In dieser Rubrik fragen wir Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.
Du bist CEO und Präsident der Globetrotter Group, wie bringst Du Beruf und Familie unter den Hut?
(lacht) Hm, ja. Ich nahm mir vor 24 Jahren vor, nur 70% zu arbeiten wenn ich einmal Vater werden sollte. Aber ehrlich, als es dann soweit war, habe ich das nur etwa ein halbes Jahr lang durchgezogen. Ich hatte mit unserer Firma viel um die Ohren. Wir wollten sie neu positionieren. Dazu kam: meine Frau wollte sich Vollzeit um die Kinder kümmern. Aber die Wochenenden habe ich mir für die Kinder reserviert. Und wir waren jeweils sieben Wochen pro Jahr mit ihnen unterwegs - und nicht in Mallorca, sondern in Botswana, Kenia oder Nepal. Das ist natürlich ein Glücksfall, wenn sich Berufliches und Familie so vereinen lässt.
Das Reisen, das war ein wichtiger Teil meiner Familienzeit. Trotzdem - für die Kinderbetreuung im Alltag muss ich mir ein schlechtes Zeugnis ausstellen: Note 3, ungenügend.
Für die Kinderbetreuung im Alltag muss ich mir ein schlechtes Zeugnis ausstellen: Note 3, ungenügend.
Hattest du als Vater nie ein schlechtes Gewissen, etwas zu verpassen?
Doch. Sehr. Wir Männer - natürlich kann ich hier nicht für alle sprechen, aber für einen grossen Teil - müssen uns immer beweisen, wollen immer stark sein. Wie Bullen. Das habe ich im Beruf ausgelebt und exzessiv beim Sport. Dieses Kompetitive, dieses sich mit anderen messen, gegen andere antreten wollen, das beisst sich mit dem Vatersein. Liebe und Emotionen hat jeder Mann, aber ich war da schlicht überfordert mit diesen Gefühlen und dem Umgang mit ihnen.
In der Wirtschaftswelt erzählen wir uns gegenseitig, was für Helden wir sind. Aber über Kinderbetreuung sprechen wir nie.
Tauscht ihr unter CEOs auch Vätertipps aus?
(Pause, hilfloses Kopfschütteln) Nein, in Männerrunden thematisiert man dies meistens nicht. Wir sprechen über alles, Fussball, Corona, Politik, Geld, Business, aber Kinderbetreuung ist sehr selten ein Thema. In der Wirtschaftswelt erzählen wir uns lieber gegenseitig, was wir für Helden sind, wie gut wir verhandeln, vom Geschäft und ob wir unsere Umsatzziele, KPIs erreicht haben. Unter Führungskräften sprechen wir eigentlich fast nie über Kinderbetreuung.
Gar nie?
Interessant ist, dass ich mit Führungskräften auch auf Reisen war und siehe da, fernab von der Familie, da sprechen sie dann von der Familie. Männer können sehr emotional, aber auch furchtbar wehleidig sein. Nach ein paar Tagen vermissen wir die Liebsten so sehr. Aber kaum ist man zuhause, tauchen wir wieder ab und stürzen uns wieder in die Arbeit. Ich frage mich schon, ob unser Sorge-Gen unterentwickelt ist. Oder wir kennen es nicht anders. Mein Vater arbeitete von früh bis spät, um die Familie zu ernähren. Ich bin sehr bescheiden aufgewachsen, mehrheitlich mit meiner Mutter und den Brüdern zuhause.
Da sind die Herren dann lieber auf dem Golfplatz als mit den Kindern auf einer Velo-Tour.
Ist dir der Job wichtiger als die Kinder?
Nein. Die Kinder sind vom Herz und Gefühl her das Wichtigste überhaupt. Auch wir empfinden Liebe und Nähe zu einem Kind. Aber wir leben es im Alltag nicht aus. Unser Naturell oder sozialisiertes Naturell hält uns oft davon ab. Da sind die Herren dann lieber auf dem Golfplatz als mit den Kindern auf einer Velo-Tour. Sie könnten die Kinder ja wenigstens mit auf den Golfplatz nehmen (lacht). Ich spiele übrigens kein Golf. Oder sie fahren Harley statt mit den Kindern in den Wald zu gehen. Man ist im Leben leider immer erst hinterher klüger. Erst wenn wir es nicht mehr haben, beginnen wir zu bereuen.
Fragst du dich nie, ob du das alles kannst?
Doch. Auch. Und oft. Bestes Beispiel waren die letzten 18 Monaten. Ich habe mich so oft überfordert gefühlt. Ungewissheit und Stress, damit kann der Mensch schlecht umgehen, Wie manage ich diese Pandemie? Können wir dieses Unternehmen aus der Krise führen? Wir hatten Umsatzeinbussen von bis zu 90% und wir sind mittlerweile 160 Mitarbeiter weniger in der Gruppe. Das geht nicht spurlos an einem vorüber. Und vor Corona war es die Digitalisierung der Reisebranche. Es ist oft schwierig, richtig zu entscheiden oder nur schon einen Mittelweg zu finden. Oft kommen die Selbstzweifel auch erst abends im Bett. Es soll mir niemand sagen - sei es auch der Präsident der USA - er sei nie überfordert mit allem. Jeder über 50 hat noch viel mehr Mühe mit dem Scheitern. Diese Null-Fehlertoleranz-Kultur ist ein Problem.
Es soll mir niemand sagen - sei es auch der Präsident der USA - er sei nie überfordert mit allem.
Wie führst du denn eigentlich, mit Gefühl?
Ja, ich sage auch in meinen Vorträgen: Excel weg und auf den Bauch hören. Klar sind Excel-Tabellen und Daten als Backup gut. Und ich mag es, kontrolliert und strukturiert vorzugehen, aber Entscheidungen treffe ich sehr intuitiv. Letzten Sommer haben wir mitten in der grössten Tourismus-Krise wieder unsere Firma zurückgekauft. Die Diethelm Keller Gruppe wollte sich aus dem Tourismus zurückziehen. Da musste ich einfach nach Gefühl handeln und meine Leidenschaft ist die Reisebranche. Das fanden viele halsbrecherisch. Es hat sich trotzdem gelohnt: wir haben neue Investoren gefunden.
Kennst Du eigentlich Lohnungleichheit?
Ich habe das nie erlebt. Bei mir war das weder auf der untersten Stufe als Reiseführer noch später in der Geschäftsleitung ein Thema. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du als Frau in der gleichen Funktion weniger verdienst. Das muss aufhören.
Wie gehst du mit deiner Schönheit um?
(langes Schweigen, dann Husten) Ich kann ja für mein Aussehen nichts. Aber ja, Aussehen hilft vielleicht schon etwas. Doch das schönste Gesicht bringt nichts, wenn dahinter die Seele kalt ist. Wichtiger ist, dass Du offen bist und neugierig.
Wie hat dein gutes Aussehen deine Karriere beeinflusst?
(lacht) Gute Frage. Ich glaube Null. Kann ich mir nicht vorstellen. Hm, aber für Deals in anderen Ländern hat es allenfalls geholfen. Aber vielleicht lag es auch daran, dass ich extrovertiert bin und gern auf Menschen zugehe.
Ist das wirklich ehrlich?
Okay, ich spüre eigentlich eher an den Reaktionen der Männer, dass ich zwischendurch gut ankomme bei den Frauen. Stimmt, ich werde sogar oft reduziert auf das. Da ist vielleicht eine gewisse Eifersucht und ein Gockeln (lacht). Ich hatte beispielsweise coole Interviews mit Journalistinnen. Männer warfen mir danach vor, dass ich mit diesen Medienschaffenden im Bett war. Was hattest Du mit der? Das ist so despektierlich. Wieder diese typischen Biergespräche.
Dieses Uniformierte liegt mir nicht. Ich wurde aber so oft angefeindet für diese Krawattenrebellion.
Auf was achtest du bei deiner Kleidung?
(grinst) Ach immer gleich, weisses Hemd, Jeans, braune Schuhe…Ich verweigere Krawatte seit ewig. Auch an Gala-Dinners. Nie habe ich eine getragen. Vor vielen Jahren hatten wir ein Treffen mit dem Bundesrat und man hatte offiziell nur Zugang mit Krawatte. Da haben sie mir den Einlass fast verwehrt. Da habe ich gesagt: gut, dann bleibe ich eben draussen. Dieses Uniformierte liegt mir nicht. Ich wurde früher so oft angefeindet für diese Krawattenrebellion. Egal, ich habe es durchgezogen.
Vielen Männern geben Krawatten anscheinend Sicherheit und Status. Soldaten mögen ja auch ihre Uniformen.
Es freut mich, wie sich das verändert hat für jüngere Männer. Aber machen wir uns nichts vor: diese Kleider-Codes existieren immer noch, gerade in der Finanzwelt. Warum? Die müssen sich wohl halten an diesem Stängeli (lacht). Vielen Männern gibt das anscheinend Sicherheit und Status. Soldaten mögen ja auch ihre Uniformen.
Eine Frisur hat viel mit Freigeist zu tun. Unterschätze nie eine Frisur.
Auf was achtest du bei deiner Frisur?
Das meinst du jetzt nicht ernsthaft? Die Leute fragen mich eher: Was ist dein Coiffeur von Beruf? Hinter meiner Frisur steckt aber in der Tat eine tragische Geschichte. Als Junge bin ich immer gezwungen worden, mein Haar kurz zu schneiden. Auch noch mit 12 Jahren. Da waren aber diese coolen Beatles und Rolling Stones. Da bin ich abgehauen und habe zwei Tage im Wald verbracht, wegen dieses Streits um den Coiffeurbesuch. Meine Frisur war auch schon immer Rebellionsgeste. Jetzt im Alter habe ich einfach Freude, dass ich überhaupt noch Haare habe. Eine Frisur hat viel mit Freigeist zu tun. Unterschätze nie eine Frisur.
Werden wir uns merken. Danke für dieses Interview.