Die Schweizer Co-Produktion “Hive” der kosovo-albanischen Regisseurin Blerta Basholli hat hohe Wellen geschlagen: Es ist der erste Film in der Geschichte, der die drei Hauptpreise am Sundance Film Festival 2021 abräumte. Nun ist der Film auf der Shortliste für eine Oscar-Nominierung in der Kategorie “Bester Internationaler Spielfilm”. Unsere Autorin Tanya König hat sich mit der Regisseurin Blerta Basholli unterhalten.
Du zeigst die wahre Geschichte der Unternehmerin Fahrije Hoti. Nach dem Verschwinden ihres Mannes während des Kosovo Krieges schafft sie es, in einer patriarchalischen Gesellschaft ihr eigenes Ajvar Geschäft aufzubauen. Wieso findet diese Geschichte einen solchen Anklang?
Ich habe nicht versucht, den Kosovo und den Krieg zu erklären, sondern mich auf die Geschichte der Hauptfigur konzentriert. Meine Hoffnung war es, dass die Zuschauer mit Fahrije Hoti mitfühlen können. Dabei muss man die Geschichte meines kleinen Landes nicht kennen, um den Film zu verstehen. Jeder hat sich schon mal klein gefühlt, sei es als Jugendlicher oder weil man eine andere Nationalität hat, eine andere Hautfarbe oder sexuelle Ausrichtung hat. Die Zuschauer können einen Bezug zu Fahrije finden.
Durch deinen Film gibst du Ausgegrenzten eine Stimme. Du sprichst Gender Themen und Politische Gegebenheiten an. Der Film wurde in der Schweiz am Zurich Film Festival uraufgeführt. Warum gerade in Zürich, in der Schweiz?
In Zürich hatten wir viele albanische Zuschauer:innen. Einige waren nicht glücklich über die Art und Weise, wie gewisse Männer porträtiert wurden. Das liegt daran, dass wir Albaner:innen in der Kunstwelt oft nicht genug repräsentiert wurden. Sie haben mir trotzdem gedankt und gesagt, dass die Wahrheit manchmal schmerzt, aber erzählt werden muss. Im Kosovo ist der Film sehr gut angelaufen und der meistgeschaute Film momentan.
Wieso ist Repräsentation so wichtig?
Ich denke, wenn du zu den Aussenseitern gehörst, dann willst du repräsentiert werden, weil du dich klein fühlst. Als Immigrant fühlst du dich klein und unterrepräsentiert. Wenn du ein Leben in einem neuen Land beginnst, dann ist das nicht einfach. Oft schreiben Medien nur über gewisse Gemeinschaften, wenn es was Schlechtes zu berichten gibt. Deshalb wollen Leute, dass auch Gutes über ihre Herkunft publiziert wird. Viele waren überwältigt, dass ein Film aus dem Kosovo in der Schweiz gezeigt wurde. Im Publikum sassen zwei Kosovarinnen, die seit 35 Jahren in der Schweiz leben und noch nie zuvor im Kino waren. Sie dankten mir, dass ich eine Frau porträtiert habe, mit der sie sich identifizieren können. Für mich war dies eine Erfüllung, denn dieses Publikum ist nicht einfach zu erreichen.
Im Film sehen wir auch, wie Fahrije Hotis Schwiegervater etwas Mühe damit hat, dass sie sich eine Arbeit suchen will. Doch am Schluss hilft er ihr sogar dabei. Gute Frauen - böse Männer, du wolltest nicht in diese Falle tappen?
Das war meine Hoffnung. Wir sehen ja auch nicht nur die bösen Männer. Im Film sehen wir auch positive männliche Figuren, wie der Supermarkt-Besitzer, der Fahrije hilft. Auch der Schwiegervater ist kein negativer Charakter. Er versucht so unterstützend zu sein, wie er nur kann. Er ist auch in der Tradition gefangen, hat jedoch gleichzeitig den Wunsch, ihr zu helfen. Auch für ihn ist die Situation nicht einfach, auch er hat seinen Sohn verloren. Klar, dann gab es auch die Männer, die Fahrije in der Öffentlichkeit beschimpft und Steine nach ihr geworfen haben. Als der Film im Nachbarort gezeigt wurde, haben sich einige schon beleidigt gefühlt. Aber generell hat das Publikum den Film geschätzt, weil er die Emanzipation und Resilienz von Fahrije zeigt.
Welche Rolle hatte Fahrije Hoti nach dem Verschwinden ihres Mannes in der Gesellschaft?
Die Leute erwarten von einer Witwe, dass sie sich im Haus einschliesst, kein Make-up oder bunte Kleider trägt und ihrem Mann nachtrauert. Sobald jemand das nicht tut, dann wird über die Person gelästert. Fahrije wurde gesagt, dass sie als Witwe nicht arbeiten soll. Doch das war keine Option für sie. Sie wollte immer arbeiten, auch als ihr Mann noch lebte. Wäre er am Leben, dann hätten sie das Geschäft wohl zusammen aufgebaut. Und obwohl sie nie studiert hat, konnte sie sich nicht als Hausfrau identifizieren. Nach dem Krieg musste sie auch mehr Verantwortung übernehmen und die Rolle der Frau und des Mannes im Hause gleichzeitig einnehmen. Das hat sie auch ihren Kindern zuliebe getan, sonst wäre sie durchgedreht und das hätte niemanden geholfen. Natürlich ist der Schmerz des Verlustes noch da, auch nach über 20 Jahren wartet Fahrije Hoti darauf, dass ihr Mann zurückkehrt.
Was bedeutet dieser Film für Fahrije und ihr Geschäft?
Der Film bedeutet ihr sehr viel, da sie die Geschichte von vielen Frauen zeigt. Was ihr Geschäft angeht: Es läuft sehr gut. Sie hat am achten März eine Fabrik eröffnet und fast 100 Frauen angestellt. Die meisten sind Witwen. Aber auch verheiratete Frauen und Männer arbeiten für sie, sowie Bauern, die ihr das Gemüse für die Ajvar Produktion liefern. Sie hat der Gegend nicht nur finanziell geholfen, sondern war auch die Treiberin Mentalitätswandels.
Du hast wie Fahrije Hoti den Krieg im Kosovo miterlebt. Du warst 16 Jahre alt als die NATO im Jahr 1999 die serbische Armee aus dem Land vertrieb. Wo siehst zu Parallelen zu deiner eigenen Geschichte?
Erst einmal bin ich eine Frau. Es hat mir zwar niemand gesagt, dass ich nicht studieren oder arbeiten darf, aber ich bin in einer patriarchalischen Gesellschaft aufgewachsen. Die Erwartungen an dich, deine Erziehung, und deine Selbstwahrnehmung sind patriarchalisch geprägt. Und es hat Zeit gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass ich allen anderen Menschen ebenbürtig bin.
Yllka Gashi (Anm. Hauptdarstellerin, die Fahrije Hoti im Film spielt) und ich sind beide während des Schreibens des Drehbuchs Mütter geworden. Wir haben versucht zu verstehen, wie es sich angefühlt hat, seine Kinder während des Krieges alleine erziehen zu müssen. Es ist schwierig, Kinder in einer Gesellschaft grosszuziehen, wenn der Ehemann gleichzeitig verschwindet. Wir haben auch unsere Erfahrungen des Krieges ausgetauscht und so versucht, uns in die Haut von Fahrije einzufühlen.
Du hast erwähnt, wie du merken musstest, dass du als Frau gleichwertig wie andere Menschen bist. Wie passiert das?
Irgendwann wird man einfach müde und merkt, dass man manchmal mehr tun muss als Frau. Ein Beispiel ist im Haushalt: Ich bin von meiner Familie nicht diskriminiert worden, aber als ich aufgewachsen bin, habe ich schon so Dinge gehört, wie “Kannst du das putzen, denn als Frau solltest du das können”. Auch die Haltung, dass Frauen immer ordentlich sein und kochen können müssen. Irgendwann merkst du, dass du das alles gar nicht tun kannst.
Hast du dagegen rebelliert?
Nein (lacht).
Ich habe die Dinge in meinem Leben langsam verändert.
Kosovo ist 2008 unabhängig geworden. Patriarchalische Strukturen sind noch tief in der Gesellschaft verankert. In den letzten vier Jahren haben aber gleich drei kosovarische Regisseurinnen Filme für die Oscars eingereicht. Deiner ist sogar auf der Shortliste für eine Nomination. Wie erklärst du diesen Erfolg?
Wir hatten einfach gute Projekte und haben uns beworben. Wir hatten schon immer Regisseurinnen. In der ersten Generation gab es eine Frau, die hatte es sicherlich schwieriger als wir. In meiner Klasse waren wir zwei Frauen und zwei Männer. Aber da gab es keine Quote. Niemand hat sich damals um eine Quote geschert.
Diese Filme waren jetzt erfolgreich, weil es gute Filme sind. Eine internationale Jury hat diese aus den besten Eingaben ausgewählt. 2021 war besonders: Vier Filme von kosovarischen Regisseurinnen wurden an internationalen Festivals gezeigt, u.a. in Rotterdam, in Cannes und Kaltrina Krasniq’s Film Vera Dreams of the Sea hat in Tokyo den Grand Prix gewonnen. Mein Film gewann am Sundance und vielen weiteren Festivals. Es war ein Jahr der Filmemacherinnen.
Erzählt ihr Geschichten anders als Männer?
Ich denke nicht, dass es auf das Geschlecht ankommt. Mir half es, dass ich ehrlich mit meiner Arbeit bin und ich nicht so tue, als ob ich etwas wüsste, dass ich nicht weiss. Das Publikum hat auf die Ehrlichkeit des Films reagiert. Dass ich eine Frau als Hauptfigur wählte, war keine bewusste Entscheidung. Wir haben Fahrije vor 10 Jahren getroffen, damals hat sich niemand gefragt, ob Frauen genug repräsentiert werden - nicht mal in Hollywood. Ich wollte einfach ihren starken Charakter auf der grossen Leinwand zeigen und habe sie aufgrund ihrer Geschichte gewählt. Vielleicht hat das Publikum nun auch reagiert, weil Frauen tatsächlich weltweit nicht genug repräsentiert sind.
Nicht nur der Kosovo ist eine patriarchalische Gesellschaft. Auch in Ländern wie der Schweiz, USA oder anderen demokratisch und entwickelten Ländern gibt es viel Aufholbedarf in Sachen Frauenrechte.
‘Hive’ wurde von der Schweiz mitfinanziert. Es ist der erste kosovarische Film, der finanzielle Unterstützung aus der Schweiz bekommt. Wie war die Geldsuche?
Es war nicht einfach. Wir haben zwar öffentliche Gelder des kinematographischen Zentrums Kosovo erhalten, aber das war eine kleine Summe. Wir haben es dann in den Nachbarländern versucht. Im ersten Anlauf hat Albanien unseren Antrag abgelehnt, beim zweiten Mal hat es geklappt. Mazedonien hat uns ebenfalls finanziell unterstützt. Die Schweiz hat unseren ersten Antrag auch abgelehnt, aber beim zweiten Anlauf hat es geklappt. Ich weiss nicht, was wir ohne die Finanzierung aus der Schweiz gemacht hätten. Mazedonien und Albanien konnten nur kleine Beiträge sprechen, die Schweiz hatte da schon mehr Budget. Schliesslich konnten wir eine halbe Million sammeln. Bei der Post-Produktion ging uns dann das Geld aus, aber wir haben einfach härter gearbeitet und es trotzdem geschafft. Der Film war von Beginn an als Low-Budget-Produktion geplant.
Gab es Momente, in denen du aufgeben wolltest?
Oh ja. Nachdem ich Fahrije vor 10 Jahre getroffen hatte, musste ich zuerst mein Studium in den USA abschliessen. Dann habe ich an Kurzfilmen gearbeitet und bin Mutter zweier Kindern geworden. Vieles hat mich vom Drehbuchschreiben abgehalten. 2015 habe ich aber begonnen und mich ein Jahr später auf die Geldsuche gemacht. Wir haben drei bis vier Jahre gebraucht, um den Film zu finanzieren und konnten 2019 mit den Dreharbeiten beginnen. Obwohl ich die Geschichte von Fahrije mochte, gab es Momente des Zweifels. Einmal hat mich ein Drehbuch-Berater gefragt, wieso ich nicht einfach einen Dokumentarfilm drehe, weil ich für mein Skript so detailliert recherchiert habe. Da habe ich mich auch gefragt, ob ich es je schaffen würde einen Spielfilm daraus zu machen. Ich zweifle immer. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob ich das richtige Thema gewählt habe oder ob ich in die völlig falsche Richtung gehe. Aber dann gehst du an den Anfang zurück und sagst dir, dass es die richtige Entscheidung ist und machst weiter. Manchmal bist du zufrieden, manchmal weniger. Wichtig ist, dass du weitermachst.
Und es hat sich gelohnt!
Am Ende, ja.
Kosovo ist ein armes Land. Überweisungen aus dem Ausland machen einen grossen Teil der Wirtschaft aus. Welche Bedeutung hatte es für dich, dass dich deine Familie im Ausland finanziell unterstützt?
Als Teenager habe ich das nicht so realisiert. Da denkt man einfach, dass die genug Geld haben, dass sie dir welches schicken können. Ich hatte damals Familie in Deutschland und England. Man denkt sich, dass die Diaspora einfach und gut Geld verdiene. Als ich während des Krieges als Flüchtling in Deutschland war, habe ich meinen Onkel und meine Cousins getroffen und gemerkt, wie schwierig es für sie war in einem fremden Land genug Geld zu verdienen. Da merkte ich, dass sie nicht einfach reiche Leute sind, sondern hart für dieses Geld arbeiten, um ihre grossen Familien durchzubringen und noch Geld in den Kosovo zu schicken. Meine Eltern und mein Bruder haben auch hart gearbeitet. Wir haben uns in schwierigen Zeiten geholfen.
Und wie hast du dein Studium an der Tisch School of Arts in New York finanziert?
Ich habe vom Dekan ein Stipendium für die Studiengebühren bekommen. Ich lebte bei meinem Freund, der heute mein Ehemann ist. Er arbeitete in den USA, was uns das Leben etwas vereinfachte. Mir war es nur erlaubt, 20 Stunden in der Woche zu arbeiten. Ich arbeitete in der Schulbibliothek und für einen albanischen Fotografen, bei dem mein Mann angestellt war. Ich gehörte nicht zu den Rich Kids, die auch an der Schule waren.
Du arbeitest nun an deinem nächsten Projekt, einer coming-of-age Geschichte, die auf deiner Erfahrung als Jugendliche im besetzten Kosovo handelt. Wie weit bist du mit dem Projekt?
Ich bin in der Schreibphase und wir konnten bereits Finanzierung aus der Schweiz für die Drehbuchentwicklung sichern. Im Kosovo kriegt man in dieser Phase praktisch noch keine Finanzierung. Wir hatten wirklich Glück und es ist das erste Mal, dass ich Geld für das Schreiben bekomme.
Viel Erfolg und hoffentlich klappt es mit der Oscar Nominierung!
‘Hive’ erzählt die wahre Geschichte von Fahrije Hoti, einer Witwe aus dem Dorf Krushe e Madhe, die nach dem Verschwinden ihres Mannes während des Kosovo Krieges in den 90er Jahren zur Unternehmerin wird. Sie tut sich mit anderen Witwen im Dorf zusammen und produziert die Paprika-Spezialität aus dem Balkan, Ajvar, welche die Frauen an einen Supermarkt verkaufen. Was einfach klingt, braucht Mut und viel Überzeugungsarbeit. Die Frauen erfahren grossen Widerstand von den Männern im Dorf und auch die Frauen müssen überzeugt werden, dass sie nicht nur zu Hause ihren Ehemännern nachtrauern. ‘Hive’ ist der erste lange Spielfilm der Kosovo-Albanerin Blerta Basholli und hat mehrere Preise gewonnen. Nun ist er einer der 15 Filme im Rennen für eine Oscar Nominierung.