Sehr geehrte Herren Nationalräte

An der diesjährigen Frauensession durfte ich den Nationalratssitz von Herrn Alois Huberder Schweizerischen Volkspartei einnehmen und habe kräftig abgestimmt - um genau zu sein: 77 Mal. Vermutlich nicht immer in Ihrem Sinn, aber jemand muss ja irgendwann mal diese Arbeit erledigen, weil die tatsächliche Gleichstellung auch 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts nicht erreicht ist.

Während zweier Tage haben sich die Kommissionen beraten, um entsprechende Anträge für die Session auszuarbeiten. Mit Erfolg: Insgesamt 23 wichtige und längst überfällige Forderungen konnten wir nun an den Bundesrat und an Sie überreichen.

Als Mann, Vater, Sohn, Bruder, Onkel, Cousin, Opa, Freund oder Arbeitskollege sind Sie bestimmt auch froh, wenn Mädchen, Frauen und weiblich gelesene Personen in Zukunft besser vor häuslicher und sexueller Gewalt geschützt sind. Bestimmt würde es Sie auch beruhigen, wenn Sie wüssten, dass Ihre Nachbarin oder die Landwirtin vom Dorf nebenan nach der Scheidung nicht in die Altersarmut fällt. Sie sind sicher auch daran interessiert, dass mehr Frauen in den MINT-Branchen rekrutiert werden, denn so könnten wir dem Fachkräftemangel wirklich entgegenwirken. Nicht zu vergessen, all die Care-Arbeit von den Ihnen nahestehenden Frauen. Die Erziehungs- und Betreuungsgutschriften sollen ausgeweitet und aufgewertet werden, sodass mehr Frauen auf Ergänzungsleistungen im Alter verzichten können.

Die zwei Tage Kommissionsarbeit, zwei Tage Session (Bezug von vier Ferientagen) und die Auslagen (Zugticket, Verpflegung und Übernachtung) haben mich rund 1'500 Schweizer Franken gekostet. Bei 246 Frauen ergibt das 369'000 Schweizer Franken. Zählt man noch die Familienbetreuung dazu, weil wir nicht zuhause sein konnten, ergibt das etwa eine halbe Million Schweizer Franken.

Ja, richtig gelesen: Die Ungleichheit von Frau und Mann in unserer Gesellschaft hat uns allein an der Frauensession eine halbe Million Schweizer Franken gekostet, die wir aus eigener Tasche bezahlt haben. Einmal mehr. Und glauben Sie mir eins: Die fehlende Gleichstellung wird uns noch mehr kosten, sollten Sie unsere Forderungen im Parlament ablehnen. Denken Sie nur mal an die roten Zahlen, welche wir zurzeit schreiben, weil wir noch immer keine Elternzeit haben. Die Erwerbsquote von Frauen steigt mit einer Elternzeit. Das Potenzial von 50’000 Müttern mit akademischem Titel bleibt derzeit ungenutzt, hat aber 5.75 Milliarden Schweizer Franken Ausbildungskosten verursacht. Stellen Sie sich mal vor, wie unser Bruttoinlandprodukt in die Höhe schiessen würde, wenn Mütter mit oder ohne akademischem Titel schneller in die Erwerbstätigkeit und mit höherem Pensum einsteigen würden?

Möchten Sie wirklich keine Gleichstellung von Frau und Mann?

Nun sind Sie an der Reihe und können sich für unsere eingereichten Forderungen im Parlament engagieren. Die Vorarbeit haben wir schon mal geleistet. Bitte, gern geschehen. Sie müssen sich nun noch weniger darum kümmern, dass Ihrer Frau, Tochter, Freundin, Nachbarin, Schwester, Cousine, Oma und Mutter schon bald eine rosige Zukunft voller Gleichstellung und Sicherheit blüht.

Und das alles ohne Mehrkosten, weil wir gratis für die Frauensession gearbeitet haben.

Herzlichst,

Serap Kahriman