Es ist jetzt zweieinhalb Jahre her, dass ich zusammenbrach und die Diagnose «Erschöpfungsdepression» alias «Burnout» gestellt bekam. Seitdem habe ich unzählige Stunden in Psychotherapie und die Auflösung meiner ungesunden Muster investiert. Ich war überzeugt, ich würde heute gewissenhaft Grenzen setzen, so wie es mir immer wieder eingebläut wurde. Bis sich die Ereignisse in den letzten Wochen überschlugen.

Zum ganz normalen Alltagswahnsinn als berufstätige Mutter eines Kleinkindes, das noch dazu gerade in den Chindgsi eintritt, kamen plötzlich private Konflikte, die ich nicht hatte kommen sehen. Als hätten sie sich abgesprochen, wurde ich von verschiedenen Menschen, die ich zwar persönlich kenne, zum Teil aber schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte, zur Schnecke gemacht. Sie wollten «nur mal was loswerden», weil «muss ja mal gesagt werden». 

Julia Panknin
Zum ganz normalen Alltagswahnsinn als berufstätige Mutter eines Kleinkindes, das noch dazu gerade in den Chindgsi eintritt, kamen plötzlich private Konflikte, die ich nicht hatte kommen sehen.

Beim ersten Angriff reagierte ich instinktiv, wie ich es als Kind gelernt hatte: Zu Kreuze kriechen, mich rechtfertigen, irgendwie versuchen, es wieder hinzubiegen, auch wenn ich die Vorwürfe nicht nachvollziehen konnte. Hauptsache, die Harmonie wird wiederhergestellt. Doch: Ich kassierte einen Korb. «Das wars für mich, ich habe keine Lust auf weitere Diskussionen!», hiess es. Autsch! Das Ohnmachtsgefühl, das einsetzt, wenn man nicht fähig ist, Konflikte aufzulösen und wieder «gemocht» zu werden, dürften die People Pleaser unter euch gut kennen. 

Mich belastete das in einer sowieso schon stressigen Phase zusätzlich. Ich lag abends wach, zerbrach mir den Kopf, analysierte die Vorwürfe, reflektierte mein Verhalten – und konnte mir das Ganze trotzdem nicht erklären. Irgendwann schnallte ich zum Glück, dass das Gedankenkreisen absoluter Nonsense ist. Weil die Person schon lange kein Teil meines Lebens mehr war und es mir deshalb schlicht egal sein konnte und sollte, wenn sie keine Lust auf mich hat.

Julia Panknin
«Wieso haben diese Menschen überhaupt das Gefühl, sie könnten so mit mir umgehen?»

Daraufhin nahm ich mir vor, künftig in einer ähnlichen Situation anders zu reagieren. Und schwupps! Als würde es mich testen wollen, gab mir das Universum sogleich die nächste Gelegenheit. Dieses Mal schrieb ich nicht zurück, sondern tippte einfach auf «Kontakt blockieren». 

Ein bisschen stolz erzählte ich einer Freundin davon. Sie gratulierte mir zu diesem (Fort-)Schritt – doch dann sagte sie etwas, das mich nicht mehr losliess: «Nur schade, dass die Person vermutlich gar nicht merkt, dass du sie blockiert hast.» Nach unserem Gespräch arbeitete dieser Satz weiter in mir und warf letztlich folgende Frage auf: «Wieso haben diese Menschen überhaupt das Gefühl, sie könnten so mit mir umgehen?» 

Zufällig stolperte ich dann auf Instagram über einen Post der deutschen Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl. Sie zählt darin die Gründe auf, weshalb andere Menschen «deine Grenzen überschreiten»: 

  • Du respektierst deine eigenen Grenzen nicht.
  • Du bist nicht konsequent mit deinen Grenzen.
  • Du bist ambivalent: Dein Kopf sagt «Nein», aber du sagst «Ja».
  • Du ziehst Menschen nicht in die Verantwortung für ihr Verhalten.
  • Du hast deine Grenzen nicht kommuniziert.
  • Du denkst, dass es reicht, deine Grenzen einmalig zu kommunizieren.

Der Groschen fiel sofort: Ja, ich habe in den letzten Monaten gelernt, Grenzen zu setzen, aber nur mir selbst! So hatte ich zwar akribisch darauf geachtet, mir nicht zu viele Termine in den Kalender zu packen, mir genug Me Time einzurichten, genug zu essen und zu schlafen. Das Tor zu meinem kleinen, achtsamen Paradies stand jedoch sperrangelweit offen. Jeder konnte einfach hereinspazieren und sein Häufchen auf meine Wiese machen! 

Freundlicherweise lieferte Stahl die Anleitung, wie sich das künftig verhindern liesse, in ihrem Post gleich mit: 

  • Kommuniziere deine Grenzen unmittelbar und direkt.
  • Verbalisiere deine Grenzen öfter als einmal, wenn nötig.
  • Äussere, was die Grenzüberschreitung dich fühlen lässt und was für ein Verhalten du dir stattdessen wünschst.
  • Kündige deine Konsequenzen an und setze diese dann auch um.

«Na, wenns sonst nichts ist …», dachte ich ein bisschen übermütig, deblockierte die Person und fing an, ihr eine Nachricht zu schreiben. Sachlich, klar und bestimmt. Es war jedoch krass, wie heftig mein Körper darauf reagierte. Als ich auf «Senden» klickte, zitterten meine Hände und mein Herz raste. Ich realisierte: Der People Pleaser in mir bebt vor Angst! Dabei geschah danach genau – nichts. Die Person reagierte nicht. Ich vermute, dass ich nie wieder etwas von ihr hören werde. Was vollkommen in Ordnung ist, weil ich kein Interesse daran habe, mich nochmals von ihr massregeln zu lassen. 

Julia Panknin
Das Tor zu meinem kleinen, achtsamen Paradies stand jedoch sperrangelweit offen. Jeder konnte einfach hereinspazieren und sein Häufchen auf meine Wiese machen!

Dieser Aha-Moment ist nun ein paar Wochen her. Seitdem bin ich fleissig am Üben. Quasi jeden Tag gibt es Situationen, beruflich wie privat, in denen ich mich frage: «Stimmt das so für mich?», und wenn die Antwort «Nein» lautet, kommuniziere ich das nun freundlich und direkt. Wenns sein muss, auch mehrmals und weniger freundlich. Mein Körper reagiert inzwischen nicht mehr. Und ich kann euch gar nicht sagen, wie befreiend und bestärkend sich das Ganze anfühlt!

Vielleicht gibt es solche unter euch, die gar nicht verstehen können, wovon ich rede. Weil sie glücklicherweise in ihrer Kindheit erfahren durften, dass «Nein» sagen in Ordnung ist und respektiert wird. Für alle anderen – und wir sind definitiv nicht wenige – habe ich diese Zeilen geschrieben. Weil ihr es auch könnt. Von People Pleaser zu People Pleaser wünsche ich euch: Seid mutig. Es lohnt sich.

Julia Panknin ist selbstständige Journalistin, Speakerin und Beraterin mit Fokus auf die Themen Parental Burnout und Vereinbarkeit von Kind und Karriere sowie Gründerin von mamibrennt.com. Die Münchnerin lebt seit 15 Jahren in der Nähe des Zürichsees und hat eine kleine Tochter, die sie 50:50 im Wechselmodell mit deren Vater betreut.