Seit meiner Kindheit kenne ich den Blick, diesen kurzen, stillen Moment der Erkennung, wenn ich einer anderen Schwarzen Person begegne. Es ist ein wohlwollendes Nicken, ein stilles «Ich sehe dich». Mein Vater pflegte zu sagen: «Birds of a feather flock together.» Doch das Bewusstsein für echte, aktive Gemeinschaft im Kampf für Gerechtigkeit kam erst viel später in meinem Leben. Vielleicht lag es daran, dass ich die zweite Hälfte meiner Kindheit im ländlichen Zentrum der Schweiz aufwuchs, fern von der Langstrasse, wo ich als Kind eine Schwarze Community miterlebt hatte.
Doch der Drang nach Austausch und Verbundenheit blieb – und wurde mit der Zeit stärker. Es war erst durch meine Reisen, den Aktivismus und die Begegnung mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen machten und darüber sprachen, dass ich begann, die wahre Bedeutung des solidarischen Kampfes zu verstehen.
Und trotzdem: Der Kampf gegen Rassismus fühlte sich trotz all den wunderbaren Menschen, die ihn auch führten, oft sehr einsam an. Mein Widerstand, meine Arbeit spielte sich meistens in Räumen ab, in denen ich mit meinen Erfahrungen alleine war, meistens dort, wo ich beweisen musste, reagieren musste, argumentieren musste. Dabei blieb mir wenig Zeit und Energie, um sie in die Communities zu stecken, die selber ähnliche Erfahrungen machten. Erst mit den Jahren wurde mir die Bedeutung und die Dringlichkeit des Miteinanders auch körperlich bewusst.
Widerstand muss sich auf Verbindung konzentrieren. Die Verbindung mit unserer Vergangenheit, unserem Körper und Geist, der Gesellschaft und die Verbindung zueinander. Eine Community ist mehr als nur ein Netzwerk – sie ist der Raum, in dem Solidarität zur Tat wird, wo Zusammensein nicht nur geteilte Anwesenheit, sondern ein gemeinsames Erleben bedeutet, und wo echte Verbundenheit und damit Kraft entstehen kann.
Über die letzten Jahre habe ich so viele Menschen begleitet, gecoacht, unterrichtet, habe Diskussionen und Kämpfe geführt, und kam dabei nicht selten erschöpft und mit einer gewissen Leere nach Hause. Denn was ich eigentlich am meisten liebe – und auch vermisse – ist es, Räume zu schaffen, in denen wir einfach zusammen sein und heilen können. Wo wir reden, schreiben, schwimmen und gemeinsam Feuer machen. Orte, an denen wir träumen und Utopien zeichnen können. Räume, in denen wir nicht erklären oder rechtfertigen müssen. Nicht ständig beweisen müssen, dass unsere Erfahrungen legitim sind.
Ich bin überzeugt, dass Verbindung und Kampf keine Gegensätze sind, sondern vielmehr komplementäre Kräfte, die tiefgreifende gesellschaftliche Transformationen auslösen können.
Diese Leere ist es, die mich zwingt, mich davon wegzubewegen, ständig in der erschöpfenden reaktionären Energie zu sein. Stattdessen möchte ich mehr Menschen begegnen, die auch an eine Veränderung glauben, die es auch wagen, zu träumen. Diese Räume der Verbindung sind inzwischen für mich nicht nur ein Rückzugsort, sondern der Kern meiner Arbeit. Sie erinnern mich daran, dass Veränderung nicht allein durch Widerstand entsteht, sondern durch das, was wir gemeinsam erschaffen – durch Solidarität, Gemeinschaft und den Glauben, dass es alles auch anders sein könnte.
Das ist nichts Neues, es hat bei mir gerade einfach eine etwas neue Priorität erhalten. Unsere Errungenschaften für Gerechtigkeit beruhen seit jeher auf einem Miteinander.
In meinem Podcast hatte ich kürzlich das grosse Vergnügen, mit der Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach zu sprechen. Dabei haben wir uns nicht nur über die Kraft der Verbundenheit ausgetauscht, sondern auch über ihr neues Buch namens «Revolution der Verbundenheit. Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert».
Franziska Schutzbach schildert darin, wie Frauen trotz Spaltung und Differenz immer wieder Räume der Solidarität geschaffen haben, in denen sie gemeinsam gegen patriarchale Strukturen gekämpft und Veränderungen ermöglicht haben. Sie zeigt auf, wie sich Frauen durch das gegenseitige Stärken und Orientieren aneinander in Zeiten der Unterdrückung gegenseitig Kraft gegeben haben und so gesellschaftliche Fortschritte erzielen konnten. Es ist eine inspirierende Botschaft, die zeigt, dass weibliche Solidarität nicht nur die individuelle Resilienz stärkt, sondern tiefgreifende gesellschaftliche Revolutionen möglich macht.
Wie können wir uns in unserem Alltag mehr auf Verbundenheit und weniger auf erschöpfende Energien konzentrieren? Eine Möglichkeit besteht darin, bewusst nach gemeinschaftlichen Projekten zu suchen, in denen wir gemeinsam an etwas Grösserem arbeiten können. Dies kann in Form von künstlerischen Initiativen, sozialem Engagement oder einfach in der Unterstützung unserer Liebsten geschehen. Auch Rituale des Zusammenseins, wie regelmässige Treffen, Austausch oder gemeinsame Aktivitäten, können dabei helfen, unsere Verbindungen zu stärken. Gleichzeitig ist es wichtig, sich gegenseitig aktiv zu unterstützen – und zu lernen, auch selbst Hilfe anzunehmen, wenn sie angeboten wird. Solidarität bedeutet, füreinander da zu sein, ohne dass immer alles perfekt sein muss.
Ein weiterer Schlüssel zu mehr Verbundenheit ist die bewusste Zeit in der Natur. Die Natur gibt uns die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und uns mit uns selbst und den Menschen um uns herum zu verbinden. Ein Spaziergang, gemeinsames Verweilen im Freien oder einfache Naturbegegnungen können kraftvolle Wege sein, um uns zu erden und unsere Beziehungen zu vertiefen.
Zum Schluss möchte ich etwas Persönliches teilen. Nach Jahren, in denen ich ständig von einem Event zum nächsten gesprungen bin, habe ich mir dieses Jahr zu Weihnachten ein Geschenk gemacht: Ich habe zusammen mit meiner Schwester ein Retreat geplant. In einer Zeit, die sonst oft von Hektik geprägt ist. Ich werde mir gemeinsam mit einer kleinen Gruppe diesen Raum schenken, um mich wieder mit mir selbst und anderen zu verbinden. Manchmal ist es wichtig, sich selbst diese Pause zu erlauben – und genau das mache ich jetzt.