Viele Gebärende erleben in geburtshilflichen Einrichtungen auf der ganzen Welt einen geringschätzigen und missbräuchlichen Umgang. Dieser Umgang verstösst nicht nur gegen das Recht der Frauen auf eine respektvolle Versorgung, sondern kann darüber hinaus ihr Recht auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und das Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung verletzen.
Auch Worte können verletzen
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schliesst Demütigungen und verbale Beleidigungen ausdrücklich in die Definition von Gewalt in der Geburtshilfe mit ein.
Das zeigt auch eine Studie der Berner Fachhochschule aus dem Jahr 2020, bei denen sich mit 27 Prozent über ein Viertel der Frauen dazu äussert, dass sie unter der Geburt informellen Zwang erleben. Sie fühlten sich einseitig informiert, unter Druck gesetzt oder gar eingeschüchtert. Informeller Zwang findet aber auch statt, wenn der Gebärenden Angst gemacht wird, um sie zu einem Eingriff zu überreden oder zu einer Handlung zu manipulieren.
Solche Handlungen können Beleidigungen oder Beschimpfungen sein oder ein respektloser Umgang mit der Gebärenden. Psychische Gewalt ist schwerer erkennbar als physische, jedoch sind die Folgen daraus nicht weniger weitreichend:
«Im Spital dann der herzlose Empfang. Der Befehlston. Schliesslich die Hebamme, die sich mehrmals auf mich und mein Baby wirft und das Tuch unbeschreiblich unerträglich zuzieht. Die zwei Dammschnitte, der zweite unangekündigt. ‹Du musst …, sonst gibt es einen Kaiserschnitt, was gar nicht mehr geht.› Die Drohung und Abschätzung im Tonfall.» (Erfahrungsbericht)
Wie physische Gewalt ausgeübt wird
Physische Gewalt beinhaltet klare körperliche Grenzüberschreitungen und Gewalt, wie beispielsweise ein unsachgemäss ausgeführter Kristeller-Handgriff, unnötiges Einleiten oder Beschleunigen der Geburt mit künstlichen Wehenmitteln, zu grosse Schnittführung, Eingriffe ohne ausreichende Betäubung, aber auch die Gebärende an ihrer Bewegungsfreiheit hindern. Wenn man sich vor Augen führt, dass jede fünfte Frau in der Schweiz von sexueller Gewalt betroffen ist, ist es nachvollziehbar, dass diese erneute Form der Gewalt bei den Betroffenen eine Retraumatisierung auslösen kann.
Gründe für Gewalt, Zwang und Missbrauch im Kontext der Geburt
Es ist anzumerken, dass in der Geburtshilfe viele Grenzüberschreitungen nicht vorsätzlich passieren, sondern eine Folge verschiedener Faktoren sind. Die Probleme im Gesundheitswesen sind bekannt und machen auch vor dem Gebärsaal nicht Halt: So führen der Mangel an Zeit zu festgelegten Schemata im Geburtsprozess, obwohl bei jeder Frau individuell ist und keinem vordefinierten Zeitplan folgt. Weiter müssen Hebammen oft mehrere Frauen gleichzeitig betreuen, weshalb die so wichtige 1:1-Betreuung nicht stattfinden kann. Finanzielle Interessen und Gewinnorientierung spielen ebenfalls eine Rolle. Für die Gabe eines Medikamentes kann ein Beitrag in Rechnung gestellt werden, für die Massage einer Hebamme hingegen nicht. Eine operative Geburt ist wirtschaftlich gesehen zudem lukrativer und, im Gegensatz zur spontanen Geburt, planbar. Deshalb macht es bei der Auswahl der Klinik auch durchaus Sinn zu fragen, wie hoch die Kaiserschnittrate ist. Allerdings muss dabei auch berücksichtigt werden, dass ein Unispital allenfalls aufgrund der höheren Anzahl von Risikoschwangerschaften mehr Kaiserschnitte durchführt.
Angst spielt in dieser Thematik ebenfalls eine Rolle. Sei es die Angst des geburtshilflichen Personals bezüglich möglicher Konsequenzen des Handelns oder aber der grundlegende Mangel von Vertrauen in den eigenen Körper, was bei vielen Frauen heutzutage der Fall ist. Wir verlassen uns immer mehr auf den Einsatz von Technologien vor und während der Geburt. Das schafft einerseits zwar eine gewisse Sicherheit, hat aber nicht selten auch zur Folge, dass daraus weitere Massnahmen erfolgen, die nicht immer nötig wären. Es kommt weiter zu strukturellen Differenzen, die sich negativ auf die Gebärende auswiren, oder es wird generell Macht zu Lasten der Frau demonstriert.
Folgen einer gewalttätigen Geburt für Familie und Kinder
Über die Folgen für die Familien gibt es wenig Forschung, doch deswegen sind die Folgen nicht weniger weitreichend. Die psychischen Konsequenzen reichen von Bindungsstörungen zum Kind über Probleme in der Paarbeziehung bis hin zu schweren Folgen wie (postpartalen) Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Traumata und Angststörungen. Nicht selten erzählen uns Frauen noch von ihren Erfahrungen, die viele Jahre zurückliegen und über die sie mit niemandem sprechen konnten, weil ihre Empfindungen nicht ernst genommen wurden.
Auch auf körperlicher Ebene können Folgen entstehen, wie Narbenheilungsstörungen, Gebärmuttersenkungen, Labien- oder Dammrisse, Verletzungen des Kindes oder auch sexuelle Probleme.
«Mein Kaiserschnitt ohne ausreichende Betäubung hat mich sehr stark traumatisiert. Auch nachdem sie das Kind aus dem Bauch geholt hatten, bekam ich keine Vollnarkose mit den Worten: ‹Die Schmerzen halten Sie schon noch aus.› Vor lauter Erschöpfung und Schmerzen wurde ich ohnmächtig. Knapp zwei Jahre später räumte die Anästhesie Fehler ein. Das half mir, alles aufzuarbeiten.» (Erfahrungsbericht)
Wie könnte eine mögliche Lösung aussehen?
Grundsätzlich ist anzumerken, dass es keine einfache Lösung in dieser komplexen Thematik gibt. Es erfordert Massnahmen in der Politik, in den Institutionen, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene. Das bedeutet, dass wir nicht länger tolerieren, wie mit uns umgegangen wird, aber auch hinreichende Aufklärung bereits in der Pubertät, damit die natürlichen Geburtsprozesse wieder besser verstanden werden und die gängige Meinung, dass eine Geburt einfach wehtun muss, nicht mehr vorherrscht.
Klar ist jedoch auch, dass es einigen Fachpersonen in der Geburtshilfe aus verschiedenen Gründen an Empathie fehlt. Eine Begleitung der Gebärenden auf Augenhöhe, bei der auch der Partner einbezogen wird, ist eine wichtige Voraussetzung. Man sollte immer im Hinterkopf haben, dass die Frau bereits eine Vorgeschichte haben kann. Das Fachpersonal soll intern die Möglichkeit zur Supervision und Selbstreflexion bekommen, und wenn Missstände bestehen, soll es darauf hinweisen können, ohne sich vor möglichen Konsequenzen zu fürchten. Falls im Arbeitsprozess eine schwierige Situation nicht vermieden oder verhindert werden kann, hilft es den Betroffenen, wenn im Nachhinein ein klärendes Gespräch stattfindet.
Erfreulich hingegen ist, dass das Problem in der Geburtshilfe nun thematisiert wird und beispielsweise hebammengeleitete Geburtshilfe gefördert wird oder mehr Geburtshäuser entstehen. Wir wünschen uns, dass in wenigen Jahren die Empfehlungen der WHO zu einer positiven Geburtserfahrung Normalität werden und die oben erwähnten Faktoren diesen Prozess nicht weiter beeinträchtigen.
Monika Di Benedetto ist Präsidentin des Vereins Gewaltfreie Geburtshilfe, Mutter von zwei Kindern, Marketingfachfrau sowie Doula (nicht-medizinische Geburtsbegleiterin).