Es wird heute viel über toxische Beziehungen geredet und geschrieben. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, kann man sich aber nur schwer vorstellen, was das für die Betroffenen bedeutet. Auch für mich ist das Bild erst klarer, seitdem ich mich selbst als (Mom-)Burnout Betroffene geoutet habe.

Julia Panknin
Erst durch die Erzählungen vieler Frauen wurde mir bewusst, wie subtil und gefährlich emotionale Gewalt ist, die von narzisstischen Menschen ausgeht.

Seitdem stehe ich täglich mit Frauen in Kontakt, die mir von ihren Erfahrungen mit mutmasslichen Narzissten erzählen. Mit denen sie Jahre verbrachten und Kinder bekamen, bevor sie realisiert haben, dass das Verhalten ihres Partners nicht normal ist. Dass sie jahrelang manipuliert, ausgenutzt und fertiggemacht wurden. Die bis heute leiden, weil der Horror nicht aufhört, wenn sie es endlich geschafft haben, sich zu trennen, weil Narzissten oft rachsüchtig sind. 

Hier nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was sie mir erzählt haben: 

  • «Als ich ihn kennenlernte, hat er mich in den Himmel gehoben, doch irgendwann schlug ich in der Hölle auf.»
  • «Wenn wir unter Menschen waren, war er witzig und charmant. Alle mochten ihn. Doch kaum waren wir allein, war er nur noch eklig zu mir. Ich lief ständig wie auf rohen Eiern durchs Haus.»
  • «Er hat immer wieder gemeine Witze über mich gemacht. Wenn ich mich darüber aufregte, redete er mir ein, ich hätte einfach keinen Humor.»
  • «Wenn ich ihm Konter gab, nahm er plötzlich die Opferrolle ein und wickelte mich damit wieder um den Finger.»
  • «Er hat alles an mir abgewertet, mein Aussehen, meine beruflichen Erfolge, meine Art der Kindererziehung, einfach alles. Irgendwann war mein Selbstvertrauen komplett dahin.» 
  • «Als ich mich einer guten Freundin gegenüber öffnete, sagte sie, sie verstehe nicht, wovon ich rede, mein Partner sei doch so ein toller Mann. Ich realisierte, dass er nicht nur mich, sondern mein ganzes Umfeld manipuliert hatte.»
  • «Meine Beziehung mit ihm endete in einer Erschöpfungsdepression. Erst mit Hilfe einer Therapie realisierte ich, was er mir all die Jahre angetan hatte.»
  • «Ich fühle mich ohnmächtig, wenn ich daran denke, dass wir wegen unserer Kinder ein Leben lang verbunden sein werden. Dass ich die Kinder nicht vor seinen Manipulationen schützen kann.»
  • «Ich schäme mich so sehr, dass ich das alles mit mir habe machen lassen.»

Erst durch ihre Erzählungen wurde mir bewusst, wie subtil, wie gefährlich die emotionale Gewalt ist, die von narzisstischen Menschen ausgeht. Und welchen Schaden sie damit anrichten. Für viele meiner Gesprächspartnerinnen endeten ihre Beziehungen in einer Erschöpfungsdepression. Nicht wenige von ihnen hatten zwischenzeitlich Suizidgedanken. 

Diese gravierenden Folgen und die grosse Zahl an Betroffenen schockieren mich immer noch. Ich stehe mit so vielen von ihnen in Kontakt, dass ich mich manchmal frage, ob auf diesem Planeten nur noch Narzissten rumlaufen. Es wundert mich deshalb auch nicht, dass ich immer wieder Menschen sagen höre, sie hätten das Gefühl, das Wort «Narzisst» würde heute «inflationär» gebraucht. Dass Beziehungsprobleme damit heute vermehrt «pathologisiert» würden, weil es doch nicht «plötzlich» so viele Narzissten geben könne.

Julia Panknin
Ich glaube nicht, dass es «plötzlich» mehr Narzissten gibt, sondern dass Betroffene heute endlich Worte dafür haben, was mit ihnen geschieht, und dass sie mehr darüber sprechen.

Und tatsächlich ist es Fakt, dass selbst die Wissenschaft nicht weiss, wie viele Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung es wirklich gibt und ob sich die Zahl in den letzten Jahren verändert hat. Einerseits, weil Narzisst:innen in der Regel unfähig sind, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und sich deshalb nie selbst in Therapie begeben würden. Andererseits, weil sie die Gunst der Manipulation perfektioniert haben, unglaublich charmant und eloquent sein und damit sogar Fachpersonen blenden können. (Zum Beispiel, wenn ihre Partner:innen sie dazu bringen, mit ihnen in eine Paartherapie zu gehen. Ich kenne diverse Geschichten, in denen Betroffene weiter verunsichert wurden, weil der/die Therapeut:in dem narzisstischen Part den Rücken stärkte.)

Trotzdem möchte ich den Zweiflern widersprechen. Ich glaube auch nicht, dass es «plötzlich» mehr Narzissten gibt, sondern dass Betroffene heute endlich Worte dafür haben, was mit ihnen geschieht, und dass sie mehr darüber sprechen. Warum? Weil Frauen zur Zeit unserer Grosseltern noch viel häufiger finanziell abhängig von Männern waren als heute. Sie konnten ihre Beziehungen nicht aufs Spiel setzen, indem sie offen darüber redeten, egal wie toxisch sie waren. In Therapie zu gehen, wo man mit Hilfe von Fachpersonal verstehen lernen konnte, was mit einem geschieht und welche Begrifflichkeiten die richtigen sind, war ebenfalls kaum möglich. Also litten sie im Stillen, ohne dass die Gesellschaft etwas davon mitbekam. Agota Lavoyer beschreibt dieses Phänomen in ihrem neuen Buch «Jede_Frau», in dem sie sich intensiv mit dem Umgang unserer Gesellschaft mit sexualisierter Gewalt befasst, wie folgt: «Bis es Worte gibt für das, was passiert, bleibt ihre Realität (die der Opfer, Anm. d. Red.) unsichtbar für die anderen.»

Julia Panknin
Ich wünsche mir, dass wir aufhören, die Erfahrungen von Opfern kleinzureden. Dass wir sie stattdessen ernst nehmen und ihnen unsere Hilfe anbieten.

Ich finde es deshalb wichtig und richtig, dass das Thema heute eine grössere Aufmerksamkeit bekommt. Und wünsche mir, dass wir aufhören, die Erfahrungen von Opfern kleinzureden. Dass wir sie stattdessen ernst nehmen und ihnen unsere Hilfe anbieten. Dass wir sie nicht mehr fragen, warum sie nicht früher gegangen sind oder warum sie mit der Person Kinder bekommen haben. Dass es uns egal ist, ob der Mensch, mit dem sie diese Erfahrungen machen oder gemacht haben, eine offizielle Diagnose erhalten hat oder schlicht ein manipulatives A***loch ist. Weil nur eines zählen sollte: dass Opfer Hilfe bekommen und Täter nicht mehr geschützt werden. Einverstanden? 

Herzlichst, 

Julia 

P.S. Es ist mir bewusst, dass Narzissmus nicht nur ein Männer-Problem ist, auch wenn sie statistisch gesehen häufiger betroffen sind. Dass es in diesem Text ausschliesslich um die Erfahrungen mit männlichen Partner geht, liegt daran, dass ich hier Anekdoten aus meiner rein weiblichen Community wiedergebe, die sich alle in heterosexuellen Beziehungen abspielten. 

P.P.S. Wenn du diese Zeilen gelesen und auch nur kurz darüber nachgedacht hast, ob DAS die Erklärung für deine Beziehungsprobleme oder deine ambivalenten Gefühle deinem Partner oder deiner Partnerin gegenüber sein könnte, dann möchte ich dir ans Herz legen: Such dir professionelle Hilfe und sprich darüber. 

Julia Panknin ist selbstständige Journalistin, Speakerin und Beraterin mit Fokus auf die Themen Parental Burnout und Vereinbarkeit von Kind und Karriere sowie Gründerin von mamibrennt.com. Die Münchnerin lebt seit 15 Jahren in der Nähe des Zürichsees und hat eine kleine Tochter, die sie 50:50 im Wechselmodell mit deren Vater betreut.