Über Geld spricht man nicht? Falsch. Im Money Talk tun wir genau das. Heute gehts mit Mirjam Weber, der neuen CEO der Krebsliga Schweiz, ans Eingemachte: ein Gespräch über Leben und Tod.
Krebs ist grausam – immer. Damit einher gehen existenziell und finanziell schwierige Fragen: etwa, was es bringt, jemandem die teuerste Krebstherapie zu verabreichen, wenn diese Person dann statt zwei Monate vier Monate lebt. Die fünffache Mutter Mirjam Weber legt im Money Talk zudem ihren Lohn offen und erzählt, warum sie ihr Geld nicht anlegt.
Du bist die neue CEO der Krebsliga. Wie viel Wert hat ein Menschenleben?
Aus ethischer Perspektive, würde ich sagen, ist ein Menschenleben unbezahlbar. Existenziell gesehen, ist für den Einzelnen und die Angehörigen der Wert eines Lebens unermesslich. Dazu kommen monetäre Fragen. In der Onkologie vor allem wenn es gegen das Lebensende zugeht. Etwa: Was bringt es, jemandem die teuerste Krebstherapie zu verabreichen, wenn diese Person dann statt zwei Monate noch vier Monate lebt? Es sind Fragen des Lebenssinns, des Lebensinhalts, der Lebensqualität, der Würde. Vor allem die Lebensqualität hat für mich einen immens hohen Wert. Diese wertet jede Person in jeder Lebensphase anders. Das macht es schwierig, als Gesellschaft definitive Antworten zu geben.
Wer oder was hat deine Beziehung zu Geld geprägt?
Meine Mutter. Ich bin bei einer alleinerziehenden Mutter gross geworden. Sie hat gearbeitet, seit ich denken kann, und das sehr gerne. Wir hatten genug Geld, gingen immer in die Ferien und auch mal in ein Restaurant, lebten aber nicht im Luxus. (Hält kurz inne, lacht dann.) Wir haben das Geld, wenn es da war, gerne für schöne Erlebnisse ausgegeben. Meine Mutter war nicht sehr sparsam. Es gab aber durchaus Momente, wo sie mir gesagt hat, jetzt haben wir gerade kein Geld mehr für dieses oder jenes und müssten einen Monat warten. Ich fand ihren Umgang mit Geld sehr ehrlich. Dass Geld ausgehen kann, war nie ein Tabu. So lernte ich aber auch, Geld ist zum Brauchen da. Und es ist schön, Geld auszugeben für etwas, was einen oder jemand anderen freut. Wir haben deshalb auch Geld gespendet oder innerhalb der Familie weitergegeben.
Sprichst du mit Freund:innen über Geld?
Selten. Ich kann mich nicht an Konversationen erinnern, wo wir über unsere Löhne diskutierten. Ein Geheimnis ist Geld bei uns dennoch nicht. Es gibt Konstellationen, in denen bei einem Znacht allen bewusst ist, dass ich die mit dem höchsten Lohn bin. Also zahle ich. Früher war es umgekehrt, ich hatte lange wenig Geld, da zahlten andere für mich. Das ist unaufgeregt. Ich verkehre aber auch nicht in Kreisen, wo Luxusgüter oder ein exquisiter Lebensstil wichtig sind.
Was ist das Beste an Geld?
Dass man es einsetzen kann für Dinge, die Menschen in schwierigen Situationen konkret helfen.
Und was ist das Schlimmste an Geld?
Dass jeder Krieg und so viel Streit mit Geld zusammenhängen.
Ich beobachte, Geld ist nach wie vor ein Tabuthema in der Schweiz. Warum fällt es uns so schwer, über Geld zu sprechen?
Ich denke, über Geld zu schweigen, ist Teil unserer Kultur. Es gibt Dinge, die privat sind. Ich denke aber, jede:r hat eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was das Gegenüber ungefähr verdient. Da muss man gar nicht mehr gross darüber sprechen. Geld ist für mich deshalb nicht so ein Tabu, jedenfalls nicht in meinem Umfeld. Was ich aber lernen musste: In der Partnerschaft deutlich und transparent über Geld zu sprechen. Gerade in Beziehungsformen, wo beide arbeiten, ist das wichtig.
Um potenzielle Schwierigkeiten oder Erwartungshaltungen gar nicht erst aufkommen zu lassen?
Genau. Mein Partner und ich haben klar geregelt, wer wie viel in die gemeinsame Kasse einzahlt. Ohne diese Abmachungen geht es nicht – schon gar nicht mit fünf gemeinsamen Kindern (lacht). Einmal festgelegt, muss das nicht mehr thematisiert werden. Das schafft Klarheit, spart Kräfte und beugt unguten Situationen vor.
Also fadengerade raus: Verrätst du, wie viel du als CEO der Krebsliga verdienst?
Der durchschnittliche Jahreslohn eines Mitglieds der Geschäftsleitung beträgt bei uns rund 190’000 Franken bei einem 100-Prozent-Pensum. Es ist immer wieder ein Aufreger für Medien, wie viel Geld in einem Management einer NGO verdient wird. Aber: Wir sind fast gänzlich spendenfinanzierter Betrieb mit über 100 Mitarbeitenden allein in der Dachorganisation, wirtschaften auf eigenes Risiko – und das für einen guten Zweck und Zewo-zertifiziert. Das heisst, es wird genau aufgezeigt, dass wir über 80 Prozent unserer Mittel in Projekte respektive direkte Angebote für Krebsbetroffene, die Krebsprävention und -forschung investieren und uns nicht bereichern. Gegenüber anderen Firmen mit ähnlichen Strukturen in der Privatwirtschaft oder der Bundesverwaltung verdienen wir übrigens immer noch deutlich weniger …
Mir war es unangenehm, nach deinem Lohn zu fragen. Und dir offensichtlich, zu antworten. Woran liegt das?
Ich glaube, es ist die Angst vor der Bewertung anderer. Legt man eine Zahl offen, kommt umgehend der Vergleich mit dem eigenen Verdienst. Und bei hohen Summen kommt genauso umgehend Neid und Missgunst. Die Meinung ist weit verbreitet, dass der Bankdirektor und der Chefarzt zu viel verdienen. Und eben auch die meisten CEOs … Ich verstehe das. Es gibt so viele Leute, die mit einem Jahreslohn von 50’000 oder 60’000 Franken extrem wichtige Arbeit leisten.
Wärst du für Lohntransparenz in Firmen?
Ja. Bei der Krebsliga halten wir das so. Wir haben transparente Lohnbänder, die auf gewichteten Parametern beruhen, die die Kompetenzen der einzelnen Rollen bewerten. Die Lohnbänder geben keine Rückschlüsse auf Einzellöhne, aber Auskunft über Grössenordnungen je Rolle sowie über das Entwicklungspotenzial des eigenen Gehalts. Ich finde Transparenz wichtig.
Anderes Thema: Hast du schon mal Lohnungleichheit erlebt?
Ja. Bemerkt hatte ich das allerdings erst nach einiger Zeit. In Gesprächen stellte ich fest, dass ich nicht das gleiche Gehalt erhalte wie Männer mit gleicher Erfahrung und auf gleicher Stufe. Ich habe diese Ungerechtigkeit umgehend beim Vorgesetzten angesprochen und dann auch einen höheren Lohn erhalten.
Sprechen wir über Krebs, konkret über den Gender Gap dabei. Der ist frappant. Woran liegt das?
Das ist ein wichtiges Thema. Es beginnt bereits beim Gesundheitsverhalten, wo Männer häufig ein risikoreicheres Verhalten zeigen als Frauen. Männer haben deshalb ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken. Es gibt aber auch genetische und hormonelle Unterschiede. Frauen nehmen eher an Früherkennungsangeboten teil und gehen bei Beschwerden schneller zur Ärzt:in, so dass bei ihnen Tumore häufig früher gefunden werden. Im Nachteil sind Frauen bei den Behandlungen: Die Standardbehandlungen wurden lange Zeit fast ausschliesslich auf Männer ausgerichtet. Heute müssen zwar in klinischen Studien zwingend auch Frauen eingeschlossen werden, aber immer noch sind sie häufig untervertreten oder die Analyse erfolgt nicht getrennt nach Geschlechtern, so dass Unterschiede in der Dosierung oder Wirksamkeit nicht erkannt oder dokumentiert werden. Die Folge: Die Behandlungen werden auf Männer ausgelegt. Für Patientinnen sind diese dadurch falsch eingestellt. Krebspatientinnen haben sehr oft viel stärkere Nebenwirkungen, weil die Behandlungen nicht auf ihre Körperzusammensetzung ausgerichtet sind. Verkürzt: Frauen werden schlechter behandelt als Männer.
Fehlt es für Frauen eher an Geld?
Es ist nicht so, dass Geld für Frauen grundsätzlich fehlt. Man müsste die Forschung anders aufziehen, darauf achten, dass gleich viele Frauen wie Männer an den Studien teilnehmen. Und Behandlungen, bevor sie auf den Markt kommen, spezifisch auch an Frauen testen. Es geht darum, die ganze Medizin nicht nur auf Männer, sondern endlich auch auf Frauen auszurichten.
Warum geschieht das nicht? Frauen sind ja nicht einfach kleinere Männer?
Das Problem beginnt bereits in den Tierversuchen zur Entwicklung neuer Medikamente. Häufig werden nur Tiere eines Geschlechts verwendet. Männchen sind dabei aufgrund der Einzelhaltung besser zu standardisieren und zeigen zudem keine zyklusbedingten Schwankungen. Die aus den Tierversuchen gewonnenen Resultate werden dann aber als für beide Geschlechter gültig angesehen. Bei den klinischen Studien mit Menschen spielt geschichtlich der Contergan-Skandal eine wichtige Rolle, als das Beruhigungsmittel Ende der 1950er-Jahre bei zahlreichen Föten zu Fehlbildungen führten. In der Folge wurden klinische Versuche fast nur an Männern durchgeführt, um Schwangerschaften ausschliessen zu können.
Ist Besserung in Sicht?
Das Bewusstsein für das Problem ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Zulassungsbehörden und wichtige Forschungsförderungsorganisationen verlangen zunehmend eine adäquate Berücksichtigung beider Geschlechter in Studien. Es gibt zudem einige engagierte Forscherinnen, die sich der Geschlechterunterschiede annehmen, zum Beispiel Berna Özdemir in der Schweiz. Wichtig ist mir, dass wir nicht aufhören über die Ungleichheiten zu sprechen. Nur auf ein Bewusstsein hin folgen Veränderungen. Betonen möchte ich allgemein die medizinischen Fortschritte. Früher war Krebs ein Todesurteil, heute ist die Überlebensrate bei vielen Krebsarten sehr hoch. Mir ist wichtig, dass auch positive Entwicklungen gesehen und wertgeschätzt werden.
Wie wichtig sind Genderfragen für dich in der Arbeit?
Sehr relevant. Ich bin Mutter von fünf Kindern, zwei davon sind Mädchen ... Meine Haltung ist: Es braucht Vorbilder. Mädchen müssen aufwachsen mit dem Bild, dass Frauen alles können, dass Mütter alles können.
Jede dritte Person erkrankt im Laufe ihres Lebens an Krebs. Rund 40 Prozent dieser Erkrankungen könnten verhindert werden, durch Prävention, durch Vorsorge. Das aber kostet.
Das ist so. Das Problem der Prävention ist: Man kann nicht direkt aufzeigen, was sie gebracht hat. Wird Person xy nicht krank, kann nicht evidenzbasiert nachgewiesen werden, ob sie es dank Prävention nicht geworden ist. Prävention ist teuer. Es lohnt sich aber, diese Kosten in Relation zu setzen mit Krankheitsbewältigung und unserem Gesundheitssystem allgemein.
Nächstes Thema: Die Krebsliga ist vorwiegend durch Spenden finanziert. Ist das ein erfolgreiches Modell?
Bevor ich bei der Krebsliga gearbeitet habe, war ich entweder beim Kanton oder beim Bund für verschiedene Gesundheitsthemen angestellt. Finanziert also vom Staat. Jetzt, bei einer NGO, die Menschenleben rettet, gibt es vom Staat kein Geld. Es beschäftigt mich, dass diese Arbeit offensichtlich vom Staat als finanziell nicht unterstützenswert angesehen wird. Immerhin, und das berührt mich: Es gibt viele Menschen, Spender:innen und Stiftungen, die diesen Wert erkennen. Die Krebsliga ist 95 Prozent spendenfinanziert. Jede:r Spender:in – auch wenn sie oder er zehn Franken schenkt – anerkennt damit den Wert dieser Arbeit.
Für dich hat eine staatliche (Nicht-)Unterstützung mit Wert zu tun?
Exekutive und Legislative legen ja gesetzlich fest, was die Bevölkerung braucht. Also Schulen, Autobahnen, Armee … Warum unterstützt der Staat eine Beratung für Schulden, für Erziehung oder für Suchtthemen – eine Beratung für Krebsbetroffene aber nicht? Krebs ist ein riesiges Public-Health-Thema und auch ein riesiger Kostentreiber in unseren Gesundheits- und Sozialsystem. Jährlich erkranken 45'000 Menschen in der Schweiz neu an Krebs.
Letzte Frage: Investierst du dein Geld?
Nein ... (Pause) Und das öffentlich zu sagen, ist mir peinlich. Ich habe die letzten zwei Jahre einen EMBA gemacht, einen Executive Master of Business Administration. Und trotzdem lege ich mein Geld nicht an. Meine Mitstudent:innen und Professoren haben mir immer wieder gesagt, wie dumm es sei, das nicht zu tun. Immerhin: Ich habe meine 3a-Konten umgewandelt und anlegen lassen.
Warum legst du dein Geld nicht an?
Ich habe fünf Kinder … (lacht laut). Lange Zeit hatte ich somit schlicht kein Geld, das ich hätte anlegen können. Ich habe zudem immer wieder in meine Weiterbildung investiert. Inzwischen habe ich etwas Erspartes und somit eigentlich keine Ausrede mehr. Ich war tatsächlich schon bei Banken zu einem Anlagegespräch. Aber diese Welt ist mir zu suspekt. Obwohl ich durch meinen EMBA-Abschluss jetzt ja weiss, wie Banken funktionieren und was Portfolios sind, bleibt mir diese Welt fremd. (Zuckt etwas ratlos mit den Schultern, schiebt nach.) Obwohl, dass ich nicht anlege, hängt vielleicht auch einfach mit meinem Sicherheitsbedürfnis zusammen …
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