Ich bin Elvira, 40, Unternehmerin und spezialisiert auf das Gesundheitswesen. In meinem Job arbeite ich unter anderem direkt mit führenden Expertinnen aus der Medizin zusammen, wie etwa Petra Stute. Sie ist Leitende Ärztin für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Frauenklinik am Inselspital in Bern und leitet das dortige Menopausenzentrum. Dank solchen Kontakten weiss ich sehr viel über die Wechseljahre und komme überhaupt auf die Idee, meine plötzlich auftretende Hitze könnte hormonbedingt sein.
Ich weiss alles über die Symptome: Ab wann sie auftreten können, in welcher Form sie sich äussern, wie viel Prozent der Frauen davon betroffen sind, wie viele Symptome es gibt und so weiter. Das Problem dabei ist – nein, ich und meine Panik sind es nicht. Also, das Problem ist: Über dieses Wissen verfügen viel zu wenig Frauen. Obwohl 2030 ein Viertel der Weltbevölkerung in den Wechseljahren sein wird, sind die Wechseljahre vielerorts ein gesellschaftliches Tabuthema. Die Menopause-Reise wird oft missverstanden, was viele Frauen dazu bringt, ohne angemessene Unterstützung still zu leiden. Und das teilweise über Jahre.
Gesundheit von Männern für Männer
«Frauen leben seit Generationen in einem Gesundheitssystem, das von Männern für Männer geschaffen wurde.» Das hält das britische Parlament in seinem Report «Women’s Health Strategy 2021» fest. Das bedeutet: 51 Prozent der Bevölkerung sind heute nicht ausreichend erforscht. Dazu kommt, dass uns Frauen in Gesundheitsfragen vielfach das Wissen oder die richtige Anlaufstelle fehlen – auch wenn es um die Wechseljahre geht.
Darum an dieser Stelle erst einmal ein paar wichtige Fakten und Begriffe rund um die Wechseljahre und die Menopause:
Die sogenannte menopausale Übergangsphase oder Perimenopause entspricht den eigentlichen Wechseljahren. Sie beginnen Ende 30, Anfang 40 und ziehen sich über vier bis acht Jahre hin. In dieser Zeit reduzieren die Eierstöcke nach und nach die Produktion der Hormone Östrogen und Progesteron. Diese hormonellen Schwankungen können über 30 Symptome auslösen. Zu den häufigsten gehören Hitzewallungen, Durchschlafstörung, frühes Erwachen, psychische und kognitive Beschwerden wie Gedächtnisstörungen, Zyklusstörung, Gewichtszunahme, Libidomangel.
Die Menopause selbst ist der eigentliche Abschluss der Wechseljahre. Der Begriff «Menopause» steht für die letzte spontane Regelblutung im Leben einer Frau. Frau erkennt diese meist erst rückblickend, wenn ein Jahr keine Menstruation mehr aufgetreten ist und es keinen anderen Erklärungsgrund dafür gibt (etwa eine Gebärmutterentfernung). Das Durchschnittsalter der Menopause liegt bei 51 Jahren. Danach kommt die Postmenopause. Sie dauert bis zum Tod.
Das System kann wieder ins Lot gebracht werden
In der Schweiz leben 1,6 Millionen Frauen im Alter zwischen 40 und 65 Jahren. Sie alle werden früher oder später mit den Wechseljahren konfrontiert. Das Ausmass der Symptome kann sehr unterschiedlich sein. Unabhängig davon, wie sich die Wechseljahre zeigen, ist die gute Nachricht: Alle Symptome, die uns nerven, lassen sich behandeln. Wer die Biochemie kennt, weiss, an welchen Stellschrauben man drehen kann, um das System wieder (einigermassen) ins Lot zu bringen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die Therapie der ersten Wahl ist international die Hormonersatztherapie (HRT). Daneben gibt es aber auch pflanzliche Therapien, Akupunktur und demnächst ein hormonfreies Präparat, das genau dort ansetzt, wo beispielsweise Hitzewallungen entstehen, nämlich im Gehirn.
Menoqueen statt Menopain
Damit eine Behandlung aber möglich ist, braucht es ein Bewusstsein für das Thema. Genau das fehlt heute oft, wie Prof. Dr. Petra Stute weiss: «Eine der grössten Herausforderungen sind fehlende Informationen und alte Glaubenssätze, wie etwa: Das betrifft alle anderen Frauen, aber doch nicht mich. Die Wechseljahre beginnen nach 50. Hormone verursachen Brustkrebs. Hormone machen dick.» Obwohl die meisten Frauen in einer aufgeklärten Umgebung aufgewachsen seien, fehle häufig das Wissen über die eigenen Hormone. «Viele Frauen sind überrascht, dass sich ihre Hormone Östrogen und Progesteron Ende 30, Anfang 40 verändern, zu einem Zeitpunkt, an dem zahlreiche Paare erstmals an Familienplanung denken. Da ist das Thema Wechseljahre überhaupt nicht präsent. Es ist dann oftmals ein Schock», sagt Stute. Erste Wechseljahrbeschwerden werden deshalb häufig gar nicht als solche erkannt, was den Leidensweg verlängern kann.
Wer sich doch mit dem Thema oder gewissen Symptomen befasst, sucht häufig Rat im Internet, in Zeitschriften oder bei Freundinnen statt bei Ärzt:innen. Eine Studie, an der Petra Stute mitgearbeitet hat, zeigt, dass im Schnitt 1,5 Jahre vergehen zwischen dem ersten Auftreten der Symptome und der Verschreibung einer Therapie. Die Gründe dafür sind unter anderem ein mangelndes Zuordnen der Symptome, Angst vor bestimmten Therapien, «Ärztehopping» und die Hoffnung, dass alles bald überstanden sein wird. «Tatsache ist aber, dass zum Beispiel Hitzewallungen und Schweissausbrüche während etwa 7,5 Jahren auftreten können. Einige Frauen haben auch während 20 Jahren Hitzewallungen», erklärt die Expertin und betont, dass Hitzewallungen nicht nur eine Befindlichkeitsstörung seien, über die man sich gerne auch mal lustig mache: «Wir wissen inzwischen, dass Hitzewallungen ein Risikofaktor für Herzkreislauferkrankungen sind, die nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen von Frauen sind.»
Karrierekiller Wechseljahre?
Die Wechseljahre haben für uns Frauen nicht nur gesundheitliche Konsequenzen. Die Symptome können auch unsere Karriere beeinflussen. Für viele Frauen fällt der Höhepunkt ihrer Karriere mit den Wechseljahren zusammen. Verschiedene Studien zeigen, dass ein Viertel der Frauen aufgrund ihrer menopausalen Symptome über einen Jobwechsel nachdenkt. In Grossbritannien beispielsweise gehen durch die Auswirkungen der Wechseljahre jährlich rund 14 Millionen Arbeitsstunden der weiblichen Beschäftigten verloren. Forschungen von McKinsey & Company zeigen, dass weibliche Führungskräfte Unternehmen in noch nie dagewesenem Masse verlassen.
Gleichzeitig sind Frauen in den Wechseljahren die am schnellsten wachsende demografische Gruppe in der Arbeitswelt. Gerade darum ist es entscheidend, ihre Herausforderungen anzuerkennen und unterstützende und inklusive Arbeitsumgebungen zu schaffen, die ihren Bedürfnissen gerecht werden. Zahlreiche Unternehmen verschliessen jedoch ihre Augen vor der hormonellen Realität. Das Thema ist im betrieblichen Gesundheitsmanagement noch kaum präsent. Ein Luxus, den wir uns zu Zeiten des Fachkräftemangels nicht mehr leisten können.
Close this Gap
Was können wir also tun? Nun, es gibt verschiedenen Handlungsebenen. Für uns Frauen sind folgende Punkte wichtig:
- Nimm dich selbst ernst. Schieb körperliche, mentale und emotionale Symptome nicht einfach weg, vertusche sie nicht oder leide nicht still. Wenn du solche Symptome bemerkst, such dir Hilfe und ärztlichen Rat.
- Glaub nicht alles, was du im Internet liest, sondern nimm deine Gesundheit selbst in die Hand und suche Expert:innen auf.
- Die Wechseljahre sind ein idealer Zeitpunkt, deine Gesundheit und deine Wünsche in den Fokus zu rücken. Fordere das für dich ein.
- Hast du Lust auf eine berufliche Veränderung? Die Wechseljahre können eine Gelegenheit sein, über die eigenen beruflichen Ziele und Prioritäten nachzudenken.
Für die Arbeitgeber:innen:
- Macht auf eure positive Einstellung zu den Wechseljahren am Arbeitsplatz aufmerksam, um zu zeigen, dass ihr das Thema ernst nehmt, und um eure Mitarbeitenden zu ermutigen, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Für die Gesellschaft:
- Lasst uns einen offenen und lockeren Umgang mit dem Thema finden, sodass wir Frauen stärken, statt sie leiden zu lassen.
Elvira Häusler ist Unternehmerin im Gesundheitswesen, sie ist Co-Founderin und Vize-Präsidentin der Swiss Association for Value-based Healthcare. Sie ist als Trainerin für Mindfulness in Organisationen tätig und ist ebenfalls Gastlektorin im Studiengang «International Health & Social Management Master» am Management Center Innsbruck.
Prof. Dr. med. Petra Stute ist stellvertretende Chefärztin und Leitende Ärztin der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, der Frauenklinik am Inselspital Bern. Sie leitet zudem das Menopausenzentrum des Inselspitals.