Sylvia Locher ist Präsidentin von Pro Single Schweiz. Im Money Talk zeigt sie auf, was das Leben Alleinstehende kostet und wo diese von unserem System finanziell benachteiligt werden.
Wie ist Ihre Beziehung zu Geld?
Es ist eigentlich relativ simpel: Geld braucht man zum Leben, denn das Leben kostet. Ich versuche darum, mein Geld so gut wie möglich zu managen. Ich bin sehr sparsam. Das war ich schon immer. Ich lebe seit Jahrzehnten allein und habe mich nie darauf verlassen, dass irgendwann mal irgendjemand für mich sorgt. Ich wollte schlicht nie von jemandem abhängig sein – auch finanziell nicht.
Woher kommt dieser Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit?
Das weiss ich gar nicht so genau. Für mich war einfach immer klar: Die Aufgabe jedes Menschen ist, für sich zu sorgen und sich nicht darauf zu verlassen, dass das jemand anderes tut – beispielsweise ein Ehemann.
Sie leben hauptsächlich von der Rente. Wie kommen Sie finanziell zurecht?
Meine Rente ist nicht wahnsinnig hoch. Auch, weil die berufliche Vorsorge zu Beginn meiner Erwerbstätigkeit noch nicht obligatorisch war. Ich habe während der 46 Jahre Berufstätigkeit etwa zehn Jahre BVG-Beiträge verloren. Ausserdem habe ich während meiner Zweitausbildung viel weniger gearbeitet. Aber ich habe immer gespart und komme nun gut über die Runden. Ich habe nie in Saus und Braus gelebt und tue es auch heute nicht.
Was sind Ihre grössten Ausgabeposten als Alleinlebende?
Es gibt einiges, das ins Gewicht fällt, weil man sich die Kosten nicht teilen kann. Am teuersten ist sicher das Wohnen. Gerade für kleine Wohnungen sind die Preise in den letzten Jahren gestiegen. Aber auch Lebensmittel machen einen grossen Teil der Ausgaben aus. Man gibt für eine Person beim Einkaufen fast gleich viel Geld aus wie für zwei Personen. Auch, weil es bei vielen Produkten keine kleinen Packungen gibt oder weil es nur Aktionen für Grosspackungen gibt.
Sie sind Präsidentin von Pro Single Schweiz. Wer ist denn gemäss Ihrer Definition alles single?
Wir als Verein vertreten grundsätzlich die Interessen von allen Menschen, die alleine leben. Dazu zählen Ledige genauso wie Geschiedene oder Verwitwete. Wir haben auch Mitglieder, die einen Partner oder eine Partnerin haben, die aber nicht zusammenleben. Je nachdem, zu welcher «Art» Single man gehört, wird man in unserem System mit anderen Problemen und finanziellen Nachteilen konfrontiert.
Wo sind denn Alleinlebende benachteiligt?
Einerseits bei den Steuern, andererseits bei den Sozialversicherungen beziehungsweise der Altersvorsorge und den Erbschaftssteuern.
Dann starten wir mal bei den Steuern.
Bei den jährlich anfallenden Steuern haben alle, die nicht verheiratet sind und allein leben, dieselben Nachteile – egal ob sie geschieden, verwitwet oder ledig sind. Wer alleine lebt, wird zu einem höheren Tarif besteuert als Verheiratete.
Aber man spricht doch immer von der Heiratsstrafe?
Ja, aber diese trifft nur einen Teil der Paare, nämlich jene, die etwa gleich viel und sehr gut verdienen. Zum Beispiel bei den Bundessteuern haben Paare mit Kindern einen Vorteil: Laut Erhebungen des Bundes zahlt fast die Hälfte der Paare mit minderjährigen Kindern in der Schweiz keine Bundessteuern, meist aufgrund von Abzügen, die sie machen können. Die Bundessteuer wird also zu einem grossen Teil von Kinderlosen finanziert. Ein weiterer Punkt ist die Erbschaftssteuer.
Was ist damit?
Auch hier werden Menschen, die alleine leben, benachteiligt: Wer Kinder hat oder verheiratet ist, kann das eigene Geld steuerfrei an Kinder und den oder die Ehepartner:in vererben. In gewissen Kantonen sind auch Konkubinatspartner:innen bei einer Erbschaft von Steuern befreit. Wer keine Partner:in und keine Kinder hat, kann das eigene Geld nicht steuerfrei vererben. Der Staat profitiert also wieder von den Singles in Form von Erbschaftssteuern bei deren Ableben. Und wenn wir schon beim Erben sind: Da gibt es auch eine Ungerechtigkeit bei den Pensionskassen.
Weil man sein Geld aus der Pensionskasse nicht an jemanden weitergeben kann?
Genau. In der zweiten Säule kann man heute Lebenspartner:innen versichern. Stirbt ein Partner oder eine Partnerin, erhält der oder die Hinterbliebene eine Hinterbliebenenrente aus der zweiten Säule. Als Alleinstehende kann ich für niemanden eine Hinterlassenenrente auslösen. Obwohl ich dafür gearbeitet habe und mir dieses Geld von meinem Lohn abgezogen wurde, bleibt der grösste Teil bei der Pensionskasse, falls ich vorzeitig versterbe. Pro Jahr bleiben so schätzungsweise eine halbe Milliarde Franken bei den Pensionskassen liegen. Diese Zahl ist zugegebenermassen schon ein paar Jahre alt.
Und wie sieht es sonst bei der Altersvorsorge aus?
Bei den Sozialversicherungen finanzieren Alleinlebende ebenfalls Paare oder Familien. Ich habe beispielsweise in meinem Leben immer gearbeitet und in die AHV einbezahlt, genau wie ein verheirateter Familienvater in meinem Alter. Stirbt nun dieser Familienvater, erhält seine Frau eine Witwenrente. Und das, obwohl sie vielleicht kaum in die AHV einbezahlt hat. Ohnehin profitieren in der AHV all jene, die mal verheiratet waren. Das zeigen auch die Zahlen.
Können Sie da etwas konkreter werden?
Die Zahlen des Bundes zeigen: Nur etwa 12 Prozent aller ledigen Frauen und Männer erhalten eine volle AHV-Rente. Bei Witwen sind es jedoch fast 40 Prozent. Selbst wenn die Frau nie berufstätig war. Der Grund: Für die Berechnung der Rente ist nebst dem eigenen Einkommen das Einkommen des Partners massgebend. Ausserdem gibt es noch Erziehungsgutschriften, sofern Kinder vorhanden sind. Wer im Pensionsalter zur Witwe wird, erhält bei der AHV zudem einen lebenslangen Zuschlag von 20 Prozent. Als ledige Frau arbeitet man ein Leben lang und bekommt diesen Zuschlag nicht.
Nach diesem Solidaritätsprinzip ist die AHV aber nun mal aufgebaut. Wer mehr hat, bezahlt für jene, die weniger haben. Die jüngere Generation bezahlt zum Beispiel für die ältere. Wenn es nur kinderlose Singles gäbe, würde das System auch kollabieren.
Das ist mir natürlich auch klar. Aber mich stört, dass die Leistungen so ungerecht verteilt werden. Bei Ehepaaren, bei denen nur ein Teil berufstätig ist, profitiert der andere Teil mit. Paare haben also einen deutlich grösseren Leistungsanspruch als Alleinlebende. Das animiert meiner Meinung nach bisher viele Frauen dazu, in dieser passiven Hausfrauenrolle zu bleiben. Manchmal auch nach einer Scheidung oder als Witwe. Dabei ist es doch auch für diese Frauen zumutbar, wieder in den Beruf einzusteigen. Und zum Argument «Alter» muss ich sagen: Wieso soll bei verwitweten Frauen das Alter eine Rolle spielen? Unverheiratete arbeiten auch bis 65.
Natürlich ist es zumutbar, wieder einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Sofern der Arbeitsmarkt diese Frauen nach zehn oder fünfzehn Jahren Unterbruch wieder aufnimmt.
Der Arbeitsmarkt ist je nach Branche immer zugänglicher oder weniger zugänglich. Und je nachdem muss man als Wiedereinsteiger:in halt nehmen, was es hat. Es ist ja nicht so, dass alle Ledigen ihre Traumkarriere machen. Viele gehen einem Job nach, der nicht ihren Vorstellungen entspricht. Aber es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Weil sie alleine sind und sich finanziell auf niemand anderen verlassen können. Ganz im Gegensatz zu vielen verheirateten Frauen. Sie können ausloten, ob es sich für sie lohnt zu arbeiten oder ob die Steuern zu hoch und der Stress zu gross ist und sie sich nicht doch lieber auf ihren Mann verlassen wollen.
Mit dieser Haltung blenden Sie aber auch einen Teil der Realität aus. Fakt ist, dass die familienergänzende Betreuung in der Schweiz so teuer ist, dass es sich für Paare oft nicht rechnet, wenn beide in einem hohen Pensum erwerbstätig sind. Dasselbe gilt bei den Steuern. Wir leben in einem System, das auf das Alleinverdiener:innen-Modell ausgelegt ist.
Eine alleinstehende Person kann sich nie fragen, ob sich die Berufstätigkeit lohnt. Sie muss ihren Lebensunterhalt verdienen. Punkt. Aber ich habe nichts dagegen, wenn Frauen eine Zeit lang weniger erwerbstätig sind oder sogar Vollzeit zu Hause bleiben und Kinder betreuen. Aber: Ein Erwerbsleben dauert zirka 45 Jahre. Kleine Kinder hat man ein paar Jahre. Da bleibt also durchaus genügend Zeit, um in den Beruf zurückzukehren. Übrigens, wer sagt eigentlich, dass immer die Frauen die Kinder betreuen müssen?
Grundsätzlich niemand. Aber auch hier setzt unser System die Leitplanken: Männer verdienen mehr als Frauen. Frauen werden ab einem gewissen Altern weniger befördert oder überhaupt eingestellt. Männer haben weniger Möglichkeiten, Teilzeit zu arbeiten. Das drängt Männer in die Ernährer- und Frauen in die Hausfrauenrolle.
Das ist mir bewusst, aber auch da bewegt sich ja einiges. Zum Glück. Ich plädiere hier dafür, dass Paare über Geld reden: Wenn ein Paar sich entscheidet, dass die Frau über längere Zeit zu Hause bleibt und sie dadurch finanzielle Nachteile hat, dann soll ihr Partner diese ausgleichen. Was ich nicht gut finde ist, wenn der Staat mit der Giesskanne die familienergänzende Betreuung finanziert. Denn dann, und damit schliesst sich der Kreis, bezahlen indirekt wieder die Alleinstehenden den Preis – über Steuern oder andere Abgaben.
Was wären aus Ihrer Sicht Lösungsansätze, damit Alleinlebende finanziell besser wegkommen?
Unser System lässt sich nicht so einfach umkrempeln. Mir und unseren Mitgliedern ist es jedoch ein Anliegen, dass wir dieselben Rechte haben wie Verheiratete oder Menschen in Partnerschaften. Wir wollen keine Vorteile, aber wir wollen auch keine derart grosse Zwangssolidarität, wie sie heute herrscht. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, mal zu erheben, was Singles eigentlich alles mit ihrem Geld quersubventionieren. Denn das ist ein weiteres Problem.
Fehlende Daten?
Genau. Es wird einfach nicht erhoben, wie viel Geld von kinderlosen und ledigen Personen umverteilt wird. Niemand, weder der Bund noch andere Leistungsträger:innen wie die Sozialversicherungen haben ein Interesse daran, diese Zahlen zu erheben und offenzulegen.
Jetzt haben wir viel über die Nachteile von Alleinlebenden geredet. Wo sehen Sie die finanziellen Vorteile von diesem Lebensmodell?
Die Pro-Kopf-Ausgaben sind höher, aber natürlich sind die Ausgaben insgesamt tiefer für eine Person als für eine ganze Familie. Ausserdem kann man immer frei bestimmen, wie man das Geld einsetzen will, und es gibt keine familiären «Zwangsausgaben». Das ist aus meiner Sicht der grösste Vorteil und auch ein grosses Stück Freiheit.