Die Schweiz bildet in Sachen Elternzeit das europäische Schlusslicht. Gleichstellungspolitische Vorlagen haben es hierzulande bekanntlich schwer. Zuletzt gesehen im Kanton Zürich, wo der Kantonsrat Ende Oktober die Initiative für die Einführung einer gleich langen Elternzeit für Väter und Mütter abgelehnt hat. Wie zäh die Debatte verlaufen kann, haben wir auch auf nationaler Ebene bei der Einführung eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub erlebt, der seit Januar diesen Jahres gilt.
Einiges progressiver sind unsere deutschen Nachbarn unterwegs. Doch auch dort läuft nicht alles rund. Traditionelle Rollenbilder dominieren genauso wie in der Schweiz. Heiner Fischer, der Gründer der Plattform Vaterwelten, sagt dazu treffend: „Paare gehen gleichberechtigt in den Gebärsaal und kommen als Familie der 60er Jahre nach Hause.“ Dass Elternzeit alleine kein Allheilmittel ist, zeigt die aktuelle Debatte in Deutschland. So wurde Ende Oktober der Väterreport vom deutschen Familienministerium publiziert. Das Fazit: „Väter wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.“ Was grundsätzlich erfreulich ist. Doch, wieso tun sie es denn nicht? Wieso sind die deutschen Väter trotz Elternzeit nicht aktivere Väter und betreuen ihre Kinder?
Die Rollenverteilung bleibt trotz Elterngeld
Deutschland hat in den letzten Jahren einiges unternommen, um die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. 2007 wurde das Elterngeld eingeführt. Dadurch soll für Familien im ersten Lebensjahres des Kindes ein Schonraum geschaffen werden; und Mütter sollten früher als anhin auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Hinzu kommen die Partnermonate, die für die Väter einen Anreiz schaffen, sich in grösserem Masse an den familiären Aufgaben zu beteiligen. Damit erhöht sich die maximale Bezugsdauer für ein Elternpaar von 12 auf 14 Monate, vorausgesetzt beide Elternteile beziehen für mindestens zwei Monate Elternzeit.
Seither legt die Teilnahme der Väter tatsächlich zu: Jeder vierte Elterngeld-Beziehende war männlich gemäss Zahlen des Statistischen Bundesamts im Jahr 2020, Tendenz steigend. Wenn Väter die Partnermonate in Anspruch nehmen, dann in 80 Prozent der Fälle nur für zwei Monate. Anders die Mütter: 62 Prozent beantragten im vergangenen Jahr das Elterngeld für einen Zeitraum von zehn bis zwölf Monaten.
Die Entscheidung, nur eine kurze Elternzeit zu nehmen, wird von Vätern oft finanziell begründet, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt. Für Geringverdienende ist die Frage nach der Elternzeit denn auch eine existenzielle. Anders als in Schweden, wo jedem Elternteil in den ersten Jahren des Kindes 240 frei zu beziehende Tage zur Verfügung stehen und 80 Prozent des letzten Lohnes vergütet werden, werden in Deutschland nur 65 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens ausgezahlt, maximal 1800 Euro. Ist der Mann der Hauptversorger der Familie, kann sich eine Familie eine längere Elternzeit oft nicht leisten.
Damit sich Väter aber auch nach dem Elterngeldbezug aktiv in die Kinderbetreuung einbringen, wäre laut der Soziologin Johanna Possinger eine längere Bezugsdauer erforderlich: „Entscheidend ist hierbei die Abwesenheit der Mutter. Ist die Mutter dauerhaft zu Hause präsent, bleibt die Rolle des Vaters meist auf die eines Assistenten der Partnerin beschränkt." Erst die eigenverantwortliche Bewältigung des Familienalltags in der Elterngeldphase fördere die aktive Vaterschaft.
Auch bei den Müttern zeigen die Massnahmen nur bedingt einen Erfolg in Sachen Gleichstellung: Mütter kehren dank des Elterngeldes zwar früher in den Arbeitsmarkt zurück. Meistens jedoch in Teilzeit. Es sind die Mütter, die nach der Geburt eines Kindes beruflich kürzertreten. Dies mag für einen grossen Teil der Paare ökonomisch sinnvoll sein, da die Männer die höheren Erwerbseinkommen erzielen. Laut Statistischem Bundesamt verdienten Frauen im vergangenen Jahr 18 Prozent weniger als Männer. Der Gender Pay Gap spiegelt sich übrigens auch in der Höhe des Elterngeldes wider. Mehr als jede vierte Frau bekommt nur den Mindestbetrag ausbezahlt - also 300 Euro monatlich.
Gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Mütter
Auf politischer Ebene werden in Deutschland von Links Forderungen nach einem höheren (und längeren) Elterngeld laut. Es sollte ein Anreiz für Familien geschaffen werden, die sich die Reduzierung des väterlichen Gehalts nicht leisten können. Das Argument: Damit eine gleichwertige Aufteilung der Elternmonate realistisch wird, müsste die Versorgung von finanziell schlechter gestellten Familien gewährleistet sein. Ausserdem sehen immer mehr Vorstösse eine Erweiterung der Monate vor, welche vom Vater genommen werden müssen, um die maximale Anspruchsberechtigung auszuschöpfen. In Schweden sind 90 Tage fix pro Elternteil reserviert – das heisst, die Väter können sie nicht den Müttern überlassen (oder umgekehrt). Somit müssen Arbeitgeber:innen bei Frauen als auch bei Männern mit einem Ausfall über drei Monate rechnen. So will man der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt entgegentreten und das Risiko eines Ausfalls am Arbeitsplatz nach der Geburt fairer verteilen. Ein komplett paritätisches Modell, das Mütter und Väter völlig gleichstellt, ist aber auch in Schweden keine Realität.
Zurück in die Schweiz: Die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy hat bereits mehrmals Vorstösse für ein paritätisches Modell eingereicht, bisher erfolglos. Ihre parlamentarische Initiative für eine Elternzeit von je 14 Wochen wurde kürzlich im September diesen Jahres im Nationalrat abgelehnt. Die Bernerin ist dafür, dass der Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung nur bei einer beidseitigen Erwerbstätigkeit der Eltern nach der Geburt des Kindes gewährt wird, um keine traditionelle Rollenteilung einzuspuren. Aufgeben möchte sie trotz der erneuten Niederlage nicht, wie sie auf Anfrage sagt: “Der beste Gleichstellungseffekt wird durch eine möglichst grosse Paritiät erreicht, wie man am Beispiel Island sieht, wo 90 Prozent der Väter Elternzeit beziehen. Die Erfahrungen zeigen, dass der frei zuteilbare Anteil in der Regel von Frauen genommen wird.” Je grösser der freie Anteil der Elternzeit sei, desto grösser auch das ökonomisches Risiko der Frauen auf dem Arbeitsmarkt.