Auf LinkedIn hat sich letzte Woche ein neues Unternehmen registriert. Nur wenige Tage später ist es bereits eine riesige Arbeitgeberin im Business-Netzwerk. Und gegründet hat es eine Frau.

Seine Mitarbeitenden – die meisten ebenfalls Frauen – sind hochqualifiziert. Sie zeichnen sich aus durch Flexibilität und Belastbarkeit, verfügen über Leadership Skills, Verhandlungsgeschick und Empathie, haben Weitblick, sind top organisiert und können mit Geld genauso umgehen wie mit menschlichen Eigenheiten.

Samantha Taylor
Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten – als Eltern oder bei der Pflege von Angehörigen –, können diese Arbeit sichtbar machen und Unpaid Care Work als Arbeitgeber:in nennen.

Ein beeindruckender Strauss an Fähigkeiten, nicht? Trotzdem erhalten die Mitarbeitenden weder Lohn noch Wertschätzung für ihre Arbeit. Im Gegenteil: Viele erfahren durch ihre Tätigkeit sogar Nachteile. Sie werden belächelt, diskriminiert und sind finanziell schlechter gestellt. Wer also ist diese ausbeuterische Firma? Es ist die Unpaid Care Work AG.

Worum es geht? Um unbezahlte Care-Arbeit. Und um eine Initiative, die auf LinkedIn gerade hohe Wellen schlägt. Die deutsche Unternehmerin Franziska Büschelberger gründete vor wenigen Tagen in dem Business-Netzwerk das fiktive Unternehmen. Die Idee: Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten – als Eltern oder bei der Pflege von Angehörigen –, können diese Arbeit sichtbar machen und Unpaid Care Work als Arbeitgeber:in nennen.

Bei mir findet man nun beispielsweise neben meinen bisherigen Stellen im Journalismus und der Kommunikation auch den Titel «Fürsorgebeauftragte für zwei Kinder». Ich bin bei weitem nicht die einzige, die ihr Profil angepasst hat. Unpaid Care Work hat bereits zahlreiche Beschäftigte. Mehrere Tausend Personen folgen der Initiative.

Die Gründerin selbst sagt auf Linkedin, es gehe um Sichtbarkeit und Wertschätzung für Sorgearbeit. Wer wolle, dass diese Arbeit anerkannt werde, müsse dazu stehen und dürfe sie nicht verschweigen – auch nicht im beruflichen Umfeld. Aktuell passiert leider genau das.

Samantha Taylor
Wenn Politik und Wirtschaft über Vereinbarkeit sprechen, geht es um die Frage: Wie schaffen wir es, dass Frauen trotz Familie möglichst viel Erwerbsarbeit leisten?

Klar, Vereinbarkeit ist ein präsentes Thema, gerade für Unternehmen. Wenn Politik und Wirtschaft aber heute darüber diskutieren, geht es meist um die Fragen: Wie schaffen wir es, dass Frauen trotz Familie möglichst viel Erwerbsarbeit leisten? Dass sie trotz Kinder oder kranker Angehöriger so viel wie möglich der Wirtschaft dienen? Eine echte Diskussion über die Wichtigkeit und den Wert von Sorgearbeit findet in diesem Umfeld kaum statt. Sorgearbeit ist der Berufswelt nach wie vor lästig.

Weil wir das alle wissen und es auch immer wieder zu spüren bekommen, spielen wir mit. Wir verheimlichen, was wir ausserhalb unserer Jobs leisten, spielen Belastungen und Stress herunter und fordern schon gar nichts dafür ein. Oder wer von euch erwähnt die Skills, die ihr euch bei der Kindererziehung angeeignet habt, im CV? (Es sind ja nicht wenige, wie man oben im Text sieht.) Wer reduziert das Pensum für die Pflege der kranken Eltern und fragt gleichzeitig nach mehr Lohn? Wer kommt selbstbewusst um 09:15 Uhr zur Arbeit und verlässt sie erhobenen Hauptes um 16 Uhr wieder, weil die Kinder aus der Kita abgeholt werden müssen? Wer verlangt nach dem Mutterschaftsurlaub eine Beförderung?

Ich vermute, die wenigsten. Dabei sollten wir genau das tun. Sorgearbeit ist gleich auf mehreren Ebenen enorm wichtig. Care-Arbeit ist der grösste Wirtschaftssektor. Allein in der Schweiz werden jährlich 9,2 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit geleistet. Ein Grossteil davon von Frauen. Die unbezahlte Sorgearbeit hat einen Wert von 404 Milliarden Franken! Das ist über die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz. Trotz dieser gewaltigen Zahl wird diese Arbeit bisher nicht als Wirtschaftsleistung erfasst. Sie fliesst in keine einzige Berechnung mit ein.

Samantha Taylor
Eine echte Diskussion über den Wert von Sorgearbeit findet kaum statt. Care-Arbeit ist der Berufswelt lästig.

Und es sind nicht nur die Zahlen, die uns zum Nachdenken bringen sollten. Wir sollten nicht vergessen: Sorgearbeit ist das Fundament und der Kitt unserer Gesellschaft. Ohne Care kein Zusammenleben. Und für alle, die jetzt sagen «Die Wirtschaft ist unser wichtigster Motor»: Das mag sein. Doch ohne Sorgearbeit würde dieser Motor stillstehen. Denn bevor ein Mensch zur «Arbeitskraft» wird und eben dieser Wirtschaft dienen kann, muss er ausgetragen, geboren, geliebt, ernährt, grossgezogen und umsorgt werden. Das sind hunderte von Stunden Arbeit, die am Ende direkt der Wirtschaft zugute kommen, für die ihre Erbringer:innen aber heute nicht mal ein Dankeschön erhalten.

Höchste Zeit, dass wir umdenken. Care-Arbeit muss sichtbar werden und braucht endlich Wertschätzung – auch oder gerade im Business-Umfeld. Darum: Zeigen wir, was wir leisten, für unsere Kinder, Eltern, Partner:innen und Freund:innen, und werden wir Mitarbeiter:innen bei Unpaid Care Work.

Danke Franziska Büschelberger für diese wichtige Initiative!

Care-Ökonomie: Wer ist produktiv?
Care-Arbeit ist «systemrelevant» und sollte ins Zentrum von wirtschaftlichen Theorien und der Praxis rücken. Das finden die beiden Autorinnen Ina Praetorius und Uta Meier-Gräwe. In ihrem Buch «Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert» erklären sie, warum.
Wir müssen über Care-Arbeit reden
Die Prognosen sind düster: Uns gehen die Fachkräfte aus. Was wir dagegen tun können? Mehr erwerbstätig sein, findet eine Mehrheit der Bevölkerung. Aber nicht alle. Mütter sollen sich weiter der Familie verschreiben. Schade, jetzt hätten wir die Chance, unser System zu überdenken – grundlegend.