Dieser rote, kleine Strich im Schwangerschaftstest. Für die einen bedeutet er pure Lebensfreude und das grösste Glück. Bei anderen löst er Stress oder Panik aus. Ich gehörte definitiv zur zweiten Gruppe. Meine erste Schwangerschaft war eine unerwartete Überraschung. Mein Puls stieg, und mir schossen sofort Existenzängste durch den Kopf: Mein Freund hatte gerade seine Festanstellung verloren, ich war noch Praktikantin, ohne Aussicht auf eine Festanstellung. Unsere Beziehung steckte in den Anfängen und war sicher noch nicht reif für Zuwachs. So dachte ich damals zumindest.
Um wirklich sicher zu sein, dass dieser rote Strich nicht lügt, vereinbarte ich einen Termin bei der Gynäkologin. Der Ultraschall zeigte es weiss auf schwarz: Der Embryo war da, ich befand mich offiziell in der siebten Schwangerschaftswoche. Als ich dieses pochende Blinken zum allerersten Mal sah, war es um mich geschehen. Der Herzschlag eines heranwachsenden Menschen. Es war plötzlich real für mich, ein Baby zu bekommen, und plötzlich war da statt Sorge Vorfreude. Auch bei meinem Freund.
Nach der grossen Freude die heftige Trauer
Leider hielt diese Freude nicht lange. Zwei Tage nach der Untersuchung hatte ich Blutungen und Schmerzen im Unterleib. Da stimmt etwas nicht, dachte ich mir sofort. Ich ging nochmal zu meiner Gynäkologin, die erneut einen Ultraschall durchführte. Dabei stellte sie fest, dass sich der Embryo nach unten bewegt hatte. Nicht unbedingt ein gutes Zeichen, aber es könne auch nichts bedeuten, hiess es. Mit diesem Wissen ging ich wieder nach Hause. Die Krämpfe blieben und wurden immer heftiger. Mein Stresslevel stieg von Stunde zu Stunde. Ich wurde sehr emotional und traurig, ohne mir jedoch bewusst zu sein, dass sich eine Fehlgeburt anbahnen könnte. Ich hatte mich schlicht nie zuvor mit diesem Thema auseinandergesetzt.
Der nächste Tag. Die Krämpfe hielten an, die Blutungen auch. Gegen Abend hatte ich sehr heftige Schmerzen. Ich krümmte mich auf dem Sofa. Irgendwann ging ich ins Badezimmer, weil ich das Gefühl hatte, dass alles aus meinem Körper raus muss. Und dann geschah es: Ich verlor das Baby in mir.
Das Gefühl unmittelbar danach war heftig. Mein Körper war erlöst, die Krämpfe hörten sofort nach dem Ausstossen des Embryos auf. Ich wusste rational, dass mein Körper wohl das Richtige getan hatte. Die Natur hatte es geregelt. Trotzdem war ich am Boden zerstört. Tiefe Trauer und Verzweiflung machten sich in mir breit. Ich rief meinen Freund bei der Arbeit an. Er liess alles stehen und liegen und kam nach Hause. Beide beweinten wir den Verlust eines Menschen, den es noch gar nicht gab.
Eine heftige emotionale Reaktion ist bei einer Fehlgeburt normal. Viele Frauen reagieren so, egal wie sie sehr sie sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Das bestätigt auch Anne Renner. Sie ist Gynäkologin und spezialisiert auf Geburtshilfe. Die Reaktionen von Frauen und Paaren nach einer Fehlgeburt seien sehr unterschiedlich. Einige zeigen ihre Trauer und lassen sie zu. Andere sind pragmatisch, wollen wissen, wie die weiteren Schritte aussehen.
Ungefähr jede fünfte Schwangerschaft endet in der sogenannten Frühschwangerschaft, also vor der 12. Woche. Am häufigsten aber passiert eine Fehlgeburt vor der 6. Schwangerschaftswoche. Mehr als die Hälfte der befruchteten Eier gehen zu der Zeit ab, nur bemerken es Frauen in der Regel nicht. Es könnte eine starke Regelblutung sein. Je länger jedoch eine Schwangerschaft dauert, desto unwahrscheinlicher wird es, dass eine Frau eine Fehlgeburt erleidet. Wenn alles gut läuft im ersten Schwangerschaftsdrittel, erleiden nur noch zwei Prozent der Schwangeren eine Fehlgeburt im zweiten Drittel.
Nach der heftigen Trauer die traurige Gewissheit
Bei mir waren keine weiteren medizinischen Schritte nötig. Mein Körper hatte den Embryo komplett ausgestossen. Ich ging lediglich einen Tag nach der Fehlgeburt noch mal zur Kontrolle zu meiner Gynäkologin. Der Ultraschall bestätigte: Da ist nichts mehr in meiner Gebärmutter. Beim Blick auf den Bildschirm kamen mir sofort die Tränen. Meinem Freund auch. Unsere Gynäkologin gab uns den Raum, um die Trauer zuzulassen. Für Anne Renner ein ganz wichtiger Punkt. Auch sie nimmt sich Zeit in diesen Situationen. Denn dieses Auffangen könne einen Unterschied machen für die Verarbeitung.
Nach der Untersuchung liefen wir nach Hause. Ich fühlte mich traurig und leer. Trotzdem beschlossen wir nach zwei Tagen, zumindest ein Kapitel dieser Geschichte zu schliessen. Wir verabschiedeten uns von unserem Kind und warfen den Embryo, den wir in einem Tuch aufbewahrt hatten, in den Fluss. Wir sahen dem Bündel lange zu, wie es vom Wasser weggetragen wurde. Das Abschiedsritual war wichtig und gut, trotzdem war die Fehlgeburt damit nicht abgehakt. Die Trauer begleitete mich in den nächsten Wochen und Monaten. Auch andere traurige Momente in meinem Leben kamen wieder hoch. Der Tod meines Vaters zum Beispiel.
Immer wieder erzählte ich die Geschichte, wie ich mein Kind verloren hatte – auch weil ich merkte, dass ich es nicht verstecken kann. Schlechtes Pokerface. Viele Frauen fühlten mit. Ich merkte schnell, dass ich nicht alleine war mit diesem Erlebnis.
Nach der traurigen Gewissheit die finanzielle Realität
Bald flatterte auch die Realität in Form von Rechnungen ins Haus: In der Schweiz werden Untersuchungen in der Schwangerschaft mehrheitlich von der Krankenkasse gedeckt. Allerdings erst ab der 13. Schwangerschaftswoche. Davor wird eine Schwangerschaft als «Krankheit» behandelt. Ich verlor den Embryo in der achten Woche. Entsprechend musste ich alle Kosten selber bezahlen. Das waren mehrere Untersuchungen à mehrere hundert Franken. Eine weitere Belastung in dieser nicht einfachen Zeit.
Die Zeit verging, die Wunde heilte. Beziehungstechnisch hat uns die Fehlgeburt sehr zusammengeschweisst und für künftige Krisen gewappnet, davon bin ich überzeugt. Das mag komisch klingen, ist aber so. Ich habe eine relativ «normale», milde Fehlgeburt erlitten, in einem frühen Stadium. Nie würde ich mich mit Frauen vergleichen, die eine Totgeburt erlitten haben. Oder mehrere Fehlgeburten. Oder nach langjährigem Kinderwunsch eine Fehlgeburt erleiden mussten. Oder oder oder. Es gibt so viele Geschichten. Dies hier ist einfach meine kleine Geschichte.
Aber diese Geschichte ist nun zum Glück in einer Schublade, die geschlossen bleibt. Mein Freund und ich haben mittlerweile zwei wundervolle, gesunde Kinder, sie sind sieben und knapp fünf Jahre alt. Die Beziehung zu meinem Freund hat also gehalten, mit allen Höhen und Tiefen, die man als Eltern und Paar so mitmacht. Und trotzdem: Ich denke noch oft an diese erste Schwangerschaft. Das Gefühlskarussell. An den Schock, die Euphorie, der eine Traurigkeit folgte, die mich tief einnahm.
Ich finde es wichtig, dass wir über das Thema Fehlgeburt sprechen. Es ist weder eine kurzzeitige «Krankheit», wie das unser Gesetz meint, noch eine Sache, die halt einfach natürlich ist und die man schnell abhaken soll. Wenn wir uns Zeit geben und uns immer wieder damit auseinandersetzen, kann das heilsam sein. So empfinde ich das zumindest.