Oder Pipilotti Rist? Die Schweizer Vorzeigekünstlerin ist oft die einzige Stellvertreterin aller Frauen in der Kunst. Nur ein Viertel aller Einzelausstellungen in der Schweiz ist Frauen gewidmet, besagt eine Studie von Swissinfo. Betrachtet man die einzelnen Museen, dann präsentieren sich grosse Unterschiede: Die Kunsthalle Basel beispielsweise zeigt zur Hälfte Kunst von Frauen, während die meistbesuchten Museen schlecht abschneiden.
Darunter auch das Kunstmuseum Zürich: Gerade mal 13 Prozent der Werke der Sammlung stammen von Frauen. Dies entspricht 361 Werken im Vergleich zu den 2041 von Künstlern. Die Pressesprecherin des Kunsthauses Zürich Kristin Steiner erklärt: “Da unsere Sammlung einen Zeitraum von über 500 Jahren umfasst und Frauen zu (Kunst-)Akademien erst im 19. Jahrhundert zugelassen wurden, ist ihr Anteil in der Sammlung des Kunsthauses geringer als derjenige von Männern.”
Das anonyme Kollektiv namens Hulda Zwingli macht seit über einem Jahr auf Instagram auf das Fehlen von Künstlerinnen in Institutionen und im öffentlichen Raum in Zürich aufmerksam. Hulda kontert: “Es geht nicht nur um historische Ungleichgewichte. Auch zeitgenössische Kunst ist betroffen, obwohl genauso viele Frauen heute an den Kunstakademien studieren." In der Tat: Zählt man die modernen Aussenwerke des Kunsthauses, dann findet man 27 Werke - ausnahmslos von Männern.
Hulda hinterfragt das historische Argumentieren generell: “Es gibt Erkenntnisse, dass die wenigen Künstlerinnen der damaligen Zeit oft vergessen oder verschwiegen wurden oder ihre Kunst unter dem Namen der Ehemänner, Väter oder Brüder abgelegt wurde”. Vielleicht müssten Institute auch abseits des Kanons suchen. Oftmals sei dieser von einem männlichen Blick geprägt gewesen. “Man könnte auch eine neue Geschichte schreiben”, findet die iranisch-schweizerische Künstlerin Shirana Shahbazi, die 2019 den Prix Meret Oppenheim erhalten hat. Dafür brauche es den Willen und die Energie für tiefere Recherche.
Wo sind die Künstlerinnen?
Unsichtbare Künstlerinnen: das Thema beschäftigt zunehmend auch Expert:innen. Madeleine Schuppli, Leiterin Visuelle Künste bei Pro Helvetia und ehemalige Direktorin des Aargauer Kunsthauses sagt, dass es heute keinen Grund mehr gäbe, dass Frauen immer noch weniger sichtbar wären. “Es ist keine Heldentat Künstlerinnen auszustellen, weil es gibt ja so viele gute Künstlerinnen”, betont sie.
Trotzdem sind sie auch in zeitgenössischen Ausstellungen oft weniger präsent: Diana Baumgarten hat aktuell an einem Anlass zum Thema eine Vorstudie der Universität Basel präsentiert, die in Zusammenarbeit mit Pro Helvetia entstand. Eine der Thesen lautet, dass die Figur des “grossen, von Visionen getriebenen Künstlers” nach wie vor wirkmächtig sei. Frauen werden dazu stets ins Verhältnis gesetzt. Verhalten sie sich wie männliche Künstler, werden sie abgewertet. Auch wird Mutterschaft und Künstlerin sein als unvereinbar betrachtet und die Vereinbarkeit bleibt ein Thema der Frauen.
“Das Kunsthaus Zürich ist Hauptempfänger von Kunst-Subventionen. Es erhält rund 80 Prozent der Fördergelder. Angesichts dessen, dass soeben der Erweiterungsbau eröffnet wurde, in welchen mehr als 100 Millionen öffentliche Gelder gesteckt worden sind, hätte man versuchen können, mehr Werke von Künstlerinnen zu zeigen”, findet Hulda Zwingli. Im kürzlich eröffneten Neubau des Kunsthauses sind laut Zueritipp nur 24 von 340 Werken von Künstlerinnen, sprich sieben Prozent.
Wer zahlt, befiehlt - nicht
Barbara Basting, Ressortleiterin Bildende Kunst der Stadt Zürich sagt, dass es sie erstaune, dass Sponsoren wie Banken und Versicherungen, welche sich Diversität auf die Fahnen schreiben und Einsitz in Vorständen haben, keinen grösseren Einfluss auf die Geschlechterverteilung in den Museen ausüben würden. Natürlich müsse man auch aufpassen, dass nicht in die künstlerische Freiheit eingegriffen werde, wenn man gewisse Dinge fördere. “Die Kulturabteilung der Stadt Zürich kann dem Kunsthaus nicht sagen: ihr müsst jetzt dieses und jenes tun. Man kann nur sagen: Diversität ist ein Thema und bitte denkt daran”, erläutert sie. Zudem seien die meisten Institute Vereine und diese bestünden aus Mitgliedern, die selbst einen Wandel anstossen könnten. Man müsse sich deshalb auch die Frage stellen, wo die Hebel der Macht lägen.
Künstlerinnen erzielen Besucherrekorde
Es gebe auch einen enormen Druck, mit den Ausstellungen Geld zu verdienen, erklärt Barbara Basting, man müsse auf der sicheren Seite sein und Ausstellungen kreieren, welche 80’000-150’000 Besucher locken können. Da haben offenbar viele Leitungsgremien die Vorstellung, das gehe nur mit bestimmten klassischen Impressionisten, Picasso oder Matisse. Aber das ändere sich allmählich.
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass auch Ausstellungen von Frauen ein grosses Publikum anziehen. “Es ist eine Frage des Marketings”, ist Hulda Zwingli deshalb überzeugt. Das Guggenheim zeigte 2019 die völlig unbekannte schwedische Malerin Hilma af Klint und schlug mit 600’000 Eintritten alle Besucherrekorde. Auch das Tate Modern zeigte in diesem Jahr Retrospektiven von Künstlerinnen, darunter die Schweizerin Sophie Taeuber-Arp und die Portugiesin Paula Rego. Und das Centre Pompidou organisierte bereits 2009 eine grosse Ausstellung mit Werken von Künstlerinnen, welche von über zwei Millionen Menschen besucht wurde.
Kristin Steiner, Mediensprecherin des Kunsthaus Zürich schreibt auf Anfrage: “Uns ist die Problematik bewusst. Wir steigern die Präsenz weiblicher wie auch aussereuropäischer Künstlerinnen stetig. Bei den Ausstellungen zeigen wir 2022 u.a. Einzelausstellungen von Yoko Ono, Alexandra Bachzetsis, Niki de Saint Phalle.”
Willst du Kunst von Frauen sehen? Das Kunstmuseum Luzern zeigt eine Retrospektive von Vivian Suter, das MCBA Lausanne präsentiert Werke der Schweizerin Aloïse Corbaz, das Kunstmuseum St. Gallen stellt gleich zwei Künstlerinnen aus. Und das Zentrum Karla die Grosse hat in Zürich soeben die Dauerausstellung “It’s a... Women’s, Women’s, Women’s World!” eröffnet.