Traumberuf Journalist:in? Dieses Bild bröckelt. Stattdessen folgt Kahlschlag auf Kahlschlag, und zwar bei fast allen Schweizer Medienhäusern. Am Montag gab SRF bekannt, dass 75 Vollzeitstellen abgebaut werden. Es ist nur das jüngste Beispiel in einem annus horribilis für die hiesige Medienbranche. Im Januar strich CH Media 140 Vollzeitstellen, im gleichen Monat Ringier 55. Ende August verkündete Tamedia gar einen Stellenabbau von 290 Stellen, was fast einem Viertel aller Arbeitsplätze entspricht.

Das ist primär eine schlimme Nachricht für alle Betroffenen. Ihnen gebührt Solidarität. 

Die Medien- und Meinungsvielfalt schwindet weiter. Auffällig dabei: Der zunehmende Spardruck auf allen Redaktionen geht vor allem auch auf Kosten einer bestimmten Gruppe: der Teilzeitangestellten.

Die Medien- und Meinungsvielfalt, sie schwindet weiter. Das ist eine Gefahr für die direkte Demokratie. Auffällig dabei: Der zunehmende Spardruck auf allen Redaktionen geht vor allem auch auf Kosten einer bestimmten Gruppe: der Teilzeitangestellten. Also den Menschen, die nicht Vollzeit arbeiten können. Weil sie neben des Bezahljobs unentgeltlich Care-Arbeit leisten. Eltern pflegen. Kinder erziehen. 

Auch 2024 sind das zu grosser Mehrheit noch immer: Frauen. Genauer: Mütter. Zwar sind in der Schweiz rund 82 Prozent der Mütter mit Kindern unter 15 Jahren erwerbstätig. Mehr als drei Viertel von ihnen arbeiten jedoch Teilzeit, rund ein Drittel in einem Erwerbspensum unter 50 Prozent.

Darf ein:e Chef:in trotz Spardruck und drohenden (weiteren) Entlassungsrunden eine Vollzeitstelle (nach-)besetzen, wird diese kaum für weniger als 100 Prozent ausgeschrieben. Weil wer weiss, ob die «fehlenden» Prozente erneut bewilligt würden. Falsch ist das trotzdem, dazu später mehr.

Auch Co-Leitungen, die für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf überaus Sinn machen, sind aus Arbeitgebersicht finanziell unattraktiv. Erstens kommt eine Co-Leitung zu beispielsweise zwei Mal 60 Prozent teurer als eine 100-Prozent-Stelle, zweitens kostet diese den Arbeitgeber zweimal Sozialabgaben. Auch hier: Das ist rechnerisch nachvollziehbar. Und trotzdem falsch.

Geht es Unternehmen gut, leisten sie sich Teilzeitangestellte und Co-Leitungen. Wird jedes Lohnprozent auf die Waage geworfen, wird hier der Rotstift zuerst angesetzt.

Ketzerisch ausgedrückt: Teilzeit ist ein Wohlstandsphänomen. Geht es Unternehmen gut, leisten sie sich Teilzeitangestellte und Co-Leitungen. Wird jedes Lohnprozent auf die Waage geworfen, wird hier der Rotstift zuerst angesetzt. 

Du willst Zahlen? Bitte sehr. Hier kommen drei nicht-fiktive Beispiele aus der Medienbranche:

  • Eine Stelle bei einem Medienhaus wird für 80 bis 100 Prozent ausgeschrieben. Eine Mutter präsentiert proaktiv eine Co-Lösung für gesamthaft 80 Prozent, zusammen mit einer anderen Frau. Die Stelle bekommt ein Mann, der Vollzeit arbeitet. 
  • Zwei Mütter reichen einen Pitch für eine Stelle als Co-Leiterinnen zu je 60 Prozent in einem Medienhaus ein. Die Stelle erhält ein Mann, der Vollzeit arbeitet. 
  • Eine Mutter bewirbt sich auf eine 100-Prozent Stelle, obwohl sie aus Betreuungsgründen nur 60 Prozent arbeiten kann. Sie schlägt Job-Sharing vor, und auch, vorübergehend contre coeur 80 Prozent zu arbeiten. Der Job wird Vollzeit vergeben.
Wenn diese Mütter nicht mehr schreiben, wo bleibt ihre Sichtweise in der Berichterstattung? Wenn feministische Formate wie Wemyselfandwhy abgeschafft werden, schmerzt das.

Diese Beispiele sind, wie erwähnt, rein finanziell und kurzfristig betrachtet einleuchtend. Mittelfristig und betriebswirtschaftlich allerdings nicht, da Teilzeit und Co-Sharing erwiesenermassen die Vielfalt und Inklusion im Unternehmen sowie die Firmenkultur stärken. Zudem: Wenn diese Mütter nicht mehr schreiben, wo bleibt ihre Sichtweise in der Berichterstattung? Wenn nun also Formate wie Wemyselfandwhy, die sich für Mütter, Frauen, Vereinbarkeit und Chancengleichheit einsetzen, abgeschafft werden, schmerzt das. 

Unser System muss sich grundlegend ändern. Für mehr Frauen in Führungspositionen. Für weniger Geburtsstrafe (nach der Geburt ihres ersten Kindes verdienen Frauen in der Schweiz rund 68 Prozent weniger, und das langfristig). Für eine gleichberechtigte und diverse Gesellschaft.