Das neue Jahr hält einige Änderungen bereit und verspricht spannende Diskussionen – auch rund um das Thema Gleichstellung.
Diese Gesetze gelten neu
Mit dem Jahreswechsel sind zahlreiche neue Gesetze in Kraft getreten. Einige dieser Änderungen sind für uns Frauen besonders wichtig oder einschneidend.
AHV: Jetzt kannst du schrittweise in Rente gehen
Im September 2022 wurde die AHV-Reform ganz knapp angenommen. Jetzt tritt der erste Teil der Revision in Kraft. So kannst du nun schrittweise in Rente gehen. Damit wird auch ein sogenannter Teil-Aufschub bzw. Teil-Vorbezug der Rente möglich. Konkret heisst das:
- Im Alter zwischen 63 und 70 Jahren kannst du jederzeit in Rente gehen. Gehörst du zu den Frauen aus der Übergangsgeneration (Jahrgänge zwischen 1961 und 1969) kannst du deine erste AHV-Rente bereits mit 62 Jahren beziehen. Achtung: Wenn du dich vor 65 pensionieren lässt, wird deine Rente gekürzt. Allerdings hast du nur Kürzungen auf jenem Teil, den du vorbeziehst.
- Du kannst neu nur einen Teil deiner AHV-Rente frühzeitig, also vor 65, beziehen. Möglich ist ein Teilbezug von zwischen 20 und 80 Prozent.
- Du kannst einen Teil deiner AHV-Rente aufschieben und erst nach 65 beziehen. Möglich ist auch hier ein Teilaufschub von zwischen 20 und 80 Prozent.
- Bist du über dein 65. Altersjahr hinaus erwerbstätig, kannst du weiter in die AHV einzahlen. Diese Beiträge sind neu weiterhin rentenbildend. Das heisst, du kannst auch nach 65 noch deine AHV-Rente aufbessern.
Sowohl der Vorbezug als auch der Aufschub können Vorteile für Frauen bringen, da ein schrittweiser Übergang in die Pensionierung möglich wird. Bei einem Teilaufschub erhalten Frauen die Möglichkeit, ihre Rente aufzubessern und gleichzeitig schon einen Teil davon zu beziehen. Wer einen Teil vorbeziehen will oder muss, muss dafür weniger Kürzungen in Kauf nehmen als früher.
Mit der Revision wurde auch das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre erhöht. Die Erhöhung erfolgt schrittweise und beginnt erst 2025.
Brust- und Eierstockkrebs: Die Krankenkasse bezahlt
Die Grundversicherung übernimmt die Kosten für eine vorsorgliche Entfernung der Brust oder der Eierstöcke. Dies, sofern du ein erhebliches Risiko für Brust- oder Eierstockkrebs hast aufgrund bestimmter Hochrisiko-Gene.
Todesfall nach der Geburt: Recht auf längeren «Urlaub»
Tritt der tragische Fall ein, dass ein Elternteil nach der Geburt eines Kindes verstirbt, hat jener Teil, der zurückbleibt, das Anrecht auf einen längeren Mutterschafts- bzw. Vaterschaftsurlaub. Verstirbt der Vater des Kindes bzw. die Partnerin der Mutter innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt, hat die Mutter Anspruch auf zwei zusätzliche Wochen Urlaub. Verstirbt die Mutter des Kindes in den ersten 14 Wochen nach der Geburt, hat der Vater Anspruch auf zusätzliche 14 Wochen Urlaub.
Hausangestellte: Die Mindestlöhne steigen
Der Bundesrat hat den Mindestlohn von privaten Hausangestellten um 2,2 Prozent angehoben. Bist du also mindestens fünf Stunden pro Woche in einem Privathaushalt für eine:n Arbeitgeber:in tätig, hast du das Recht auf einen höheren Lohn. Als ungelernte Angestellte verdienst du jetzt 19.95 pro Stunde statt wie bisher 19.50 Franken.
Nein heisst Nein: Das neue Sexualstrafrecht gilt ab Juli
Im vergangenen Sommer hat das Parlament die Revision des Sexualstrafrechts verabschiedet. Die Straftatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung sind im Gesetz neu definiert nach der sogenannten «Nein heisst Nein»-Regel. Das Gesetz enthält wesentliche Verbesserungen:
- Zwang und Gewalt sind keine Voraussetzungen mehr, um eine Tat als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung einzuordnen.
- Freezing wird anerkannt: Das Gesetz hält fest, dass ein Opfer im Schockzustand womöglich nicht in der Lage ist, seine Ablehnung gegen die Handlung kund zu tun – weder verbal noch nonverbal. Wer dieses sogenannte Freezing ausnützt kann wegen Vergewaltigung oder sexuellem Übergriff und sexueller Nötigung bestraft werden.
- Der Tatbestand der Vergewaltigung umfasst nicht mehr nur den Beischlaf, sondern auch beischlafsähnliche Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. So sind deutlich mehr sexuelle Handlungen erfasst als bisher.
- Der Tatbestand der Vergewaltigung ist geschlechtsneutral formuliert. Künftig können Personen jeglichen Geschlechts Opfer einer Vergewaltigung sein.
Das neue Sexualstrafrecht tritt am 1. Juli in Kraft.
Das steht auf der politischen Agenda
Neben den Gesetzen, die bereits jetzt gelten, gibt es auch in diesem Jahr wieder einige Punkte und Neuerungen zu diskutieren, die in Sachen Gleichstellung wichtig sind. Mit dabei sind auch die Dauerbrenner-Themen Altersvorsorge, Rentenalter und familienergänzende Betreuung. Bei manchen dieser Diskussionen können wir in diesem Jahr schon mitreden und mitbestimmen, bei anderen sind erst einmal die Politiker:innen am Zug.
Eine 13. AHV-Rente und das Rentenalter 66
In knapp zwei Monaten, am 3. März, stimmen wir erneut über die Altersvorsorge ab – und das gleich zweimal. Da ist zum einen die Initiative «Für ein besseres Leben im Alter» des Gewerkschaftsbundes. Zum anderen gibt es die Initiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge» der Jungfreisinnigen.
- Eine 13. AHV-Rente: Die Initiative «Für ein besseres Leben im Alter» will, dass Rentner:innen jedes Jahr eine 13. AHV-Rente erhalten. Das Anliegen findet vor allem in linken Kreisen Zustimmung, aber auch unter Frauen. So macht sich ein Bündnis von rund 60 Frauen dafür stark. Die Argumentation: Für Frauen sei die AHV oft der wichtigste Pfeiler im Rentensystem, darum müsse dieser gestärkt werden.
- Rentenalter 66: Die Initiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge» will das Rentenalter in einem ersten Schritt auf 66 Jahre erhöhen – für Frauen und Männer. Danach soll es an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt werden. Steigt die Lebenserwartung, steigt schrittweise auch das Rentenalter. So soll die Finanzierung der AHV langfristig gesichert werden. Die Initiative geniesst vor allem Unterstützung aus dem bürgerlichen und rechten Lager, aber auch von Seiten der Arbeitgeber:innen und des Gewerbes.
BVG-Reform: Auch die zweite Säule gibt zu reden
Die berufliche Vorsorge wird umgekrempelt. Die grosse Debatte im Parlament fand dazu im letzten Jahr statt. Weil die linken Parteien sowie die Gewerkschaften mit dem Ergebnis nicht zufrieden waren, kommt das Thema nun vors Volk. Vermutlich stimmen wir im Sommer oder Herbst darüber ab. Die wichtigsten Punkte der Vorlage sind:
- Der Umwandlungssatz für die Berechnung der Renten soll von 6,8 auf 6,0 Prozent sinken. Das heisst, die Renten werden sinken. Ein Beispiel: Beträgt dein BVG-Guthaben 100’000 Franken, bekommst du mit dem heutigen Umwandlungssatz eine Jahresrente von 6800 Franken. Mit dem neuen Umwandlungssatz wären es noch 6000 Franken. Betroffen ist davon der obligatorisch versicherte Teil. Ausserdem soll es für rund 15 Jahrgänge einen Rentenzuschlag als Kompensation geben.
- Die Eintrittsschwelle – also das minimale Jahreseinkommen – für die zweite Säule soll von heute 22’050 Franken auf 19’845 Franken sinken. Das ist gerade für Frauen relevant. Sie arbeiten häufig im Tieflohnsektor und/oder Teilzeit und erreichen deshalb den nötigen Mindestbetrag nicht, um in der zweite Säule versichert zu sein. In der Folge erhalten sie keine Rente aus der beruflichen Vorsorge.
- Der Koordinationsabzug wird variabel: Heute zieht man dir von deinem Jahreslohn 25'725 Franken ab. Vom Betrag, der übrig bleibt, zahlst du und dein:e Arbeitgeber:in in die zweite Säule ein. Mit der Reform würde dieser fixe Abzug durch einen variablen Abzug von 20 Prozent ersetzt. Zur Veranschaulichung: Bei einem Jahreseinkommen von 45’000 Franken sind heute 19’275 Franken versichert. Nach der Reform wären es 36’000 Franken. Auch diese Anpassung ist gerade für Frauen in Teilzeitarbeit oder in Tieflohnbranchen zentral. Der heutige Koordinationsabzug lässt nämlich die Beträge in der zweiten Säule massiv schrumpfen, wie das obige Rechenbeispiel zeigt. Wer wenig verdient, kann auch weniger in die Pensionskasse einzahlen und hat eine tiefere Rente.
- Die Lohnbeiträge «flachen ab». Heute gibt es vier Stufen von Lohnbeiträgen – also von Beiträgen, die du und dein:e Arbeitgeber:in in die zweite Säule einzahlen. Sie liegen zwischen 7 und 18 Prozent und sind abhängig von deinem Alter. Mit der Reform wären es nur noch zwei Stufen. Wenn du zwischen 25 und 44 Jahre alt bist, liegt der Beitrag bei 9 Prozent. Bist du zwischen 45 und 65 Jahre alt liegt er bei 14 Prozent. Ziel ist, dass ältere Arbeitnehmende attraktiver und «weniger teuer» für Arbeitgebende werden. Dies, weil die Beiträge zur Hälfte von dir und zur anderen Hälfte von deinem/deiner Arbeitgeber:in bezahlt werden.
Den Gegner:innen der Reform ist zum einen der tiefere Umwandlungssatz ein Dorn im Auge. Dieser sei nichts anderes als ein Rentenabbau. Aber auch die Anpassung der Lohnbeiträge sowie der variable Koordinationsabzug sorgen für Ärger. All diese Punkte führen zu höheren Lohnabzügen. Dies hat zwar langfristig teilweise Vorteile für die Renten, dennoch schmälert es die ausbezahlten Löhne. Das treffe die tieferen Einkommen und die Frauen besonders hart.
Die Individualbesteuerung: Wann kommt das neue Steuersystem?
Das Steuersystem in der Schweiz soll angepasst werden und endlich für mehr Gleichstellung sorgen. Wie und warum? Heute gilt: Wer verheiratet ist, wird gemeinsam besteuert. Das heisst nichts anderes, als dass dein Einkommen und das deines/deiner Ehepartner:in zusammengezählt werden, um zu berechnen, wie viel Steuern ihr bezahlen müsst. Da das Steuersystem progressiv ist, kann es sein, dass ihr als Ehepaar mehr Steuern bezahlen müsst, als wenn jede und jeder von euch individuell besteuert würde.
Diese sogenannte Heiratsstrafe soll abgeschafft und Ehepartner:innen künftig individuell besteuert werden. Das will die Initiative zur «Einführung der Individualbesteuerung» die im September 2022 eingereicht wurde. Was hat das nun mit Gleichstellung zu tun? Eine ganze Menge. Das heutige System geht von einem Einverdiener:innen-Modell aus und begünstigt und festigt dieses. Für viele Ehepaare lohnt es sich aufgrund der Steuern nicht oder nur bedingt, wenn beide verdienen. Das Ergebnis: Eine Partei, meistens die Frauen, arbeitet nicht oder in einem tiefen Pensum.
Inzwischen hat sich der Bundesrat mit der Initiative befasst und die ersten Eckwerte festgelegt. Nun ist das Parlament am Zug. Es wird sich voraussichtlich in diesem Jahr mit dem Thema befassen.
Kita-Kosten: Wer bezahlt wie viel?
Die Kita-Kosten sind in der Schweiz ein grosses Politikum. In kaum einem anderen Land werden Eltern derart zur Kasse gebeten wie hier. Viele Frauen hindert das daran, erwerbstätig zu sein. Das soll sich ändern: Mehrere politische Geschäfte befassen sich in diesem Jahr mit den Kita-Kosten:
- Im Frühling 2023 hat der Nationalrat beschlossen, die Kosten der familienexternen Kinderbetreuung für Eltern mit Bundesbeiträgen zu senken. Rund 710 Millionen Franken soll der Bund dafür jährlich in die Hand nehmen. Das Geschäft wird in diesem Jahr vom Ständerat behandelt. Ob dieser dem Nationalrat folgen wird, ist offen. Denn eine ständerätliche Kommission will lieber höhere Familienzulagen statt vergünstigte Krippentarife.
- Eingereicht wurde im letzten Jahr auch die «Kita-Initiative». Sie fordert, dass Eltern höchstens zehn Prozent ihres Einkommens für die Kita-Plätze ihrer Kinder ausgeben müssen. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Darüber abstimmen werden wir in diesem Jahr vermutlich noch nicht können. Allerdings rechnen die Initiant:innen damit, dass das Anliegen 2024 in den politischen Kommissionen diskutiert wird und eventuell auch schon in einem der Räte.
2024 hält also einige spannende Themen bereit. Hoffen wir und sorgen wir da, wo wir können, dafür, dass sich in Sachen Gleichstellung etwas bewegt!