Meine erste Tochter habe ich 2013 zur Welt gebracht. Ich lag seit 36 Stunden in den Wehen und belegte seit über 24 Stunden den Gebärsaal. Nachts wurde ich von einer Hebamme im 3. Lehrjahr betreut, die ab und zu hereinschaute. Doch ich belegte den Saal wohl zu lange: Am Mittag des Folgetages gab man mir ohne meine eindeutige Zustimmung Wehenmittel, und das war viel zu hoch dosiert. In der Folge war mein Kind innerhalb von sechs Minuten auf der Welt. Die gegen meinen Willen provozierten Wehen peitschten meine Tochter quasi aus mir heraus. Es war ein Schock.
Als ich sie in den Armen hielt, wollte ich nur noch sterben. Ich brauchte lange, um die körperlichen und seelischen Strapazen und Schmerzen verarbeiten zu können und eine Bindung zu meinem Kind aufzubauen. Ich war traumatisiert. Die ersten beiden Monate nach der Geburt erlebte ich kaum – irgendwann merkte ich, dass ich einen Filmriss hatte. Wäre da nicht eine Mütterberaterin gewesen, zu der ich mich schleppte, die mich dann als weinendes Wrack zu einer Psychologin verwies, ich wäre wohl noch länger in dieser Spirale geblieben.
Das Schlimmste für mich war, dass meine Wünsche unter der Geburt nicht gehört wurden. Und dass mir gegen meinen Willen Medikamente verabreicht wurden. Ich steckte in einer Spirale von Interventionen. Interventionen sind Geburtseinleitungen, «Off Label Use»-Medikamente, Schmerzstiller, Saugglocke und Zange, eine PDA und als letzte Option der Kaiserschnitt. Aber nicht nur solche Interventionen können den Geburtsverlauf stören. Auch grelles Licht, laute Stimmen, fehlende Betreuung, vaginale Untersuchungen, flüchtig hingeworfene Sätze oder das Auslöschen eines kleinen Duftlämpchens können bei einer Geburt Stress auslösen.
Bei meiner zweiten Geburt war ich beispielsweise wunderbar im Flow, aber als mir die Hebammen das Duftlämpchen löschten, war er weg. Ohnehin verlief meine zweite Geburt leider nicht viel besser als die erste. Ich war zwar psychisch danach stabil, aber körperlich nicht.
Ich musste eine mehrfach verstochene PDA erleben, nachdem ich einen Wehensturm hatte, der mit dem Auslöschen des Duftlämpchens begann. Bei den verschiedenen Einstichen am Rücken hatte ich Gehirnflüssigkeit verloren, wodurch nach der Geburt ein Unterdruck im Hirn entstand mit schrecklichen Kopfschmerzen. Ich war noch wochenlang nach der Geburt ans Bett gefesselt. Zudem verursachte das vernarbte Gewebe starke Faszien- und Bindegewebeschmerzen im Rücken und den Beinen, die mich bis heute begleiten. Mein zweites Kind brachte ich am Ende übrigens, komplett gelähmt durch die gesetzte Spinalanästhesie, ohne eine einzige Wehe zur Welt. Ein Kraftakt, der Spuren hinterliess.
Eine Geburt ist ein Prozess, und diesen kannst du nicht bekämpfen. Du kannst nicht davonrennen. Du kannst ihn nicht anhalten. Und du kannst ganz sicher nicht aufgeben. Eine Frau stellt sich bei der Geburt der Urgewalt des Lebens. Um diese Wucht auszuhalten, braucht man Sicherheit und Geborgenheit, einen Raum, in dem man sich wohl fühlt. Genau wie bei anderen intimen Momenten auch. Wer hat schon Sex unter Neonlampen, während Leute drum herumstehen und zuschauen? Die Geburt macht Frauen zu Müttern. Der Eintritt ins Leben entscheidet über Bindung, Vertrauen und die seelische Gesundheit von Mutter und Kind. Ich habe das am eigenen Leib erfahren. Leider bin ich mit meinen Erfahrungen nicht allein. Deswegen kämpfe ich heute dafür, dass keine Frau durchmachen muss, was mir widerfahren ist.
Ein Grossteil der Schweizer Kinder kommt im Spital zur Welt. Nur ein kleiner Teil der Frauen entscheidet sich für eine Geburt zu Hause oder in einem Geburtshaus. 20 Prozent der Mütter verlassen den Ort der Geburt, meist ein Spital, traumatisiert. Jede vierte Frau erfährt Gewalt unter der Geburt. Für manche Frauen haben diese Erlebnisse weitreichende Folgen: 10 Prozent der Mütter zeigen in den ersten Wochen nach der Geburt eine Anpassungsstörung. Bei drei Prozent entwickelt sich eine posttraumatische Belastungsstörung. Zu den Symptomen gehören unter anderem Panikattacken, Schlafstörungen oder die Vermeidung des «Traumaverursachers», also des eigenen Kindes.
Die Gründe, weshalb eine Geburt als traumatisch erlebt wird, sind vielfältig. Sie haben aber meist einen gemeinsamen Nenner: Es geht um die Betreuung durch Fachpersonen. Viele Frauen, die eine Geburt als traumatisch erlebt haben, beschreiben eingeschränkte oder mangelnde Fürsorge, Respektlosigkeit oder die Durchführung von Interventionen ohne ihr Einverständnis. In einer schweizweiten Online-Umfrage hat die Berner Fachhochschule Gesundheit gemeinsam mit weiteren Forschern das Geburtserlebnis von über 6000 Frauen erfasst. Eine zentrale Frage war dabei, welche Art von Zwang Frauen unter der Geburt erleben. Die Ergebnisse sind erschreckend: Knapp die Hälfte der Frauen hatte zu wenig Zeit, um sich Gedanken zu einer Intervention zu machen, 41 Prozent erhielten zu wenig Informationen. Jede vierte Frau hatte das Gefühl, dass sie eingeschüchtert wurde, und bei jeder zehnten wurden Interventionen trotz Gegenwehr durchgeführt. Gleichzeitig können schwierige Geburtsverläufe nicht nur für die Frauen und Familien, sondern auch für das geburtshilfliche Fachpersonal eine erhebliche Belastung darstellen.
Meine Wunden sind inzwischen verheilt. Verurteilen möchte ich keinen Menschen, alle haben getan, was sie konnten und was in ihrer Kraft lag. Ich habe zehn Jahre gebraucht, bis ich öffentlich über meine Erlebnisse schreibe – und ich weiss, dass zu viele Frauen ihre Geschichten unausgesprochen mit sich herumtragen. Was mir und anderen widerfahren ist, soll sich nicht stetig wiederholen: Mütter brauchen eine engere Betreuung, falls möglich 1:1, beispielsweise mithilfe von Doulas. Sie begleiten werdende Mütter – und Väter – während der Schwangerschaft und der Geburt physisch, emotional und informativ. Sie sind die Fürsprecherinnen der Gebärenden und stehen für ihre Bedürfnisse ein – auch gegenüber dem Druck von Fachpersonen. Die Erfahrung und zahlreiche Studien zeigen, dass diese umsichtige und schöne Art der Begleitung den Verlauf einer Geburt positiv beeinflusst. So hatten beispielsweise Mütter, die während der Schwangerschaft und Geburt von einer Doula betreut wurden, halb so viele Geburtskomplikationen.
Es ist wichtig, wie wir auf die Welt kommen. Es entscheidet über den Start ins Leben. Wir Frauen und Mütter bewegen uns heute in einem Gesundheitssystem, das nicht gedacht ist für die Bedürfnisse der meisten Schwangeren und Gebärenden. Was es braucht, sind Menschen, die Zeit haben, sich mit einer gesunden Gebärenden auf den Geburtsprozess einzulassen. Die Geburten unterliegen momentan der Wirtschaftlichkeit unseres Gesundheitssystems – und das ist falsch. Es kann nicht sein, dass Spitäler an einer komplikationsfreien Geburt weniger verdienen als an einer, die lange dauert und bei der diverse Medikamente zum Einsatz kommen. Hier werden völlig falsche Anreize gesetzt.
Geburtshäuser auf Spitalgelände, Hausgeburten oder hebammengeleitete Geburten im Spital können gute Wege für entspanntere Geburten sein. Zudem braucht es mehr Personal und finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung der Hebammen – diese arbeiten oft unter schlechten Bedingungen. Eine Geburt darf dauern, sie muss geschehen dürfen, ohne Druck. Wir müssen über Ängste, Krankenhaus-Kultur und natürliche Schmerzen während der Geburt sprechen. Wir müssen die Geburten wieder zu dem machen, was sie sind: der natürlichste Prozess der Welt. Und darin müssen wir Frauen bestärken.