das ist ein Privileg. Aber klar: Hätte ich eine vergleichbare Leitungsfunktion in der Kulturbranche beim Staat, wäre mein Lohn höher. Unsere Rolle im Verlag macht die Lohnfrage nicht einfacher.
Inwiefern?
Wir Co-Verlegerinnen haben Anteile an Edition Moderne, sind Aktionärinnen. Das verunmöglicht Lohnverhandlungen. Wir sind angestellt, arbeiten aber oft wie Selbstständige. Heisst: Ich weiss haargenau, dass sich die Firma keine höheren Löhne oder Pensen leisten kann. Die Gefahr, sich selbst auszubeuten, ist somit gross.
Was bedeutet dir Geld?
Freiheit! Es ist ein wahnsinniger Luxus, sich keine Sorgen um Miete oder Essen machen zu müssen.
Welche Rolle spielte Geld bei deiner Erziehung?
Geld war bei uns Kindern kein grosses Thema – was für ein Privileg! Ich komme aus einer Mittelstandsfamilie.
Welche finanziellen Werte wurden dir mitgegeben?
Wir haben als Familie oft Reisen gemacht. So wurde mir der immaterielle Wert des Reisens vermittelt – es ging darum, gemeinsam etwas zu erleben und Erinnerungen zu schaffen. Statussymbole wie ein schickes Auto haben meine Eltern nicht interessiert.
Und heute: Redest du mit deinen Freund:innen über Geld?
Wir reden ab und zu über Geld. Viele meiner Freund:innen sind selbstständig tätig, ihr Einkommen schwankt stark. Oft geht es um die Frage: Ich habe zwar einen Job, der mich interessiert und den ich gerne mache, aber kann ich davon kurz- und längerfristig leben, und zu welchem Preis für meine Gesundheit und meine Beziehungen?
Investierst du selbst?
Nein.
Warum nicht?
Ich habe ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Und ich habe mich zu wenig damit beschäftigt – dafür fehlt mir, ehrlich gesagt, auch etwas Motivation.
Finanziell betrachtet, wie schaust du auf deine Rente?
(Lacht.) Ich vermute, dass ich verglichen mit anderen Leuten in meiner Branche einigermassen vernünftig war. Ich habe immer – auch als 100 Prozent Selbstständige – jeweils das Maximum in die 3. Säule einbezahlt. Das finanziell zu vermögen, ist nicht selbstverständlich. Insofern mache ich mir keine Sorgen um meine Rente. Ich bin aber realistisch genug, um zu wissen, dass ich nicht den Komfort meiner Elterngeneration haben werde. Ich bin einfach eine zuversichtliche Person. Und ich habe nun mal keinen Job gewählt, mit dem ich Millionen verdiene. Das ist ok.
Wenn du den Hauptpreis im Lotto gewinnen würdest, was würdest du mit dem Geld anfangen?
Phu, was für eine schreckliche Frage. Ich würde schauen, dass ich einen Grossteil davon möglichst schnell wieder loswürde. Knackt jemand den Jackpot, liest man oft, dass kurz danach das Geld wieder weg ist – und die Beziehungen. (Denkt nach, lacht dann plötzlich auf.) Ha, und ich würde eine Immobilie kaufen in der Stadt Zürich. Nimm das, Wohnungsnot!