Am vergangenen Wochenende durfte ich an einem Event in Amsterdam über meine steile Corporate-Karriere und meinen ebenso steilen Absturz sprechen. Darüber, dass ich fast zwei Jahre brauchte, um mich von meinem Burnout zu erholen. Und wie ich erst in dieser Zeit verstand, dass ich mein Leben lang von Glaubenssätzen und Prägungen aus meiner Kindheit getrieben war, die mich letztlich krank machten.
Im Publikum sassen 130 Frauen aus zehn Ländern, alle mit beeindruckenden Lebensläufen und Karrieren. Während ich redete, sah ich viele von ihnen immer wieder mit dem Kopf nicken. Einige hatten Tränen in den Augen. Ich ahnte, dass sie Ähnliches erlebt haben. Mein Verdacht bestätigte sich in der nächsten Pause, als zig Teilnehmerinnen auf mich zukamen und mir von ihren Erfahrungen mit Burnout und anderen Stresserkrankungen erzählten.
Trotz unserer unterschiedlichen Backgrounds gab es Parallelen zwischen uns: Wir alle zählen zu den sogenannten High-Performerinnen, also zu jenen Menschen, die immer schon gerne und viel gearbeitet haben und dabei überdurchschnittliche Leistungen erbringen. Gleichzeitig verbanden uns aber auch unsere Erfahrungen mit dem elendigen Imposter-Syndrom, dem Gefühl, irgendwann als Blenderinnen entlarvt zu werden. Weil wir trotz aller Erfolge immer wieder das Gefühl hatten, nicht genug zu geben, zu können oder schlicht zu sein.
Mir – und auch einigen meiner Gesprächspartnerinnen – war lange nicht bewusst, wie sehr uns diese Minderwertigkeitskomplexe antreiben. Und noch weniger ahnten wir, dass diese ihren Ursprung meist in der Kindheit haben.
Psycholog:innen gehen davon aus, dass unter anderem folgende drei Prägungen aus der Kindheit uns anfälliger für Burnout machen:
- Menschen, die früh gelernt haben, dass die Liebe ihrer Bezugspersonen an Leistung geknüpft ist, können im Erwachsenenalter sehr erfolgreich sein. Sie geben alles für das Gefühl, anerkannt zu werden und dazuzugehören. Dabei verausgaben sie sich jedoch im schlimmsten Fall so lang, bis sie ausbrennen.
- Wenn Kinder früh Verantwortung übernehmen müssen, zum Beispiel weil ein Geschwister oder Elternteil krank ist, lernen sie, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Sie sind auch später anfälliger dafür, sich selbst zu vergessen und die eigenen Grenzen zu überschreiten; zudem laufen sie häufiger Gefahr, ausgenutzt zu werden (beruflich wie privat). Sie werden heute gern als «People Pleaser» bezeichnet.
- Wer in der Kindheit nicht genug Sicherheit und Verlässlichkeit erfahren hat, hat später oft ein grosses Kontroll-Bedürfnis. Betroffene haben hohe Ansprüche an sich selbst und kontrollieren zum Beispiel Aufgaben immer wieder, um keine Fehler zu machen, was zu Mehrarbeit und hohem Druck führen kann.
Diese Prägungen steuern uns und unsere Entscheidungen, ohne dass es uns bewusst ist. Bei uns weiblich sozialisierten Menschen kommt erschwerend hinzu, dass unsere Karriereambitionen mit dem immer noch tief in der Gesellschaft verankerten Rollenbild der fürsorglichen Care-Leistenden kollidieren. Wir fühlen uns also ständig falsch. Auch von aussen bekommen wir regelmässig gespiegelt, wir seien nicht richtig, so wie wir sind. Wir seien zu laut, zu fordernd, zu sichtbar und (wir sehr ich dieses Wort hasse!) «karrieregeil». Werden wir Mütter, wird das Ganze noch extremer.
Und was machen wir nun mit diesen Erkenntnissen? Die Frauen, mit denen ich am Wochenende darüber sprach, waren sich einig, dass es nur einen Weg aus diesem Teufelskreis gibt: Hinschauen und handeln! Die eigenen Muster zu erkennen, war für uns alle der erste Schritt in die richtige Richtung. Als wir nicht mehr im Dunkeln tappten, konnten wir nämlich anfangen, die eigenen Prägungen aktiv zu überschreiben.
Uns allen gelang das, indem wir das Coaching-Programm «Women in Negotiation» von Wies Bratby absolvierten, die auch den Event in Amsterdam organisiert hatte (auf Insta würde ich jetzt schreiben «unbezahlte Werbung», also tue ich das hier auch).
Die Aufgaben, die uns die holländische Frauencoach gab, halfen uns, den Wert unserer Persönlichkeit und unserer Arbeit zu erkennen und uns diesen bis heute regelmässig vor Augen zu führen. In Form eines Tagebuchs zum Beispiel, in dem wir laufend unsere Erfolge notieren, egal wie gross oder klein sie sein mögen. Das klingt absurd einfach, funktioniert aber tatsächlich.
Zu erkennen, was wir schon alles erreicht haben und welchen Wert wir mitbringen, hilft uns heute, unkonstruktive Kritik nicht zu persönlich zu nehmen. Es hilft uns auch, Fünfe mal grade sein zu lassen, gesunde Grenzen zu setzen und rigoros «Nein» zu sagen, wenn wir das Gefühl haben, ausgenutzt zu werden.
Retrospektiv würde ich mir wünschen, ich hätte mich schon früher mit meiner Kindheit auseinandergesetzt. Bevor die Falltür aufging und mich das grosse dunkle Loch der Erschöpfungsdepression verschluckte. Solltest du dich also ausgebrannt fühlen, lege ich dir liebevoll ans Herz, hinzuschauen, bevor es zu spät ist. Mithilfe eines Coachings oder einer Therapie. Weil es meiner Meinung nach keine bessere Burnout-Prävention gibt und das Leben im Allgemeinen so viel besser wird, wenn man endlich selbstbestimmt handeln kann.
Herzlichst,
Julia
Julia Panknin ist selbstständige Journalistin, Speakerin und Beraterin mit Fokus auf die Themen Parental Burnout und Vereinbarkeit von Kind und Karriere sowie Gründerin von mamibrennt.com. Die Münchnerin lebt seit 15 Jahren in der Nähe des Zürichsees und hat eine kleine Tochter, die sie 50:50 im Wechselmodell mit deren Vater betreut.