Die Schweiz ist ein miserabler Ort, zumindest für erwerbstätige Frauen. In einem aktuellen Vergleich unter OECD-Ländern zur Rolle von Frauen auf dem Arbeitsmarkt belegt unser Land den 26. Platz von 29. Das sitzt. Ein Grund für das schlechte Abschneiden sind die Rahmenbedingungen für erwerbstätige Mütter. Zu knapp bemessen sind sowohl Mutterschafts- wie Vaterschaftsurlaub, zu teuer ist die familienergänzende Kinderbetreuung.
Nun könnten wir ein paar Plätze gutmachen: In diesen Tagen lanciert ein überparteiliches Komitee die Familienzeit-Initiative. Ihre Forderung: je 18 Wochen bezahlte Familienzeit für beide Elternteile. Aus meiner Sicht dürften es auch mehr sein, vor allem mit Blick auf die Bedürfnisse von Frauen nach einer Geburt. Stichwort Heilung, Erholung, Stillen etc. Insgesamt ist die Elternzeit aber ein längst überfälliger Schritt. Mit unseren aktuellen Regelungen in Sachen Familienpolitik sind wir das Schlusslicht Europas.
Es geht aber natürlich um weit mehr als um Rankings. Eine Elternzeit steht zuallererst für Gleichstellung. Gleichstellung im Familiensystem und Gleichstellung in der Berufswelt. Arbeitgeber:innen sehen Frauen in einem gewissen Alter noch immer als Risiko.
Eine Elternzeit hat nicht nur Einfluss auf die bezahlte Erwerbsarbeit, sondern vor allem auf unbezahlte Care-Arbeit. Wer wird wohl «Chef:in» über Babybrei, Haushalt und Kinderkleider, wenn der eine Elternteil sechs Monate zu Hause mit dem Kind verbringt und der andere zwei Wochen? Richtig: Elternteil 1, und das ist meist die Mutter. Kinderkriegen katapultiert Familien in der Schweiz in traditionelle Rollen. Die Zahlen bestätigen dies: Mütter wenden doppelt so viel Zeit auf für Hausarbeiten und investieren 50 Prozent mehr Zeit in Kinderbetreuung als Väter. Ein Systemwechsel weicht diese Strukturen hoffentlich auf.
Zudem anerkennt eine Familienzeit, dass Kinderkriegen nicht reine Privatsache ist. Familien sind ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft, immerhin sichern Kinder ihren Fortbestand. Zu idealistisch oder naturalistisch? Dann habe ich noch einen ganz ökonomischen Gedanken – für die Wirtschaftsfans: Eltern ziehen die nächsten Arbeitskräfte und Konsument:innen gross, die unser System am Laufen halten (auch wenn ich hoffe, dass nächste Generationen ihre Prioritäten anders setzen und sich unser System grundlegend ändert. Aber das ist ein anderes Thema). Da wäre es aus wirtschaftlicher Sicht doch ein ganz cleverer Zug, in den Bereich Familie zu investieren, oder nicht?
Apropos Geld: Ich bin sicher, die Gegner:innen der Familienzeit werden die Kosten eines Systemwechsels zum Hauptargument ihrer Ablehnung machen: «Wir können uns diesen Luxus nicht leisten!» «Wer soll das bezahlen?» «Das wird für uns alle teuer!», wird es heissen. Dazu ein kleiner Reminder: Diese Wochen und Monate nach der Geburt sind schon jetzt nicht gratis. Aktuell bezahlen jedoch vor allem wir Frauen den Preis dafür. Nur 18 Prozent der Mütter kehren nach dem bezahlten 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub zurück in den Job. Vier von fünf Frauen verlängern ihren Erwerbsunterbruch unbezahlt und auf eigene Kosten oder kündigen. Die meisten kehren erst sechs Monate nach der Geburt zurück in ihren Job. Und das ist noch nicht alles. Mehr als drei Viertel der Mütter arbeiten nach ihrem Wiedereinstieg Teilzeit. Im Schnitt verdienen Frauen langfristig rund 60 Prozent weniger als vor der Geburt. Die finanziellen Folgen spüren sie ihr Leben lang. Und die Männer? Für sie hat die Vaterschaft bisher weder einen wesentlichen Einfluss auf ihr Arbeitspensum noch auf ihr Gehalt.
Das bringt uns zurück zum Anfang. Elternzeit ist ein wichtiger Schritt für die Gleichstellung – im Familiensystem, bei der Verteilung von unbezahlter Care-Arbeit, auf dem Arbeitsmarkt und schliesslich finanziell. Ich hoffe sehr, dass wir diese Chance nicht verstreichen lassen.


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