Elektronische Musik ist eine der populärsten Musikrichtungen der Welt: Millionen von Menschen tanzen zu elektronischen Beats im Club, Tausende pilgern Jahr um Jahr an die einschlägigen Festivals. Allein in die Kassen Berlins – der Techno-Hauptstadt von Europa – spült der Clubtourismus jährlich 1,48 Milliarden Euro. Dazu, wie dieser Kuchen aber konkret verteilt wird, existieren bis heute keine Zahlen – wie so oft, wenn es um elektronische Musik geht. Die Branche setzt zwar sehr viel Geld um. Wem es zugutekommt, wird aber bisher erstaunlich wenig erforscht. Schade. Ohne konkrete Zahlen lässt sich Geschlechterdiskriminierung weder besprechen noch aus der Welt schaffen.
Aus Studien, die Geschlechterdiversität in der Kulturbranche allgemein untersuchen, wissen wir, dass Frauen dort unterrepräsentiert sind – und je einflussreicher die Position, umso weniger ist sie von Frauen besetzt. Es ist zumindest anzunehmen, dass dies auch für die elektronische Musikszene gilt. Mir fällt in Zürich beispielsweise keine einzige Clubbesitzerin ein. In Berlin, wo Vielfalt schon viel länger ein Thema ist, an dem beispielsweise auch staatliche Kulturförderung festgemacht wird, dürfte es ein bisschen besser aussehen. Dennoch wage ich zu bezweifeln, dass Frauen und Männer in der Branche gleichermassen am Profit von Techno beteiligt sind – von anderen Minderheiten, wie zum Beispiel People of Color, ganz zu schweigen.
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Punkto Gagen ist die Situation ganz ähnlich: Als DJ kann man ordentlich Geld machen – Spitzenverdiener wie Calvin Harris oder David Guetta verdienen bis zu 200 Millionen Dollar im Jahr. Frauen und andere Minoritäten verdienen nur einen Bruchteil davon. Aus einer der wenigen Studien, die den Gender Pay Gap im DJ-Beruf untersucht, geht hervor, dass weibliche DJs 38 Cent verdienen, wenn ihre männlichen Kollegen einen Dollar machen. Das ist ein Gap von über 60 Prozent! In den Top Ten der bestverdienenden DJs ist folgerichtig auch keine einzige Frau vertreten.
Und damit wären wir beim Thema Repräsentation. Wer schon einmal einen Technoclub besucht hat, weiss, dass im Publikum die Geschlechterverhältnisse ausgeglichen sind, oder Ausgeglichenheit zumindest angestrebt wird. In welchen Club kommen grosse Männergruppen ohne weibliche Begleitung schon rein? Wohl nirgends. Demgegenüber sind Frauen auf der anderen Seite – dem Line-up respektive hinter den Decks – noch immer untervertreten. Zwar ist der Anteil der Frauen und non-binären Künstler:innen auf Festivals in den letzten Jahren gestiegen, ihr Anteil beträgt aber auch 2022 noch immer weniger als 30 Prozent. Dies geht aus einer Studie hervor, die das Netzwerk female:pressure alle zwei Jahre veröffentlicht.
Untersuchungen, die zusätzlich zum Faktor «Geschlecht» auch andere Merkmale wie beispielsweise die Hautfarbe von Macher:innen elektronischer Musik mit einberechnen, gibt es noch weniger. Wer sich mit elektronischer Musik einigermassen auskennt, weiss aber, dass Women of Color oder non-binäre Menschen einen beinahe unsichtbarer Strich im Diagramm darstellen.
Dabei hat es sie immer gegeben, die Frauen im Techno: Von der US-amerikanischen Komponistin und Entwicklerin elektronischer Instrumente Laurie Anderson über die Deutsche DJ und Labelbetreiberin Monika Kruse oder die Frauenband Chicks on Speed, welche die deutsche elektronische Musik in den Nullerjahren prägte, waren Frauen schon immer Teil der Szene. Oftmals sind sie jedoch weniger sichtbar als ihre männlichen Pendants – auch heute noch.
Gründe für dieses Ungleichgewicht gibt es viele: Auf weiblichen DJs und Produzentinnen lastet ein viel höherer Performance-Druck als auf Männern. Sind sie gut, sind sie gut «für eine Frau», sind sie schlecht, sind alle Frauen schlecht. Sie werden seltener gebucht, und wenn, dann häufig an sogenannte «Ladies Nights» oder mit der Bemerkung, es brauche auf dem Line-up noch eine Frau. Frauen profitieren weniger von klassischen Netzwerkstrukturen, werden weniger gefördert und medial oft ganz anders behandelt als Männer – häufig eben in erster Linie als Frau und erst in zweiter Linie als Künstlerin. Kurz: Frauen in der elektronischen Musikszene haben eine andere Ausgangslage als ihre männlichen Pendants, eine andere Perspektive und andere Geschichten. Ihre Geschichten werden viel zu wenig erzählt – und das wollte ich endlich ändern!
In meiner Doku-Reihe «Call me DJ!» (der Titel ist übrigens eine Anspielung auf der Unwort «DJane» – dazu habe ich hier bereits einmal eine Kolumne geschrieben) erzähle ich Geschichten aus dem bunten, glitzernden und manchmal nachtschwarzen Universum der elektronischen Musik – und zwar aus weiblicher Perspektive. Wie lebt es sich als Frau im Rampenlicht? Wie entsteht neue Musik? Wer verdient eigentlich Geld mit elektronischer Musik? Lässt sich der Beruf DJ mit einer eigenen Familie vereinbaren? Und wie viel sexualisierte Gewalt erleben weibliche DJs bei der Ausübung ihres Berufs?
«Call me DJ!» ist ab dem 26. Oktober in der ARD Mediathek zu sehen.
Und ich brauche jetzt mal eine Pause vom Techno.