Ich habe mir diesen Januar tatsächlich ein Fitness-Abo gekauft. Die Gründe waren vielfältig: Nach der Schliessung meines eigenen Kultur- und Tanzstudios vor ein paar Monaten suchte ich nach einem Weg, die starken Rückenschmerzen, unter denen ich seit letztem Jahr leide, zu lindern. Zudem gibt's da eine Sauna.
Seit einigen Wochen bin ich nun eine fleissige Besucherin. Jeder Gang ins Fitnessstudio stellt jedoch eine neue Challenge für mich dar. Viele Geräte habe ich noch nicht ausprobiert, weil ich keine Ahnung habe, wie sie funktionieren. Die Vorstellung, sie von jemandem erklärt zu bekommen, erscheint mir geradezu schrecklich.
Kürzlich überwand ich endlich eine meiner Unsicherheiten und betrat die Sauna. Es hat so lange gedauert, weil ich nicht wusste, wie man sich dort verhält. Gehe ich mit oder ohne Kleidung hinein? Muss ich etwas Bestimmtes tun? Ich war schon sehr oft in Saunas, nicht aber in dieser. Ich wollte nicht unbeholfen wirken. Ähnliche Unsicherheiten erlebte ich beim Gruppenkurs. Niemand sagte mir, was ich dafür brauchte, also verbrachte ich die eine Hälfte der Lektion damit, nach fehlendem Material zu suchen, und die andere, mich ungeschickt zu fühlen.
Inzwischen bewege ich mich etwas selbstbewusster durch die Fitnessgänge, so als wüsste ich, was ich tue. Dann traf ich Lisa, die mich fragte, ob ich ihr was zeigen könnte. Na klar, entgegnete ich, und erklärte ihr die Maschine. Irgendwann sagte sie, dass sie mich schon mehrmals gesehen habe und ich so aussehen würde, als wüsste ich, wie hier alles funktioniert.
Woher kommt die Unsicherheit, die wir beide verspüren? Wie kann es sein, dass ich von aussen so anders wahrgenommen werde, als ich mich selbst wahrnehme? Ich beobachtete mein Verhalten in den darauffolgenden Tagen etwas genauer: Egal, welchen neuen Raum ich betrat, das Gefühl, fehl am Platz zu sein, war omnipräsent: an der Oper, an der Uni, an der ich unterrichte, in einem Restaurant und sogar in Aktivismus-Communities stellte ich mir zahlreiche Fragen: Bin ich richtig hier? Passe ich hier rein? Selbst bei Themen, bei denen ich als Expertin bezeichnet werde, frage ich mich immer wieder: Weiss ich wirklich genug, um mein Wissen darüber zu teilen?
Ich bin mit dem Gefühl nicht alleine. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass dieses Gefühl für viele Frauen eine Hürde darstellt, um Neues auszuprobieren oder sich in ungewohnte Räume zu begeben. Bei Mehrfachmarginalisierung wie beispielsweise bei mir als Schwarzer Frau verstärkt sich das nochmals. Das Gefühl kann an den alltäglichsten Orten auftauchen. In vielen Studien wird es Imposter-Syndrom genannt. Es beschreibt das Gefühl, nicht wirklich kompetent zu sein, obwohl «objektive Erfolge» vorliegen. Wie in einem Fitnessstudio begegnen wir überall im Leben Unbekanntem – sei es im beruflichen oder persönlichen Kontext. Die Angst davor, Fragen zu stellen und Unwissenheit einzugestehen, hindert viele von uns daran, uns vollständig auf etwas Neues einzulassen.
Eine Untersuchung, durchgeführt von Psycholog:innen der Universitäten Cornell und Washington State, bestätigt, dass Selbstzweifel bei Cis-Frauen stärker ausgeprägt sind als bei Cis-Männern. In der Studie wird beschrieben, dass sich Cis-Frauen erst dann auf eine Stelle bewerben, wenn sie sämtliche Qualifikationen zu 100 Prozent erfüllen, während Cis-Männer sich bereits mit einer Erfüllung von 60 Prozent bewerben. Warum aber betrifft diese Angst weiblich gelesene Personen statistisch gesehen so viel öfter als männlich gelesene?
Bei meiner Recherche wurde deutlich, dass das Imposter-Phänomen oftmals aus einer rein auf das Individuum fokussierten psychologischen Perspektive betrachtet wird. Dadurch wird impliziert, dass wir unsere eigenen Unsicherheiten einfach überwinden und ein bisschen risiko-affiner sein müssen, um uns wohlzufühlen. Viele erfolgreiche Female Business Coaches haben genau das zu ihrem Kernthema gemacht: Das Überwinden der Unsicherheiten von Frauen in der Businesswelt.
Als Soziologin ist es mir daher wichtig, die gesellschaftliche Struktur stärker mit einzubeziehen: Denn das Gefühl des «Fehl-am-Platz-Seins» entspringt vor allem dem systematischen Rassismus und Sexismus – und vielen anderen vorherrschenden Unterdrückungsformen – in der (Arbeits-)Welt. Die eigene Unsicherheit abzubauen oder etwas mehr Risiko einzugehen, sind für mich somit in erster Linie Symptombekämfungen, die für einzelne Personen kurzfristig hilfreich sein können, die Ungleichheiten langfristig jedoch nicht abbauen.
Ein Grund für mein Unwohlsein in vielen Räumen ist die fehlende Repräsentation: Ich bin es nicht gewohnt, Menschen wie mich in gewissen Räumen zu sehen. Wenn ich dann mal in einem neuen Raum bin, habe ich das Gefühl, ich muss aussergewöhnlich gut sein in dem, was ich mache. Ein Gefühl, das bereits in der Schule als Kind beginnt. Das Streben nach Perfektion, verstärkt durch geschlechtsspezifische Erwartungen, führt dazu, dass Erfolge von mir selbst nicht anerkannt werden.
Dennoch probiere ich immer wieder, neue Räume zu betreten und wenn möglich mit Menschen zu sprechen, auch wenn es schwierig für mich ist. Sei es ein Fitnesstudio oder ein Business-Anlass: Wir sind nicht einfach nur aus Glück da (schon auch, aber nicht nur). Wir gehören in diese Räume genauso wie andere Menschen. Dass wir uns in einzelnen Räumen nicht wohlfühlen, gehört wahrscheinlich zum Menschsein, weil wir nunmal Gewohnheitstiere sind. Dass wir uns in jedem Raum fehl am Platz fühlen, ist allerdings nicht «normal». Mir persönlich hilft es zu wissen, dass dieses Gefühl des «Fehl-am-Platz-Seins» nicht wirklich individuell ist, sondern marginalisierte Personen in dieser Gesellschaft mehr betrifft.
Ich nehme mir deshalb bewusst Zeit, um mich in Räumen, in denen ich mich wohlfühle (bei geliebten Menschen, zu Hause, im Wald, im Wasser etc.), aufzutanken. Und ich versuche, aktiv dafür zu sorgen, Türen für mehr marginalisierte Personen in unterschiedlichen Räumen zu öffnen, denn je mehr wir sind, desto wohler werden wir uns fühlen. Das können ganz kleine Dinge sein: Im Fitness achte ich darauf, ob eine Person verunsichert wirkt oder nicht genau weiss, was sie wie tun soll, und gehe aktiv auf sie zu. Ich helfe mit, diskriminierende Strukturen zu thematisieren, um meinen Beitrag für ihre Sichtbarkeit und wenn möglich ihre Abschaffung zu leisten. Und jetzt gehe ich nochmals einen neuen Kurs ausprobieren.