An einem Tag sind wir brat, am nächsten demure. Die populären Social-Media-Trends dieses  Sommers geben klare Bilder vor, wie Frauen zu sein haben – und sie tauchen sogar im US-Wahlkampf auf. Was hat es mit diesen TikTok-Trends auf sich? Und wie feministisch sind die schubladisierenden und gegensätzlichen Ansprüche an Frauen?

Der englische Begriff «brat» ist negativ konnotiert. Er bedeutet so viel wie jung und verzogen, Göre. Das Wort wurde traditionell vor allem für Rotzbengel, also Buben, verwendet. Anfang dieses Sommers verkündete die Sängerin Charli XCX in den sozialen Medien den Brat Summer, um ihr neues Album zu promoten. Das war die Geburtsstunde des Brat-Girl-Summers. Junge Frauen sollen messy sein, mit verschmiertem Eyeliner, ohne BH und in einem rockigen Street-Style-Look inspiriert von den 2000ern. Sie sollen ausgelassen feiern, dürfen zu viel trinken, mal das Falsche sagen und Spass haben. Kurz: ein Ausbruch aus dem gesellschaftlichen Leistungsdruck, eine Befreiung von Scham.

Amélie Galladé
Social-Media-Trends sind feministisch, wenn sie uns empowern. Bewegungen, die Frauen etwas vorschreiben wollen, lösen bei mir ein ungutes Gefühl aus.

Kaum war der Brat-Summer so richtig angelaufen, trat ein gehyptes Video auch schon eine Gegenbewegung los: Die amerikanische Content Creator Jools Lebron ging mit dem Sound «very demure, very mindful» viral. In ihren Videos zeigt Lebron, wie man alltägliche Aufgaben wie Arbeiten, Wäsche waschen und Deo auftragen in «demure» erledigt. Also achtsam, zurückhaltend und rücksichtsvoll. 

Die Kreatorin meint «demure» ironisch und macht sich damit über stereotype Ideen von Weiblichkeit lustig. Nur: Diese Ironie wollen nicht alle verstehen. Viele in den sozialen Medien nehmen die Aussagen für bare Münze. Kreator:innen sind besorgt, dass der «demure»-Trend patriarchale Rollenbilder manifestiert. 

Beide Trends der zeitgenössischen Popkultur stellen Ansprüche, wie Frauen zu sein haben – was sie tun, wie sie sich kleiden, was sie essen und machen sollen. Die meisten jungen Frauen aus der Gen Z verbringen mehrere Stunden täglich auf Social Media. Selbst wenn nicht alles ernst gemeint ist, bleibt von den konsumierten Videos etwas hängen. Auch ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich in Alltagssituationen über etwas nachdenke, das ich unbewusst in einem Reel aufgeschnappt habe. Da sich die aktuellen Trends vorwiegend an Frauen richten, stelle ich mir die Frage: Sind diese Social-Media-Trends feministisch?

Für mich ist Feminismus nichts anderes als die Gleichberechtigung und Gleichstellung aller Menschen – unabhängig vom Geschlecht. Social-Media-Trends sind feministisch, wenn sie uns empowern, inspirieren und motivieren. Bewegungen, die uns Frauen etwas vorschreiben wollen, lösen bei mir erstmal ein ungutes Gefühl in der Magengegend aus. Und doch denke ich, dass gewisse Social-Media-Trends zum Feminismus beitragen können. Ich selbst habe vieles über Feminismus im Internet gelernt und würde feministische Influencer:innen nicht missen wollen. 

Als junge Frau fühle ich mich vom Brat-Trend angesprochen. Endlich mal ein Trend, der  gegen den Perfektionsdruck in den sozialen Medien rebelliert und zur Selbstbestimmung aufruft. Allerdings soll daraus kein weiterer Druck entstehen, aus allem ausbrechen und plötzlich laut und rebellisch sein zu müssen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Befreiung und neuem Korsett.

Amélie Galladé
Als junge Frau fühle ich mich vom Brat-Trend angesprochen. Endlich mal ein Trend, der gegen den Perfektionsdruck rebelliert.

Bei «demure» sehe ich das mit dem Feminismus kritisch. Die Videos greifen traditionelle Frauenbilder auf – Ironie hin oder her –  und zementieren diese. In den meisten Videos wird nicht klar, dass sie satirisch gemeint sind. Und so bleibt davon nichts anderes als eine Anleitung dazu, wie wir Frauen aus konservativer Sicht möglichst brav, ruhig und rücksichtsvoll auftreten. Auf keinen Fall auffallen, zu laut sein oder zu viel Raum einnehmen, lautet die Botschaft. 

Das sind genau jene Eigenschaften, die das Patriarchat seit Jahrhunderten von uns Frauen verlangt und wogegen der Feminismus ankämpft. Respektvolles Verhalten ist wichtig, dazu gehört aber auch der Respekt sich selbst gegenüber. Werden wir Frauen dazu aufgerufen, es allen recht machen zu müssen, unterdrücken wir die eigenen Bedürfnisse und uns selbst. Dieses People-Pleasing bringt uns nicht weiter. Bevor wir uns um andere kümmern, müssen wir zuerst zu uns selbst schauen. Das ist Feminismus und die Eigenverantwortung jedes Individuums in unserer Gesellschaft.

Amélie Galladé
«Demure» ist nichts anderes als eine Anleitung dazu, wie wir Frauen aus konservativer Sicht möglichst brav, ruhig und rücksichtsvoll auftreten.

Ich fühle die Befreiung aus patriarchalen Rollenvorstellungen beim Brat-Trend. Demure hingegen engt mich ein. Ich möchte mich nur von Trends beeinflussen lassen, die mich bestärken. Deshalb habe ich mich entschieden, brat zu feiern und demure zu ignorieren. 

Mein Rat an dich: Konsumiere Inhalte in den sozialen Medien bewusst und frage dich: Von wem kommt diese Botschaft? Was ist die Absicht dahinter? Wie fühle ich mich damit? Lass dir nichts von Online-Bewegungen vorschreiben. Was «in» ist, ändert sich sowieso alle paar Monate. Mach das, was dein Herz begehrt, trag die Kleidung, die dir gefällt, und lebe so, wie es sich für dich gut anfühlt. Und entscheide selbst, welche Rolle Trends dabei spielen.

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